Durch alle Zeitalter hindurch ist im sterblichem Denken immer, mit nicht geringem Erfolg, jede Art der Religion oder Anbetung mit Aberglauben verknüpft worden. Nur in der Richtung menschlicher Vernunft zu denken, macht die Lehren des Alten Testamentes unklar und schwer verständlich und verdunkelt die tiefe geistige Bedeutung des Neuen. Dieses falsche Schlußfolgern hat das Wort Christentum zu einem unbestimmten Ausdruck gemacht, bei welchem willkürlich jede Lehre, die angeblich Jesus als den Messias ansieht, genannt wird, ohne daß man in Betracht zieht ob eine oberflächliche Auffassung seiner Mission in einer materiellen und formellen Glaubenslehre verkörpert werde, oder ob seine rein geistige Lehre in einer erhabenen und praktischen Religion, welche durch gute Werke offenbart wird, zum Ausdruck kommt.
Wenn aber in ihrem wahren Lichte betrachtet,— das heißt vom Standpunkt ihrer geistigen Auslegung aus,— gibt es in der Heiligen Schrift keine unklaren Stellen, und selbst sich scheinbar widerstreitende Behauptungen werden ausgeglichen und zu einem harmonischen Ganzen gemacht. Der Schüler der Christian Science muß auch solche Abschnitte, in denen es sich um materielle Geschichte handelt, geistig verstehen lernen; denn um wirksam zu sein muß die Bibel natürlich die Natur des Irrtums jeder Art bloßstellen, damit er als das, was er ist, erkannt wird und somit zerstört, Ein gewissenhaftes Studium der Bibel, im Lichte der Christian Science, zeigt eine fortwährende Entfaltung und muß schließlich den Zweck und die Bedeutung aller Dinge enthüllen. Es gibt nichts Unverständliches im Reich der Wahrheit. Mit welcher Sorgfalt sollten wir darum zwischen dem Wahren und dem Falschen unterscheiden. Die demonstrierbare Lehre, die in der Ermahnung von Paulus an Timotheus, „als einen rechtschaffnen und unsträflichen Arbeiter, der da recht teile das Wort der Wahrheit,“ enthalten ist, wird in jeder Linie von Mrs. Eddys Buch, „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ ausgedrückt.
Der Aberglaube versucht auf vielen listigen Umwegen zu arbeiten. Man soll sich nicht einbilden, daß eine Annahme solcher Dinge wie geistige Mitteilungen, gute oder schlechte Zeichen, Glückszeiten, gewisse Stätten, oder der Glaube an die Macht eines menschengemachten Gottes von Holz oder Stein die einzigen Formen des Aberglaubens seien, welche das sterbliche Gemüt anfechten; noch sind Unwissende oder Unerfahrene seine einzigen Opfer. In einem weiten Sinne des Wortes ist jede Annahme einer Gott entgegengesetzten Macht oder Gegenwart Aberglaube, und wenn so angesehen nimmt das Wort eine weit umfassendere Bedeutung an. Die meisten Christen geben bereitwillig zu, daß Gott Geist ist; wenn das aber erkannt wird sollte man sofort einsehen, daß jeder irrtümliche Gedanke, im Verhältnis zu seiner Nicht-Geistigkeit oder Falschheit, ein Aberglaube ist. Daraus wird es klar, daß der Glaube an die Macht der Arznei oder irgendeiner anderen Form rein materieller Praxis oder Anbetung, wie altehrwürdig die Gewohnheiten auch sein mögen, eine Phase des Aberglaubens ist.
Die Beobachtung gewisser Tage und Zeiten ist eine bedauernswerte Form des Aberglaubens und wird, wenn ihr gefröhnt wird, die Religion ihrer geistigen Macht berauben. Alles Gute ist überall, jederzeit; folglich gibt es weder Zeit noch Ort, wann und wo man des Guten mehr gedenkt als gewöhnlich. Es ist das natürlich eine absolute Behauptung, welche allmählich demonstriert wird, wenn man beständig das Ideal des vollkommenen Gottes und vollkommenen Menschen vor sich hat, wie notwendig die menschlichen Schritte welche zu diesem Ziele führen auch scheinen mögen. Tausende demonstrieren in gewissem Maße die Möglichkeit dieses Ziel zu erreichen, indem sie ihre Religion in ihrem täglichen Wandel und Gespräch zum Ausdruck bringen und sich die Allgegenwart Gottes in allen Angelegenheiten des Lebens vergegenwärtigen.
Gerade wie Unwissenheit und Furcht die einzige Basis sind für den Aberglauben, so sind Verständnis und geistiger Mut seine erhabenen Gegenmittel. In den Worten; „Das sterbliche Gemüt sieht, was es glaubt, ebenso gewiß, wie es glaubt, was es sieht“ (Wissenschaft und Gesundheit, S. 86) gibt Mrs. Eddy eine Wahrheit kund, welche, wenn verstanden, eine Menge mysteriöser und sogenannter übernatürlicher Begebenheiten erklären wird. Gleiches erzeugt immer Gleiches; und die tausendfältigen individuellen Eigenschaften der Gedanken erzeugen oft sehr verschiedenartige Begriffe von demselben Gegenstand. In Unwissenheit und Furcht versunken, oder von irgend etwas anderem besessen, entfaltet das sterbliche Gemüt Gedanken, welche sich in einer Weise ausdrücken die Aufgeklärten unfaßbar scheinen. Diese Abstufung menschlicher Annahmen wird fortfahren, bis alle ein vollkommenes Verständnis des Schöpfers und Seiner Schöpfung erlangen.
