Der berühmte österreichische, jüdische Philosopher, Dr. Max Nordau, den man mit Hiob und Hosea verglichen hat, predigte wieder einmal über die Notwendigkeit, daß der Staat die Sittlichkeit des Bürgers annehmen und danach leben müsse. In Antwort auf die Frage ob er unter den Nationen irgendeinen moralischen Fortschritt wahrnehme, welche ein Korrespondent des Personals vom London Observer an ihn stellte in Paris, erwiderte er ohne Zögern in verneinendem Sinne. „Es wird keinen geben,“ sagte er, „bis Moral dieselbe Bedeutung hat für die Nation wie für den Einzelmenschen. Ein Mann stiehlt eine goldene Uhr und wird dafür ins Gefängnis geworfen. Eine Nation stiehlt ein Goldfeld. Wer wirft sie ins Gefängnis — wenn der Völkerbund nicht lebt? In einem Fall nennt es die Welt Diebstahl, im anderen Fall Sieg. In einem Fall bestimmt das Eigentumsrecht die Sittlichkeit der Handlung; im anderen nur die Macht. Gewalt ist Recht. Und alle Nationen sind mit demselben Pech verpicht.“
Das ist zwar nichts Neues: ja, eigentlich weiß jedermann, daß das vollständig wahr ist. Was auch der Unterschied zwischen Nationen sein mag, und es gibt einen gewissen, er ist nur in gewissem Grade. Das staunenswerte ist, daß dies nach beinahe zwanzig Jahrhunderten angeblichen Christentums gesagt werden kann. Tatsächlich beweist es, daß die West-Welt m Herzen nicht christlich sondern heidnisch ist. Das Christentum hat ihr eine Forderung gestellt die sie noch nicht erfüllen konnte. Aus diesem Grunde hört man soviel von dem Mißerfolg des Christentums. Doch beweist dieser Schrei das Christentum ebensowenig einen Mißerfolg, als die Nichtachtung des Einmaleins, seitens angeblicher Mathematiker, die Mathematik einen Mißerfolg machen würde. Immer und immer wieder beharrte Jesus auf der Tatsache, daß, um Christ zu sein, man unbedingt dem Gesetz gehorchen müsse; und er machte es ganz klar, daß das Gesetz ehre für den einzelnen sei als für die Nation. Das ganze vierte Evangelium ist eine Art Gesetzbuch des ersten Jahrhunderts, in welchem die Notwendigkeit des Gehorsams gegen das göttliche Gesetz den Menschen ausdrücklich dargelegt wird.
Jesus bekümmerte sich nicht besonders um die Nation; er überließ das Kaiphas. Er wußte, daß die Nation gerade das sein mußte, was ihre individuellen Einheiten waren, und daß darum die Bekehrung des einzelnen die Bekehrung der Nation bedeutete. Wenn darum der einzelne für sich selbst das Gesetz angenommen hätte, so würde das Gesetz im Verhalten der Nation ausgedrückt. Tatsächlich aber hat der einzelne Mensch das ganz und gar nicht getan. Er hat sich gewissen Einschränkungen angepaßt, die er zur Aufrechterhaltung des sozialen Staates für notwendig hielt. Wenn er sich aber als Einzelner ohne gegen das Gesetz zu verstoßen, vom Drucke dieses Zwanges befreien kann, tut er es gewöhnlich. All das bedeutet, daß er es mit dem Gesetz für sich selbst nicht strenge nimmt. Max Nordau sagt: „Ein Mann stiehlt eine goldenen Uhr und wird dafür ins Gefängnis geworfen.“ Haben aber nicht vielleicht der Richter und die Geschworenen an demselben Morgen, da sie das Urteil fällen, durch, dem Buchstaben des Gesetzes entsprechende Geschäfte an der Börse, oder durch Verhandlungen auf dem Landamt, viele goldene Uhren gestohlen? Mit einer Weisheit die menschliche Weisheit übersteigt sagte Christus Jesus: „Ihr habt gehört, daß zu den Alten gesagt ist: ,Du sollst nicht ehebrechen.' Ich aber sage euch: Wer ein Weib ansieht, ihrer zu begehren, der hat schon mit ihr die Ehe gebrochen in seinem Herzen.“
Es ist daher ganz lächerlich sich einzubilden, daß sich die Nationen bessern werden ehe eine genügende Mehrheit von den Personen, welche die Nation ausmachen, sich gebessert haben. Sie mögen versuchen sich über gewisse Einschränkungen betreffs des Krieges zu einigen, weil ihnen die Kriegsrechnungen unangenehm sind, desgleichen mit dem Kämpfen, und weil die Naturwissenschaft viele der Gefahren des Schlachtfeldes auf die Nichtkämpfenden zu Hause erstreckt hat. Doch deutet das ebensowenig auf die Bekehrung der Nationen, als die Gesetze der Ehescheidung in den Gesetzbüchern das Überwinden der Sinnenlust andeuten. Das eine wie das andere mag nicht mehr bedeuten als ein Versuch das soziale System in ganz materiellen Richtungen zu befestigen, und so lange als diese Richtungen materiell sind, müssen sie außerhalb dem geistigen Gesetz sein. Gerade aus diesem Grunde schrieb Paulus an die Kirche in Rom: „Denn ich habe Lust an Gottes Gesetz nach dem inwendigen Menschen. Ich sehe aber ein ander Gesetz in meinen Gliedern, das da widerstreitet dem Gesetz in meinem Gemüte und nimmt mich gefangen in der Sünde Gesetz, welches ist in meinen Gliedern.“
