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Wessen wir „am meisten bedürfen”

Aus der Juni 1925-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Das Kapitel über das Gebet im Lehrbuch der Christlichen Wissenschaft, „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” von Mary Baker Eddy, umfaßt nur siebzehn Seiten, aber es bietet dem Denker eine neue und hilfreiche Auffassung von Gebet und liefert eine weitere Erwiderung auf das Verlangen der Menschen, das auch die Jünger des Meisters vor Jahrhunderten geäußert haben: „Herr, lehre uns beten”. In der Literatur unserer Zeit ist selten, wenn überhaupt je, so viel mit so wenig Worten gesagt worden, wie in diesem Kapitel. Selten ist ein Thema von solcher Tiefe so einfach und so hilfreich behandelt und so klar erläutert worden.

Ohne die sittliche Lehre des Kapitels über das Gebet erläutern oder erweitern zu wollen, können wir mit Vorteil zwei kurze Stellen daraus betrachten, die sieben wesentliche Punkte des rechten Betens enthalten. Auf Seite 4 schreibt Mrs. Eddy: „Am meisten bedürfen wir des Gebetes inbrünstigen Verlangens nach Wachstum in der Gnade, das in Geduld, Sanftmut, Liebe und guten Werken zum Ausdruck kommt”. Sie weist hier auf die wesentlichen Bestandteile der Gnade hin, die durch Gebet erlangt werden können. Und auf Seite 15 sagt sie: „Selbstvergessenheit, Reinheit und liebevolles Wesen sind beständiges Gebet”. Diese sieben Tugenden—„Geduld, Sanftmut, Liebe und gute Werke”, „Selbstvergessenheit, Reinheit und liebevolles Wesen”—geben eine Richtung des Denkens und des Handelns an, die jetzt und immer zu Gesundheit, Glück und Heiligkeit führt.

Geduld

Betrachten wir sie, diese Tugenden, in der gegebenen Reihenfolge, so können wir sagen, daß wenige unter uns wissen, ehe die Christliche Wissenschaft in unser Leben tritt, was wahre Geduld in sich schließt; und viele unter uns würden heute besser daran sein, wenn wir die Geduld allgemeiner und großmütiger betätigten. Zu wenig Geduld ist eine Ursache der verzögerten Frucht manches Gebets. In der Christlichen Wissenschaft bedeutet Geduld viel mehr als bloßes Warten, bis etwas reif wird oder geschieht. Sie ist weder mit Trägheit noch mit Untätigkeit oder Verzögerung verwandt. Sie ist die stille Gefährtin der Tätigkeit, die Beraterin des Erfolgs, die Zwillingsschwester der Macht. Ihre Kinder sind Wachsamkeit, Erfindungsgabe, Klugheit. Aber vom Anfang bis zum Ende anerkennt sie nur eine Weisheitsquelle, nur eine Quelle wahrer Macht und würdigen Vollbringens,—Gott selbst.

Wo also wahre Geduld herrscht, gibt es keine Enttäuschung; denn Enttäuschung geht aus Mißtrauen, Eigenwillen und Ungeduld hervor. Wer das Selbst unterjocht und auf die Allwissenheit Gottes, die Allweisheit des Guten, vertraut und geduldig ihrer Kundwerdung harrt, wer nie vorausbestimmt, was Gott tun, oder wie Er es tun soll, erlebt keine Enttäuschung. Wer Gottes Hand festhält, braucht über den Ausgang seiner Unternehmungen nie beunruhigt zu sein, ob er geht oder bleibt, kauft oder verkauft, sät oder erntet, anscheinend gewinnt oder verliert.

Dies ist keine neue Lehre, die besonders uns Christlichen Wissenschaftern gilt; sie ist so alt wie die Bibel selbst. In den Sprüchen heißt es: „Verlaß dich auf den Herrn von ganzem Herzen, und verlaß dich nicht auf deinen Verstand; sondern gedenke an ihn in allen deinen Wegen, so wird er dich recht führen”. Hast du dich nie nach jemand gesehnt, der versteht, dich den rechten Weg zu weisen, dir den nächsten Schritt zu zeigen, dich von zwei Richtungen die rechte einschlagen zu lassen? Wenn erst unsere Beweggründe mit Gottes Gesetzen übereinstimmen, werden wir keine Wegkarte mehr brauchen, die uns die Richtung weist, und keinen Meilenstein, der unsern Fortschritt anzeigt.

