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Wer soll der Kleinste sein?

Aus der Juli 1925-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Der Wunsch, zu Größe zu gelangen, liegt tief im menschlichen Herzen; doch über die Art, sie zu erlangen, befindet sich die Welt allgemein in Unwissenheit. Da die Menschen glauben, Größe hänge von Reichtum, Stellung oder persönlichem Ruhm ab, so haben sie unter Anwendung falscher Mittel und Wege danach gestrebt. Zu denen, die ehrgeizig strebten, die Größten zu werden, sagte Christus Jesus: „Welcher aber der Kleinste ist unter euch allen, der wird groß sein”. Sicherlich ist der groß, der am wenigsten selbstisch, am wenigsten eigenwillig und ehrgeizig ist, der am wenigsten Stolz, Unwillen oder Selbstgerechtigkeit bekundet, selbst wenn er auch in den Augen der Welt als der Kleinste erscheint. Hätte einer die ganze menschliche Größe Cäsars, so wäre dies nichts im Vergleich zu den Gesinnungseigenschaften, die das Himmelreich in uns ausmachen; denn weltlicher Ruhm ist leer und vergänglich, aber die Herrlichkeit des Charakters verleiht Befriedigung und ist von Dauer. Mrs. Eddy schreibt in The First Church of Christ, Scientist, and Miscellany (S. 194): „Nur solche Männer und Frauen gewinnen Größe, die durch vollständige Selbstüberwindung sich gewinnen”. Demut, Selbstbeherrschung, Weisheit, geistiges Schauen liegen wahrer Größe zugrunde. Menschliche Elemente überwinden, das Denken vergeistigen und die Herrlichkeit der Göttlichkeit suchen ist vom Trachten nach Volksgunst und nach persönlicher Anerkennung ganz verschieden. Durch bescheidenes Christentum werden wir wahrhaft demütig und gehen in das Reich geistiger Größe ein.

Wie selten erkennt jedoch die Welt die Größe einer geistigen Natur! Der demütigste, mächtigste Mensch, der je gelebt hat, sagte: „Ich bin gekommen in meines Vaters Namen, und ihr nehmet mich nicht an. So ein anderer wird in seinem eigenen Namen kommen, den werdet ihr annehmen. Wie könnet ihr glauben, die ihr Ehre voneinander nehmet? und die Ehre, die von Gott allein ist, suchet ihr nicht”. Weil der Christus nicht in Stellung und Macht gekleidet zu uns kommt, ziehen wir ihm zu oft jemand vor, der sich durch seine Person darbietet; auch erwarten wir den König der Juden in königlichen Kleidern weltlicher Würde und Klugheit und sehen nicht den Christus in dem in der Krippe verborgenen Kind oder in dem bescheidenen Zimmermann.

Politik, Diplomatie und Ansehen drehen sich um Persönlichkeit; sie haben an dem bescheidenen, selbstlosen Geist des reinen Christentums keinen Teil. Persönliche Huldigung mit ihrem unterwürfigen „Du bist größer als ich” ist so verkehrt wie Überheblichkeit mit ihrem herablassenden „Ich bin größer als du”. In „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” von Mary Baker Eddy (S. 239) lesen wir: „Nimm Reichtum, Ruhm und soziale Einrichtungen weg, welche nicht ein Jota in der Wagschale Gottes wiegen, und du gewinnst klarere Anschauungen vom Prinzip”. Das Verdienst des Charakters sollte die Anerkennung der Größe bestimmen. Draußen im Sumpflande Flanderns vergaßen die Soldaten persönlichen Ehrgeiz und gesellschaftliche Unterschiede; Bankiers und Kleinhändler, Künstler und Feldarbeiter dienten nebeneinander als Mitbrüder. Sie erstrebten dort keine persönlichen Lorbeeren; durch Selbstaufopferung gingen sie miteinander ins Reich der Größe ein.

Wenn wir erkennen, daß Größe auf die unwandelbaren Gesetze der Güte gegründet ist, und wenn wir andere ohne Rücksicht auf ihre Stellung nur auf Grund der Tugenden, die sie widerspiegeln, annehmen, werden wir nicht mehr voneinander Ehre erwarten und versuchen, uns durch persönliche Anhängerschaft zu fördern, sondern werden, unbefleckt von dem Einfluß des Ansehens, christus-gleiche Größe erkennen und sehen, worin sie wirklich besteht. Alle müssen früher oder später verstehen lernen, daß wirkliche Größe ganz außerhalb des Bereichs des sogenannten menschlichen Selbst ist. Wir müssen aus uns selbst herausund in das Reich der Güte und Liebe hineinkommen, wenn wir die Herrlichkeit des wirklichen Seins des Menschen dartun wollen.