Weil Mrs. Eddy das alles so klar sah und die Folgen so genau voraussehen konnte, erkannte sie das Weltbedürfnis für die Christian Science. Die Welt, wie Max Nordau, spricht beständig von Gesetz ohne das Gesetz zu verstehen. Max Nordau nimmt, wie es scheint, das physische Gesetz an und glaubt an das geistige Gesetz, ohne zu erklären wie diese zwei Gegenteile vereinbart werden können. Mrs. Eddy sah, daß es unmöglich zwei sich widerstreitende Wirklichkeiten geben könne, und daß dahre das physische Gesetz nur die Nachahmung des göttlichen Gesetzes sein könne. Das Gesetz der Gerichtshöfe ist ein ganz anderes Ding, es offenbart die menschliche Bemühung, alle Schwächen des Fleisches zu unterdrücken, das Physische dem Sittlichen und Göttlichen untertan zu machen. Darum ermahnte sie beständig zum Gehorsam gegen die Gesetze des Landes und zum Widerstand gegen das Gesetz des Fleisches, gerade wie sie auf Seite 166 von „Miscellaneous Writings“ sagt: „Es wird erkannt, daß die Tätigkeit der göttlichen Energie, selbst wenn nicht anerkennt, die reichsten Segnungen ausstreut. Diese geistige Idee, oder Christus, trat in jede Einzelheit des Lebens des persönlichen Jesu. Sie machte ihn zu einem ehrlichen Menschen, einem guten Zimmermann und einem guten Menschen, ehe sie ihn den Verklärten machen konnte.“
Darum muß dem physischen Gesetz, welches Paulus das Gesetz in den Gliedern nennt, bis zum Ende Widerstand geleistet werden. Es erzeugt Sünde, Krankheit und Tod. Aus diesem Grund haben seine Vertreter, die Abscheulichkeit dieses Gesetzes erkennend, ein Gesetz der Unzerstörbarkeit der Materie erfunden um sie weniger entsetzlich zu machen:
„Der große Cäsar, tot und Lehm geworden,
Verstopft ein Loch wohl vor dem rauhen Norden.“
Das gerichtliche Gesetz gegen Trinken, Diebstahl und Ausschreitungen ist ein anderes Ding. Es ist eine Bemühung: im Namen des Guten, das Böse zu unterwerfen, welche auf Grund der Unfähigkeit, das wirkliche Gesetz zu verstehen, mißlingt. Solche Bemühungen sah Mrs. Eddy natürlich ganz anders an, und schrieb diesbezüglich auf Seite 7 von „Pulpit and Press“: „Ich liebe Boston und besonders die Gesetze des Staates, von welchem es die Hauptstadt ist. Haute, wie vor alters, haben seine Gesetze den Fortschritt unterstützt.“
Doch wenn absolut betrachtet bedeutet Gesetz etwas mehr als das. Es ist die Tätigkeit des Geistes, es ist das, in dem es keine Veränderung geben kann und das darum in seiner Wirkung vollständig wissenschaftlich ist. Gerade das ist es was Max Nordau nicht wahrnahm, und was eine jede Person, welche die Materie mit Geist vermischt, nicht erkannt hat. Christus Jesus hat es natürlich absolut verstanden und Nikodemus klar gemacht, indem er den Unterschied zwischen Geist und Fleisch zeigte. Die Verfasser des Neuen Testamentes verstanden es, als sie auf der wissenschaftlichen Natur des Christentums beharrten, auf dem was z. B. Petrus meinte bei der Anwendung des Ausdruckes (nach dem griechischen Text), „ein wissenschaftliches Verständnis von Gott.“ Es ist klar, daß ein wissenschaftliches Verständnis von Gott, Prinzip, wissenschaftlich demonstriert werden muß, wie es Christus Jesus in den Werken die man Wunder genannt hat demonstrierte. Einzelne haben das erkannt und demonstriert, bis aber die Nationen dasselbe tun, werden sie im Ungehorsam gegen das Gesetz des Prinzips fortfahren und weiter Goldfelder stehlen, wenn sie auch das Gesetz des Landes aufrecht halten, indem sie Diebe goldener Uhren ins Gefängnis werfen um ihr individuelles Eigentum zu beschützen.