Geduld haben heißt Geduld üben. Versäume nie, in jede christlich-wissenschaftliche Behandlung, die du gibst, in jedes Gebet, das du verrichtest, sehr viel Geduld hineinzulegen! Ihre bloße Gegenwart darin führt zu augenblicklichem Heilen. Bereit und willig Gottes Zeit abwarten bewirkt rasche Ergebnisse.

Nirgends finden wir ein besseres Beispiel wahrer Geduld als in der Geschichte unserer hingebenden Führerin. Sie wartete geduldig, tätig, Jahr für Jahr, auf das Kommen der von Gott bestimmten Stunde; als diese aber schlug, konnte keine Schwierigkeit ihr augenblickliches Handeln verzögern, kein Hindernis es aufhalten. Wie oft hielt diese edle Frau in ihrem vollen, pulsierenden Leben unerschütterlich aus! Und wie geduldig sie wartete und wie treu sie diente, können künftige Jahre allein offenbaren. Das gnadenreiche Gebet der Geduld war ein wichtiger Teil ihrer vollkommenen Arbeit.

Sanftmut

Von allen Menschen hat der Christliche Wissenschafter am meisten Veranlassung, die Lehren seines Lehrbuchs sorgfältig zu beachten, um in sich jene kräftige Art der Sanftmut zu pflegen und zu entwickeln, die wir Demut nennen. Die Christliche Wissenschaft hat ihm ohne Geld, umsonst, die Dinge erreichbar gemacht, nach denen die Welt in ihrer unwissenden Art verlangt und trachtet,—das Meistern der Umstände, die Herrschaft über Mißgeschick, die Macht zu vollbringen, die Gemütsruhe. Diese Fähigkeiten müssen jedoch von der Demut, die die wahre Sanftmut ist, gemäßigt werden, damit mit ihnen nicht Stolz, Anmaßung, Beherrschung, Habgier und das ganze Heer von Übeln erscheint, die da gedeihen, wo der Same der Selbstsucht auf den Acker des Erfolgs gesät ist. Wer ein anerkennenswertes Verständnis von der Christlichen Wissenschaft erworben und betätigt hat, hat so viel mehr Gutes als vor dem ersten Öffnen des Lehrbuchs, daß er häufig daran erinnert werden muß, daß die Quelle alles Guten Gott, nicht der Mensch, ist, und daß kein Sterblicher ein Schöpfer oder Urheber der Dinge ist, die allein von Gott kommen. Wenn man sich wegen scheinbaren materiellen Erfolgs, Gedeihens oder Vollbringens für einen kleinen Gott mit einem eigenen Reich hält, dann wird die Demut zum Vagabunden und die Sanftmut zum Gespött. Gott allein ist die Quelle alles Guten. Jesus der Christus spiegelte infolge seines Wesens und seines Ursprungs das Gute ausgeprägter wider als jeder andere; dennoch wies er mit wahrer Demut jede Anspielung, daß er aus sich selbst gut sei, stets sofort zurück.

Die durch die Christliche Wissenschaft enthüllte Demut drückt Stärke aus, nicht Schwäche. Es ist eine bedeutungsvolle Tatsache, daß der demütigste Mensch der Geschichte zugleich der stärkste war. Er, der die brausenden Meereswogen mit einem Wort besänftigte, war auch stark genug, seinen Mund nicht aufzutun, als ihn seine Feinde verspotteten. Die Demut, die ein Teil des Wesens von Jesus dem Christus war, und die die Christliche Wissenschaft einschärft, ist nicht eine Frage des Benehmens sondern des Charakters; sie ist kein äußerer Anstrich sondern eine Charaktereigenschaft; sie kommt nicht von den Lippen sondern aus dem Herzen. Ohne sie kann Macht in Despotismus, Sanftmut in Heuchelei, Dienstfertigkeit in Unterwürfigkeit ausarten.

