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Heilige Erwartung

Aus der Januar 1923-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Erwartung ist unter anderm bestimmt worden als „eine Überzeugung, die den Zweifel ausschließt.” Solche Überzeugungen hat die Menschheit immer gehabt; nur gründen sie sich leider meist auf einen so festen Glauben an das Böse, daß man nur Unglück, Mißerfolg und Elend erwartet — ja alles, was von einer bösen Ursache ausgehen kann. Daher stammt auch die Gewohnheit so vieler Sterblicher, Böses vorauszusagen. Sogar der Christ, der von seinem Gottesglauben so viel Wesens macht, wäre ohne Zweifel erstaunt, wenn man ihn darauf aufmerksam machen würde, wie oft er tagsüber das Gewicht seines Denkens und Sprechens in die Wagschale schlimmer Erwartungen wirft. Ist es bei diesem bösen Voraussagen, bei der steten Erwartung dessen, das dem Guten entgegengesetzt ist, ein Wunder, daß die Welt das Ergebnis ihres eignen Glaubens und ihrer Erwartung alles Unheilvollen und Schrecklichen zu ernten scheint? „Euch geschehe nach eurem Glauben.” Diese Worte sollten für uns ein Weckruf sein, das Wesen und die Grundlage unsres Glaubens zu prüfen, und zu untersuchen, welcher Art unsre Erwartungen sind.

Wer durch die Christliche Wissenschaft lernt, das Denken zu prüfen, dem will es zuerst vorkommen, als ob die Sterblichen stets nur Schlimmes erwarten, so endlos scheint der Strom böser Erwartungen zu sein, der von innen oder von außen in sein Bewußtsein geleitet wird. Eine Erklärung dafür liegt in dem Umstand, daß die Erziehung der Welt größtenteils von dem Standpunkt aus stattgefunden hat, daß das Böse eine Macht sei. Die natürliche Folge des Glaubens an die Macht des Bösen ist, daß man dessen Wirksamkeit und die entsprechenden unglücklichen Folgen erwartet. Ein andrer Grund, warum das Böse als mächtig angesehen wird, ist die häufige Annahme, daß Gott das Böse unterstütze und man daher nie wisse, was man erwarten könne, da ja Gott das Böse nicht nur genehmigen und gestatten, sondern es oftmals auch verursachen oder absichtlich senden soll.

Der Psalmist muß jedoch einen ganz andern Gesichtspunkt gehabt haben, als er schrieb: „Aber sei nur stille zu Gott, meine Seele; denn er ist meine Hoffnung.” Er erwartete offenbar, daß der Gott, auf den er seine Hoffnung setzte, ein solches Vertrauen nur mit Gutem belohnen würde. Trotzdem beinahe die ganze Welt Böses erwartet, hat es also Menschen gegeben, die, wenn auch nur durch einen Schleier, erkannten, daß es möglich ist, Gutes zu erwarten und auch zu empfangen. Paulus hatte nur die Erwartung des absolut Guten vor Augen, als er schrieb: „Denn das ängstliche Harren der Kreatur wartet auf die Offenbarung der Kinder Gottes”— auf die Erkenntnis und das Erscheinen der Gotteskindschaft des Menschen. Die Christliche Wissenschaft, die uns Gott als das All-Gute erkennen lehrt, führt uns auch die Möglichkeit vor Augen, daß wir nie eine andre als eine heilige Erwartung zu hegen brauchen. Gott, das unendliche Gute, ist der einzige Geber. Kann es also einen Grund geben für die Erwartung, die weniger als das vollkommene Gute in sich schließt?

Man denke einen Augenblick darüber nach, wie wundervoll uns sogar unsre jetzige Welt erscheinen würde, wenn die Sterblichen, anstatt stets das Böse zu erwarten, wozu sie sich jetzt berechtigt glauben, ihre Denkweise ändern und nur das Gute erwarten würden, das Gott für sie bereitet hat! Man stelle sich die wunderbare Umwandlung vor, die diese einzige Reform im menschlichen Denken und Leben zur Folge haben würde! Mrs. Eddy schreibt auf Seite 426 von „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift”: „Ist das Ziel begehrenswert dann beschleunigt die Erwartung unsern Fortschritt.” Wenn wir erkennen lernen, daß Gott allein Macht hat und daß diese nur gut ist — daß nur Gutes für alle Kinder Gottes vorhanden ist— , zu welcher Freude würde uns dann das Erwarten werden, und wie würde es den Fortschritt der Sterblichen himmelwärts beschleunigen! Wenn wir bedenken, daß das Erwarten dessen, das nicht gut ist, einer Leugnung Gottes gleichkommt, so werden wir auch erkennen, daß wir gar kein Recht haben, etwas andres als Gesundheit und Heiligkeit, Harmonie und den Himmel zu erwarten.

Wir müssen auch noch von einer andern Seite aus dieses Thema betrachten. Unsre geliebte Führerin schreibt auf Seite 230 von The First Church of Christ, Scientist, and Miscellany: „Die wissenschaftliche Pathologie veranschaulicht die Tatsache, daß die Verdauung geistiger Nahrung sowohl süß als bitter ist,— süß in der Erwartung und bitter in der Erfahrung oder während der Zeit, wo die Sinne sie in sich aufnehmen.” Dies weist sowohl auf eine Notwendigkeit wie auf ein Vorrecht hin: auf die Notwendigkeit, die Tatsache nicht aus den Augen zu verlieren, daß das Gute durch eine beständige Bereitwilligkeit, das Falsche durch das Wahre verdrängen zu lassen, aufgenommen werden muß, und auf das Vorrecht, uns ein Gefühl süßer Erwartung zu bewahren, wenn wir das kosten, was dem materiellen Sinn zufolge die Bitterkeit der Selbstverleugnung zu sein scheint. Unsre Pflicht und unser Vorrecht ist es also, an der heiligen Erwartung beständig festzuhalten — an der Erwartung, daß Gott ununterbrochenen Segen spendet, an der Erwartung, daß Seine Liebe alles Gute und nichts Geringeres als das Gute für uns, Seine lieben Kinder, bereit und im Sinne hat.

Welcher Art der Weg zu der Erfüllung dieser wunderbaren Erwartung auch sei, solange wir an ihr festhalten, werden uns Freude und Frieden und Zuversicht allezeit begleiten, und nichts weniger wird uns am Ende einer solchen Wanderung zuteil werden als die Krone des endgültigen Sieges.

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