Im achten Kapitel des Johannes-Evangeliums lesen wir die Erzählung einer Gerichtsverhandlung, bei der als Kläger die Schriftgelehrten und Pharisäer, als Angeklagte ein Weib, und als Richter Christus Jesus auftraten. Das Weib war vor den Richter gebracht worden, und der materielle Sinn hatte sie des Bösen angeklagt. Das sterbliche Gemüt lauerte darauf, um zu sehen, was Jesus tun werde. Er bückte sich und schrieb auf die Erde und tat, als ob er nicht hörte, was sie sagten. Doch schließlich erging das Urteil: das Weib sollte nach dem Gesetz Moses gesteinigt werden, jedoch unter der Bedingung, daß die Steine von denen geworfen würden, die ohne Sünde wären! Wiederum schien sich Jesus von der Szene zurückzuziehen; abermals bückte er sich und schrieb auf die Erde. Es lag nun an den Anklägern, den nächsten Schritt zu tun. Sie hatten nicht erwartet, selbst vor Gericht gestellt zu werden; sie hatten weder mit der Gerechtigkeit ihres Richters noch damit gerechnet, daß der Irrtum in ihrem eigenen Bewußtsein aufgedeckt werde. Aber die Wahrheit hatte sie schnell, sicher und still untersucht,—während sich das Weib zitternd und furchtsam verhielt, die Ankläger sich keck und angreifend gebärdeten.
Die Verhandlung nahm ihren Fortgang; alle Gedanken wurden untersucht. Der Richter richtete „ein rechtes Gericht”—er fällte ein gerechtes Urteil, das jeden irrigen Gedanken seiner Scheinmacht beraubte. Jeder Kläger sah nun die Ungeheuerlichkeit seines eigenen Vergehens, einen andern zu richten, während er selbst an den Irrtum glaubte und ihn zum Ausdruck brachte. Die Ankläger zogen sich nun schweigend zurück, die älteren zuerst, wohl weil sie die größeren Sünder waren, dann weiter bis zu den jüngeren, die sich wohl weniger schuldig fühlten und daher das Licht der Wahrheit besser ertragen konnten.
Zuletzt waren sie alle verschwunden, denn Christus Jesus als „der gerechte Richter” hatte während der ganzen Zeit für den geistigen Menschen das Wort geredet. Konnte ihm jemand widersprechen? Außer dem, was Christus, des Menschen ewiger Verteidiger, vorzubringen hatte, war nun nichts weiter zu sagen. Jede sterbliche Anklage war widerlegt, zum Schweigen gebracht und verworfen worden. Infolgedessen war das Weib geheilt und von dem großen Menschenfreund in Liebe entlassen worden. So können wir in Zeiten der Versuchung, wenn die Verfechter des Irrtums die Beweisgründe der Sünde, der Krankheit und des Verderbens gegen den Menschen vorbringen, wissen, daß sie keine wirkliche Stimme haben, daß ihre Beweisgründe vor dem Gerichtshof des Geistes nicht gehört werden. Der ewige Christus äußert die Wahrheit über den Menschen und beweist dadurch des Menschen ewige Harmonie.
Dies wurde einmal in einem Falle, wo die Ansprüche von Schmerz und Erkältung sich heftig geltend machten, klar erkannt. Bereits zum dritten Male war um Hilfe gebeten und behauptet worden, der Patient leide noch immer sehr und erlange keine Erleichterung. Die mentale Arbeit wurde fortgesetzt bis klar erkannt war, daß in Wirklichkeit keine Person, kein Ding gegenwärtig sei, um den Anspruch der Krankheit gegen den Menschen aufrecht zu erhalten; daß die Wahrheit gegenwärtig sei und in der Tat für die Vollkommenheit des Menschen eintrete; und daß der Mensch und sein Fürsprecher, wie in dem Falle von Jesus und dem Weibe, tatsächlich allein seien. Diese Vergegenwärtigung brachte eine friedvolle Stille. Die Worte Jesu an das Weib: „Hat dich niemand verdammt?” und ihre Antwort: „Herr, niemand” traten in Erinnerung. Kein einziger Beweisgrund des Irrtums blieb übrig, um den Menschen anzuklagen. Dann folgte der Segensspruch: „So verdamme ich dich auch nicht; gehe hin und sündige hinfort nicht mehr!” Am nächsten Morgen kam die Botschaft, daß alle Disharmonie mit Ausnahme eines leichten Schmerzes verschwunden sei; es war aber in Erinnerung gebracht, daß es in der biblischen Geschichte heißt: „Herr, niemand”—nicht einer blieb übrig, die vollkommene geistige Idee anzuklagen. Dann war die Heilung vollständig.
Mrs. Eddy sagt auf Seite 154 von „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift”: „Ganz gewiß sollten wir nicht der Fürsprecher des Irrtums sein”, und auf Seite 441 desselben Buchs sagt sie: „Unser Gesetz lehnt es ab, den Menschen als krank oder sterbend anzusehen, es erkennt vielmehr darauf, daß der Mensch immerdar das Bild und Gleichnis seines Schöpfers ist”.