Das Verlangen nach persönlicher Macht in sich pflegen oder dulden ist für den Christlichen Wissenschafter gefährlich. Die Liebe zu Macht macht ihre Opfer gegen die Macht der Liebe blind. Diese Liebe zu Macht, dieses Verlangen, andere zu beherrschen, ist der Ursprung der Pfaffenlist, der Vorläufer des Hypnotismus. Das Gegenmittel ist Demut, jene wahre Sanftmut, die dem Bewußtsein entspringt, daß Gott, das Gute, die einzige Macht ist.

Je mehr die christlich-wissenschaftliche Bewegung an Mitgliedern, an Einfluß und Gunst bei den Menschen, wächst, desto notwendiger wird es für ihre Anhänger, die Demut aufs heiligste zu hegen und zu pflegen; denn wie Macht durch Sanftmut so nimmt Größe durch Demut zu.

Liebe

Ein Gebet ohne Gott ist, wie eine Welt ohne Sonne, kalt, öde und unfruchtbar. Ein Gebet ohne Liebe ist ein Gebet ohne Gott; denn Gott ist die Liebe. Ein christlich-wissenschaftliches Gebet ohne Liebe ist undenkbar; denn die eigentliche Lebenskraft der Christlichen Wissenschaft ist die Liebe. Ein Leben ohne Liebe kann das sein, was die Welt ein großes Leben nennt; es kann dem Forschen, der nützlichen Arbeit und dem Fortschritt fleißig gewidmet gewesen sein; aber ein Leben ohne Liebe läßt die Welt geistig nicht besser zurück, als wenn es nie gelebt worden wäre.

Man kann vom menschlichen Standpunkt aus begabt, fähig, kraftvoll, scharfsinnig und erfinderisch sein; ja, man kann sozusagen alle Eigenschaften haben, die zu weltlichem Erfolg und weltlicher Ehre führen; hat man aber keine Liebe im Herzen, so ist man nur „wie ein tönend Erz oder eine klingende Schelle”. Man kann außerordentliche Verstandeskräfte haben, so umfassend in der Kunst und Wissenschaft bewandert sein, daß man vielen materiellen Gesetzen trotzen und sich die ungehemmten Naturkräfte untertan machen kann; doch führt man ein liebeloses Leben, so ist man soviel wie nichts. Wem dies übertrieben klingt, der lese, was der große Knecht Gottes und Menschenbeobachter Paulus von Tarsus vor zweitausend Jahren im dreizehnten Kapitel des ersten Korintherbriefs darüber sagte: „Wenn ich weissagen könnte und wüßte alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, also daß ich Berge versetzte, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts”.

Man kann sein Leben der Menschenfreundlichkeit widmen, seine Tage und sein Vermögen der Besserung der Lage seiner Mitmenschen opfern, ja, sein Leben für die Verteidigung seiner Ideale hingeben; doch, wenn man nicht gelernt hat, daß Gott die Liebe und der Mensch Sein Bild und Gleichnis ist, werden einem die Bemühungen des ganzen Lebens, wie lobenswert sie anscheinend auch sein mögen, nur wenig nützen. Erweckt dies den Anschein, als ob die Christliche Wissenschaft für die allumfassende Liebe zu viel fordere? Dann lese man wiederum, was Paulus in demselben vortrefflichen Kapitel des Korintherbriefs sagt: „Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und ließe meinen Leib brennen, und hätte der Liebe nicht, so wäre mir's nichts nütze”.