Wer der Kleinste ist, gibt das Menschliche auf, um das Göttliche zu erhöhen; er legt seinen falschen Sinn von menschlicher Persönlichkeit nieder, um der Herrlichkeit seiner wirklichen geistigen Individualität Platz zu machen. Wahrlich, wer den menschlichen Sinn vom Selbst erhöht, wird erniedrigt werden, und wer sich selbst erniedrigt, wird zum Erschauen der geistigen Idee erhöht werden. Die materielle Persönlichkeit ist ein falscher Begriff vom Menschen. Warum also für etwas Falsches Lob und Anerkennung erwarten; warum versuchen, es aufzubauen? Selbstsucht, Selbstgerechtigkeit, vorgefaßtes Denken, Stolz, hartnäckiger Eigenwille,—alle müssen der Demut und der selbstlosen Liebe Raum geben. Wenn unser Streben zusammenbricht, wenn wir Demütigung und persönliche Erniedrigung erleben, berühren wir oft den Saum wahrer Größe. Wenn wir uns dann aus der Asche der materiellen Selbstheit erheben, entdecken wir die Größe innerer, höherer Dinge, lassen die Welt fahren und rücken Gott näher. Wer vom persönlichen Standpunkt aus der Kleinste ist, hat ein wahres und ernstes Herz, ist ohne Falsch und frei,—er siegt, nicht durch persönliche Verherrlichung, sondern durch das Kreuz. Er erwirbt die strahlende, königliche Krone der Geistigkeit und entdeckt sein wahres Selbst in den großen Wahrheiten des Seins. Ihm werden—durch Widerspiegelung—Inspiration, Offenbarung und Verständnis zuteil.

Da unsere Gedanken bestimmen, was wir sind, sind wir so groß und edel wie die Gedanken, die wir denken. Der Wert des Gedankens, wahre Ideen und geistige Ideale, führen also zu den Höhen der Größe. In ein Bewußtsein, das in wahrer Demut wacht und arbeitet, in dem die Sinne schweigen, und wo in der Stille heiliger Anbetung geistige Eindrücke des Gemüts erkennbar werden, strömen die göttlichen lebendigen Kräfte des Seins ein und bewirken Offenbarung und Vision—erzeugen Größe. In einer in Demut gekleideten Gesinnung finden wir jene geistige Ausdauer, jene ruhige Zuversicht und jenes geduldige Ertragen,—Eigenschaften, die das Gesetz Gottes in der menschlichen Erfahrung wirken lassen.

In dieser Weise nimmt die Größe ihre Stelle in unserem Bewußtsein ein; denn dort hören wir auf, an das Übel zu glauben, und dort beginnen wir, uns über den Bereich der Krankheit, der Sünde und des Mangels zu erheben. Das eigene Bewußtsein ist der Ort, wo wir uns demütig und fest an die Ideen der Wahrheit klammern, mit der Furcht kämpfen, mit falschen Annahmen ringen und uns über Drangsal und Not erheben. In unserem Bewußtsein also werden wir Herr der Umstände,—große, doch demütige Herrscher über uns selbst. Sein Bewußtsein als den Ort ansehen, von wo, vor der Welt verborgen und von ihr unerkannt, Größe ausgeht, sagt weltlichem Ehrgeiz oder der Selbsterhöhung nicht zu; nichtsdestoweniger entfaltet das demütige Suchen des Himmelreichs in uns die Eigenschaften der Größe im Leben.

Die Größe der Demut hängt aufs engste mit den menschlichen Angelegenheiten zusammen und hat auf die Interessen des täglichen Lebens einen mächtigen Einfluß. Wenn Stolz und Haß Zusammenbruch und Zerstörung bewirken, ist es dann nicht klar, daß nach dem Gesetz der Umkehrung Demut und selbstlose Liebe aufbauende und fortschrittliche Ergebnisse hervorbringen müssen? Salomo sagte, Demut werde von Reichtum und Ehre begleitet sein. Die Stille und der Friede der Demut tragen außerordentlich viel dazu bei, die Luft des Streits und der Verwirrung zu reinigen; und sie ist eine Tugend, die das Fleisch besiegt. Als der Meister das Ohr des Knechts des Hohepriesters heilte, das der ungestüme Jünger abgehauen hatte, bewies er die Macht sanftmütiger Vergebung. In der Demütigung durch die Kreuzigung erreichte er die Erhebung, die ihn befähigte, den Tod zu besiegen und die Auferstehung und die Himmelfahrt zu erfahren. Als Nachfolger des Christus überwinden nun auch wir durch Demut die tierischen Eigenschaften,—erheben uns über die Materie und die scheinbaren Sinnesschmerzen. Darum nenne man Demut nicht eine bloße passive Eigenschaft des sogenannten menschlichen Gemüts sondern eher eine mächtige Fähigkeit des Christus-Gemüts, die Heilung mitteilt und Harmonie hervorruft.