Der Begriff von einem persönlichen Gott ist parallel mit dem Begriff von einem persönlichen Teufel; denn beide Annahmen sind Sprößlinge des Aberglaubens. Der Gott eines jeden Menschen ist nicht mehr und nicht weniger als sein Begriff von Gott, und er kann sich an keinen anderen wenden bis er seinen Begriff über Gott ändert. Ein Sterblicher mag sich einen Gott aus Holz oder Stein machen; während sich ein anderer vor einer Medizinflasche oder einer herkömmlichen Glaubensbekenntnis oder irgendeiner sündigen Gewohnheit beugt. Viele Menschen scheinen eine unbestimmte, vergrößerte menschliche Persönlichkeit, in irgendeinem fernen Himmel wohnend, der mit gleicher Freude straft und segnet, anzubeten. Bis eines besseren belehrt, betet ein jeder den Gott, den er für sich selbst gemacht hat an und sucht dessen Hilfe; doch immer besteht der eine unendliche Gott den wir „im Geist und in der Wahrheit anbeten“ müssen, der aber nur durch den Gedanken, der sich zu Ihm erhebt, wahrgenommen wird. Eine sogenannte körperliche Persönlichkeit entweder mit Heiligkeit oder Feindseligkeit auszuschmücken ist grober Irrtum; ebenso irrtümlich ist es, Orte und Dinge als heilig oder schadenbringend zu betrachten. Das Gute ist unpersönlich und unsterblich weil Gott es gemacht hat; während das Böse aus dem gegenteiligen Grunde unpersönlich aber vergänglich ist.
Die irrtümlichen, philosophischen, medizinischen oder religiösen Annahmen können uns nicht schaden; sie zu fürchten hieße seinen eigenen Glauben auf dasselbe Niveau zu stellen. Unsere Furcht vor solchen Dingen verleiht ihnen die einzige Macht die sie zu haben scheinen, und das Nichts ihrer selbstaufgestellten Einflüsse zu erkennen ist ihr Ende. Damit wird nicht gesagt man könne die mannigfaltigen Ansprüche des Irrtums ungeachtet lassen; aber daß man sofort und klar erkennen soll, daß diese Ansprüche weder Person, Platz noch Ding sind; dieses Verständnis nimmt ihnen den einzigen Anspruch den sie auf Macht haben. Das Dasein eines persönlichen Teufels zu leugnen und dann dafür an eine Macht des Bösen, die sich durch falsches Denken, oder in irgendeiner Form äußert, zu glauben, ist nur eine veränderte Form des einen Bösen und bekleidet diesen neuen Teufel mit all den gottlosen Eigenschaften seines Vorgängers.
Die Christian Science kan in die Welt um den Aberglauben zu zerstören; denn wie Mrs. Eddy sagt: „Zwischen der Christlichen Wissenschaft und allen Formen des Aberglaubens ist eine große Kluft befestigt, die ebenso unüberschreitbar ist wie die zwischen dem reichen Mann und Lazarus“ (Wissenschaft und Gesundheit, S. 83). Durch selbstständiges Denken weicht der Christian Scientist den Verwirrungen des Aberglaubens in großem Maße aus. Individuelles Denken schafft die Erlösung der Menschheit. Die inspirierten Lehren Mrs. Eddys bilden die Basis wahren geistigen Wachstums, und ein jeder Schüler muß von der Basis ausgehen die ihnen zugrunde liegt. Lehrer und Praktiker können unschätzbare Hilfe erweisen indem sie den Weg zeigen; aber selbst diese helfen nur, insofern als sie sich treu an den Buchstaben und den Geist der göttlichen Wissenschaft halten. Überlieferungen und Gerüchte haben keinen Platz in dieser Wissenschaft und Paulus Ermahnung: „Prüfet aber alles, und das Gute behaltet;“ ist heute ebenso angewandt wie als es zum erstenmal geschrieben wurde.
In Lehre oder Betätigung,— die Unfehlbarkeit einer sterblichen Persönlichkeit zuzugeben, hieße auf Überlieferung aufzubauen und dadurch den individuellen und unpersönlichen Begriff der Wahrheit, der zur Entfaltung des Verständnisses im menschlichen Bewußtsein so wesentlich ist, zu ersticken. Persönliche Herrschaft hat einen verderblichen Einfluß wie vorteilhaft sie auch scheinen mag. Es gibt nur einen Führer in der Christian Science Bewegung und diese Führerschaft beruht auf der großen geistigen Entdeckung, die in den veröffentlichten Werken Mary Baker Eddys vollständig erhellt ist, und von allen demonstriert werden kann. Die Mission der Christian Science ist ein allmählicher geistiger Fortschritt, und er erfolgt schnell oder langsam, genau im Verhältnis zu der individuellen und geistigen Wachsamkeit ihrer Nachfolger. In der Vergangenheit zu leben hilft uns nicht die Aufgabe der Gegenwart zu erfüllen. Das Gute ist unsterblich; infolgedessen ist alles Gute, welches je gewesen ist, auch für die Bedürfnisse von heute anwendbar. Doch soll man sich nicht an veraltete Methoden halten, wie glaubwürdig ihre Argumente auch scheinen mögen. Die göttliche Wissenschaft ist nie spekulativ, noch leichtgläubig oder rückwirkend. In ihrem Artikel betitelt „Christian Science“ (Miscellaneous Writings, S. 235) gibt Mrs. Eddy die folgende, inhaltschwere Erklärung: „Diese Gedankenbewegung muß die Zeitalter vorwärts bringen: sie muß die Räder der Vernunft in Bewegung setzen, die Liebe erziehen zu höheren Hilfsmitteln zu schauen und das Christentum von dem Aberglauben früherer Zeiten unberührt erhalten.“