Denen, die den Tag der allgemeinen Brüderschaft beschleunigen möchten, wo jeder seinem Nächsten tun wird, was er will, daß sein Nächster ihm tun soll, wo Habgier, Armut und Grausamkeit aufhören und „des Menschen Unmenschlichkeit gegen den Menschen” etwas Unbekanntes sein wird; denen, die sehen möchten, daß die erneuernde Wahrheit des werktätigen Christentums zu den wartenden Völkern an den äußersten Enden der Welt gelange; den Christlichen Wissenschaftern, die sehen möchten, daß der Einfluß ihrer Kirche für das Gute zunehme und sich geistig ausbreite; jenen ernsten Praktikern, die wünschen, daß ihre Behandlungen immer von gleich gutem Erfolg begleitet und schnell wirksam seinen; jenen Wartenden, die behandelt werden, und die ihrem Praktiker bei seiner selbstlosen Arbeit, die er für sie tut, helfen möchten,—diesen allen möchte man sagen, diese edlen Wünsche können nicht besser verwirklicht werden als dadurch, daß man im täglichen Leben mehr Liebe gegen Gott und den Menschen bekundet. Auf keine andere Art kann man so viel für sich selbst tun; auf keinem andern Wege kann man so viel für die tun, denen man helfen möchte; in keiner andern Weise kann man die Förderung der Christlichen Wissenschaft als Ganzes so mächtig unterstützen.

Das Wachstum unserer geliebten Sache wird durch das Wachstum des einzelnen Christlichen Wissenschafters gefördert. Eine Mahnung, die wir uns beständig vor Augen halten sollten, ist: was die Welt heute vom einzelnen Christlichen Wissenschafter am meisten braucht, ist mehr selbstlose Liebe gegen Gott und den Menschen, die göttliche Liebe, die, wenn sie widergespiegelt wird, die Kranken in einer einzigen Behandlung heilt; die widergespiegelte Liebe, die die menschliche Zuneigung oder das menschliche Fühlen weit übersteigt; die Liebe, von der wir wissen, „sie verträgt alles, sie glaubet alles, sie hoffet alles, sie duldet alles”; die Liebe, die in Reinheit festgewurzelt ist, zur Macht heranreift, und deren Frucht die Weisheit ist, die alle Menschen segnet.

Gute Werke

Wir wollen nun betrachten, welchen Teil gute Werke in dem Gebet „inbrünstigen Verlangens nach Wachstum in der Gnade” haben sollten. Mrs. Eddy hat in Retrospection and Introspection (S. 86) sehr verständlich gemacht, daß Gutes nur dadurch getan wird, daß man es tut, woraus klar zu ersehen ist, daß das bloße Verlangen oder die Absicht, Gutes zu tun, wenig Wert hat. Dennoch ging jede gute Tat, die das Leben der Menschen erfreute, von einem guten Gedanken aus. Ohne diesen guten Gedanken als Antrieb könnte es keine gute Tat geben.

Die Sittenlehre der Christlichen Wissenschaft liefert jedem einzelnen die Gedankenvorbilder, die er braucht, um sein Denken gesund und harmonisch zu gestalten. Wenn wir uns die neuen geistigen Gedankenvorbilder vorsetzen, müssen wir die alten, die bisher unser Denken schädlich beeinflußten, niederreißen und wegräumen. Das unter diesen wohl am häufigsten sich zeigende ist die Entmutigung.

Zwei große Dinge vollbringt die Christliche Wissenschaft für die entmutigte Welt. Erstens enthüllt und verkündigt sie über die Entmutigung eine lang verborgen gebliebene Tatsache,—die Tatsache, daß die Entmutigung das Übel tätig unterstützt und daher um so heimtückischer und unheilvoller ist, weil ihre Opfer sie selten als etwas durch und durch Schlechtes—schlecht im Wesen, im Einfluß und in der Wirkung—erkennen. Ja, es gibt wohl außerhalb der Christlichen Wissenschaft wenige Menschen, die die Entmutigung meiden, wie sie Krankheit, Sünde, Schwachheit, Unfähigkeit oder Unglück meiden würden; dennoch öffnet sie allen diesen und noch schlimmeren Dingen die Tür. Die zweite große Sache, die die Christliche Wissenschaft für den Entmutigten tut, besteht darin, daß sie ihm gegen das Gift der Entmutigung ein Gegenmittel liefert, das augenblicklich wirkt und bestimmte Ergebnisse zur Folge hat. Es ist etwas, das nicht mit Geld erkauft werden kann, das aber jedermann so frei zur Verfügung steht wie der Sonnenschein, und so segenbringend ist wie der Sommerregen. Es ist die Dankbarkeit. Ein Herz voller Dankbarkeit gegen Gott für Seine Güte erstickt die giftigen Dünste der Entmutigung wie das Meer einen Funken. Dankbarkeit und Entmutigung können nicht nebeneinander bestehen. Wir alle könnten vieles finden, wofür wir Gott dankbar sein können, wenn wir nur danach suchen würden. Die Dankbarkeit kommt, wenn uns wirklich so nach ihr verlangt, daß wir sie suchen; haben wir sie aber gefunden, so entdecken wir, daß die Entmutigung verschwunden ist.