Wer demütig der Kleinste ist, strebt nie in unwürdiger Weise seinen Mitmenschen zu übertreffen oder zu überbieten, damit er an die Spitze gelange. Kann man sich vorstellen, daß Abraham Lincoln danach trachtete, groß zu sein? Einfach und bescheiden lebte er in den Ideen der Freiheit und der Güte; und diese Ideen wirkten durch ihn in den Angelegenheiten des Volkes. Als Ergebnis konnte ihm die öffentliche Anerkennung nicht entgehen; doch nie benützte er seine Berühmtheit, um sich selbst zu erhöhen. Wie sehr man auch durch Stellung und Anerkennung geehrt sei, wirkliche Größe ist ohne die geistigen Eigenschaften, die sie hervorbringen, unerreichbar. Zu der ehrgeizigen Mutter, die einen Platz für ihre beiden Söhne erstrebte, sagte Jesus, das Sitzen zu seiner Rechten und Linken zu geben stehe nicht ihm zu sondern dem Vater; darauf wandte er sich an die Jünger und sagte: „So jemand will unter euch gewaltig sein, der sei euer Diener; und wer da will der Vornehmste sein, der sei euer Knecht”.

Wahrlich, der sanftmütige und demütige Christ ist wahrhaft groß. Warum dann so eifrig um einen Platz an der Sonne kämpfen? Wissen wir nicht, daß Selbstverherrlichung unser Leben mit Selbstsucht und Beschränktheit umklammert und unsern Weg zum Fortschritt verblendet? Wie können die demütigen Tugenden der göttlichen Gegenwart widergespiegelt werden, wenn das sogenannte menschliche Gemüt sich selbst zu erhöhen trachtet? Warum also nicht lieber nach den edlen Gedanken und dem geistigen Verständnis trachten, die zu der unvergänglichen Herrlichkeit führen? Angenommen, alle Menschen wären bestrebt, mehr Güte widerzuspiegeln,—was für eine Welt der Größe würden wir haben!

In Miscellaneous Writings (S. 270) schreibt Mrs. Eddy: „Der Pfad der Güte und der Größe führt durch die Mittel und Wege Gottes”. Wenn wir demütig und gehorsam das Gesetz Gottes in unserem Leben wirken lassen, wird es sich unvermeidlich durch Entfaltung in Werken und Leistungen des Guten kundtun, die notwendigerweise viel wertvoller sind als die Leistungen persönlicher Anstrengungen. Wenn daher der Erde bleierne Lasten deine Laufbahn zu erdrücken scheinen; wenn sich deinen Gaben keine Gelegenheit bietet, sich auszudrücken; wenn andere dir im Wege zu sein scheinen,—vorwärtsund an dir vorübergehen, während du dich fragst, ob du überhaupt zu etwas taugst,—dann erhebe deinen Gedanken über menschliche Wege, Personen und Umstände, und du wirst entdecken, daß über jedem reinen Verlangen, rechten Beweggrund und edlen Streben Engel schweben; daß Gott die erhabenen Zwecke deines Lebens entfaltet und deinen Lebenslauf regiert. Der sanftmütige Nazarener, der sich nicht auf sich selbst verließ, wandte sich an die göttliche Liebe und bat, Gott möge ihn verherrlichen, damit er wiederum den Vater verherrlichen könne. Und hat jemand größere Herrlichkeit empfangen als er, selbst inmitten von Verleumdung und Schmach? Hat je ein größerer Mensch gelebt, trotz der Bemühungen seiner Feinde, ihn herunterzusetzen?

Im Reiche des unendlichen Gemüts, im Glanze widergespiegelter Herrlichkeit, in der Stille und Majestät der göttlichen Gegenwart, wo sich das Weltall des göttlichen Seins entfaltet, wo das Herz in der Seligkeit heiliger Liebe und Offenbarung befriedigt ruht,—was bedeutet da weltlicher Glanz und Ruhm? Vor der Herrlichkeit des Herrn erscheint der Erde Prunk als eitler Tand und Flitter; Kämpfe weichen dem Frieden und dem Verständnis; demütig und anbetend gestehen wir alle Huldigung und alles Lob dem Geist und der Geistigkeit zu und erklären inbrünstig die Worte des Kirchenlieds:

„Vor Deinem immer glänzenden Thron
Begehren wir keinen eigenen Ruhm”.

In dem aufrichtigen Verlangen, unter den Kleinsten in der Welt zu sein, schwindet falscher Ehrgeiz dahin und die folgenden heiligen Worte des Meisters: „Wer nun sich selbst erniedrigt wie dies Kind, der ist der Größte im Himmelreich”, werfen ein neues Licht. In dieser Weise erlangen wir das Verständnis, daß es sich für das menschliche Bewußtsein nie darum handelt, wer der Größte sei, sondern vielmehr darum, wer der Kleinste sein soll.

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