Das Leben jedes Menschen, wie eintönig, gewöhnlich und arm an Ereignissen es anscheinend auch sei, erstrahlt jedoch von Segnungen. Gehen wir nicht ohne einen kurzen Gedanken der Dankbarkeit gegen Gott an ihnen vorüber! Wie der Duft in der Blume, so ist die Dankbarkeit in den Herzen der Menschen. Es ist undenkbar, daß man gegen Gott zu dankbar sein könnte „für seine Güte und für seine Wunder, die er an den Menschenkindern tut”.

Selbstvergessenheit

Indem wir nun zu der Selbstvergessenheit kommen, die im Zusammenhang mit Reinheit und liebevollem Wesen in Wissenschaft und Gesundheit als beständiges Gebet beschrieben ist, wollen wir erwägen, was „Selbstvergessenheit” hier bedeutet. Was ist das Selbst, das wir vergessen sollen? Nicht des Menschen absolute Selbstheit, die die Widerspiegelung des Göttlichen ist, sondern das, wofür sich die Menschen irrtümlich halten,—ein aus Fleisch und Knochen bestehender Körper, den sie als den Sitz von Freude und Schmerz ansehen, und der beständig die Wirklichkeit materieller Dinge verficht, der aber nie eine einzige Wahrheit über Gott, den Geist, gelehrt hat. Diesen materiellen Sinn vom Menschen müssen wir vergessen,—den Sinn, der glaubt, er sündige und leide, liebe und hasse, lebe und sterbe, sei selbständig und lasse sich selbst gehen. Dieser Sinn kümmert sich vor allem um sich selbst und um seine eigenen Angelegenheiten; und je mehr er an diese denkt, desto weniger denkt er an Gott.

In der Christlichen Wissenschaft gibt es keine bessere Art, das Selbst zu vergessen, als an Gott zu denken, nach dem treffenden Spruch:

Denkt man an sich, vermehrt sich das Leid,
Denkt man an Gott, verschwindet das Leid.

Das mentale Zergliedern, das ein Teil der Betätigung der Christlichen Wissenschaft ist, enthüllt die Tatsache, daß übertrieben viel an sich selbst denken eine unerkannte Ursache vieler mentalen und körperlichen Störungen ist. Der Beleidigte, der glaubt, es gehe ihm immer am schlechtesten, die Empfindliche, die leicht beleidigt und verletzt ist, das Kind, das verwöhnt ist, sind Beispiele derer, die nur an sich—gewohnheitsmäßig an sich—denken. Gehen wir einen Schritt weiter, so finden wir, daß Schwermut und äußerste Trübsal derselben Ursache—dem Denken an sich selbst—entspringen. Die Irrenhäuser füllen sich infolge davon; an langwierigen Krankheiten Leidende schwelgen darin; Kirchen-Zwistigkeiten gedeihen dadurch.

Der Bewegung der Christlichen Wissenschaft schließen sich in großem Maße solche an, denen materielle Heilmittel keine Hilfe brachten. Viele von uns gehörten zu dem Heer derer, die die Krankheitserscheinungen erklärten. Wir wußten, was sie alle bedeuteten! Mit Vergnügen wiederholten wir die Feststellung unseres Arztes, und mit Hochgenuß erzählten wir unsere Erlebnisse im Krankenhaus teilnehmenden Bekannten, die ungeduldig warteten, bis wir zu Ende waren, damit sie mit den ihrigen beginnen konnten. Damals konnten wir nicht verstehen, warum die Christliche Wissenschaft das Sprechen über Krankheit mißbilligt. Bald lernten wir aber verstehen, daß solche Unterhaltungen den Gesunden schädlich und den Kranken noch schädlicher sind. In neunundneunzig von hundert Fällen, in denen der Kranke über Krankheit spricht, redet er von seinem eigenen besonderen Leiden,—mit andern Worten, von sich selbst. Niemand ist wohl mehr von sich selbst eingenommen als die, die krank sind und gern darüber sprechen; und diesen lieben Leuten—wenn sie es nur wüßten—würde das Gebet, in dem man sich selbst vergißt, mehr zur Genesung verhelfen als Kolben voll Arznei und Schachteln voll Pillen. Denn Selbstvergessenheit umfaßt in der Christlichen Wissenschaft mehr als das bloße Entfernen des Selbst aus dem Denken,—sie schließt auch das Bringen Gottes, des Guten, in das Denken in sich.

Das tägliche Forschen in der Bibel in Verbindung und in Übereinstimmung mit dem Lehrbuch verhilft einem zur Selbstvergessenheit. Einem andern helfen ist ein weiteres Hilfsmittel dazu. Man tut gut daran, täglich eingedenk zu sein, daß irgendwo sich jemand befindet, der gerade das, was wir geben können, dringend notwendig braucht. Und sei es auch nur ein erheiterndes Lächeln, ein freundliches Wort der Anerkennung oder der Ermutigung, oder ein erbaulicher, erhebender Gedanke,—es kann den Lauf eines Lebens von Grund aus ändern. Es kann auch Hilfe mehr materieller Art sein; doch welcher Art sie auch sei, sie wird uns helfen, uns selbst zu vergessen und dadurch unseres Bruders zu gedenken.

Reinheit

Man hat die Reinheit die Zwillingsschwester der Unschuld genannt. Die Reinheit, die ein Teil unseres innersten Wesens sein sollte, ist eine mentale Pflanze, die auch dem Boden der Erfahrung entsprießen kann. Jeder, der durch Gebet die Tür seines Bewußtseins treu bewacht und keinen niederziehenden oder herabwürdigenden Gedanken eintreten läßt, kann durch die Christliche Wissenschaft in gewissem hilfreichen Maße Reinheit erlangen. Frühere Fehler und gegenwärtige Mißerfolge sind gegen den, der sich aufrichtig an die Christliche Wissenschaft um Hilfe wendet, ohne Einfluß.

Keine unreine Handlung kann je geschehen, wenn ihr kein unreiner Gedanke, der sie gestaltet, vorausgeht. Ein falscher Gedanke wird am schnellsten dadurch zerstört, daß man ihn durch einen rechten ersetzt. Es gibt keine bessere und sicherere Art. Um die Finsternis aus einem Zimmer zu vertreiben, braucht man nur ein Licht hineinzubringen.

In diesem Zusammenhang wollen wir beachten, daß zwei Lieblingswaffen des Übels, die so oft gegen den gewandt werden, der bestrebt ist, mehr Reinheit in sein Leben zu bringen, Selbstverdammung und Entmutigung sind. Aber diese kommen nicht von Gott und können im Bewußtsein keinen festen Fuß fassen, wenn das Denken auf Gott und Seine Güte gerichtet und das Herz mit Dankbarkeit erfüllt ist.

Nicht nur was wir vollbringen, sondern auch was wir in der Christlichen Wissenschaft nach bestem Können zu vollbringen suchen, fördert unser Wachstum. Jedes ernste Streben, einen unreinen Gedanken durch einen reinen zu verdrängen, selbst wenn es auch nicht augenblicklich gelingt, erleichtert die nächste Anstrengung. Wer drei Schritte vorwärts tut und zwei rückwärtsfällt, gelangt vor dem ans Ziel, der nie einen Anfang macht.

Der Tag ist nicht sehr ferne, wo alle Menschen den ungeahnten Einfluß, den die Christliche Wissenschaft in der ganzen Welt für die Reinheit ausübt, erkennen werden. Ein reines Zeitungswesen, ein reines Geschäftsleben, eine reine Literatur, eine reine Politik, ein reiner Sport,—Dinge, die noch vor kurzem allgemein für fabelhaft und undenkbar gehalten wurden—, gewinnen jetzt jeden Tag überzeugte Anhänger.

Die Christlichen Wissenschafter dürfen nie den Dank vergessen, den sie Mrs. Eddy für die reine und unverfälschte Form schulden, in der Wissenschaft und Gesundheit dargeboten wurde. Im Anfang der christlich-wissenschaftlichen Bewegung gab es Zeiten, wo es nicht allein der Festigkeit sondern des höchsten Mutes bedurfte, um den Versuchen zu widerstehen, die gemacht wurden, seine Substanz zu verdünnen und ihm die Sprößlinge einer volkstümlichen oder gefälligen religiösen Meinung einzuverleiben. Aber dieses Buch sollte nie verfälscht werden; und seine Reinheit ist erhalten geblieben.

Liebevolles Wesen

Zum Schluß wollen wir kurz das liebevolle Wesen, die Zuneigung, betrachten. Es ist beachtenswert, daß in Wissenschaft und Gesundheit die Zuneigung öfters im Zusammenhang mit Reinheit erwähnt ist, gleichsam um uns daran zu erinnern, wie eng sie zusammen gehören. Diese Vereinigung von Reinheit und Zuneigung finden wir in der Liebe des unverdorbenen, selbstlosen, unschuldigen kleinen Kindes, das Jesus in die Arme nahm und segnete; und niemand, der nach dem Himmelreich trachtet, Mann oder Frau, kann es sich leisten, die Worte Jesu außer acht zu lassen: „Es sei denn, daß ihr euch umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen”.

Nichts in der Christlichen Wissenschaft ermutigt das tierische Wesen. Ihr Gebiet ist das Mentale und Geistige, nicht das Körperliche und Sinnliche. Andererseits sollten wir aber nie eine frostig metaphysische Haltung gegen Menschen und Dinge einnehmen. Mit dem Wachstum in der Erkenntnis der Beziehung des Menschen zu Gott vollzieht sich eine Veränderung in unserer Haltung gegen unsern Nächsten ganz von selbst. Gleichgültigkeit, Selbstgenügsamkeit, Engherzigkeit weichen der Kameradschaft, der Inbrunst, der Herzlichkeit. Die Wärme reiner Zuneigung wird in der Christlichen Wissenschaft stets entfaltet und gefördert.

Der frisch gefallene Schnee ist rein, aber kalt und ungemütlich. Die Rose im Garten ist gleicherweise rein und schön; und sie strömt einen Duft aus, der, wie ein guter Gedanke, alle, die ihn genießen, erfreut,—einen Wohlgeruch, der so süß wie unerschöpflich ist. Tausende können am Duft der Rose teilhaben, ohne ihn auch nur im geringsten seines Wohlgeruchs zu berauben. Die Rose spendet in Überfülle, doch sie verarmt durch das Geben nicht. So verhält es sich mit dem wahren liebevollen Wesen.

Obwohl ein solch wahres liebevolles Wesen allumfassend ist, so ist doch das Heim ihr Mittelpunkt. Mrs. Eddy mußte während der schwersten Jahre ihres ereignisreichen Lebens entbehren, was sie so hoch geschätzt hätte,—ein eigenes Heim, das ihr sowohl eine Zuflucht als auch ein Heiligtum hätte sein können. Später wurde sie jedoch damit belohnt; und alle, denen es vergönnt war, es mit ihr zu teilen, wissen, daß es für sie eine Zuflucht des Friedens und der Ruhe war,—der tätigen Ruhe, der Ruhe, die in Wissenschaft und Gesundheit (S. 520) verherrlicht ist, wo Mrs. Eddy schreibt: „Die höchste und süßeste Ruhe, sogar vom menschlichen Standpunkt aus, liegt in heiliger Arbeit”. Und das war stets ihre Beschäftigung.

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