Von allem, was Mrs. Eddy geschrieben hat, wird wohl kein Satz so häufig angeführt wie der auf Seite 494 von „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift”: „Die göttliche Liebe hat immer jede menschliche Notdurft gestillt und wird sie immer stillen”. Die Christliche Wissenschaft lehrt uns, daß Gott durch den Menschen ausgedrückt wird, und daß es außer dem Kundwerden der Eigenschaften Gottes keinen Beweis vom Vorhandensein ihres göttlichen Prinzips gibt. Können wir also erwarten, daß die göttliche Liebe unsere Probleme löst und unsere Nöte stillt, wenn wir versäumen, die göttlichen Eigenschaften auszudrücken?
Eine Frau, die mit dem Buchstaben der Christlichen Wissenschaft vertraut war, ging zu einem ausübenden Vertreter der Christlichen Wissenschaft und bat ihn um Hilfe. Nachdem sie ihm eine lange Leidensgeschichte erzählt und viel über ihr hartes Los und dessen Ungerechtigkeit geklagt hatte, führte sie die oben erwähnte Stelle an und sagte: „Ich möchte wissen, was die göttliche Liebe je für mich getan hat; sie stillt meine Bedürfnisse nicht”. Ohne einen Augenblick zu zögern, antwortete der Vertreter: „Ich möchte nur wissen, wieviel göttliche Liebe Sie im Herzen haben; wieviel Mitgefühl, Zuneigung und Vergebung Sie gegen andere hegen”. Fortfahrend wies er darauf hin, daß wir, wenn wir unsere Probleme durch die Liebe gelöst haben wollen, unser Herz mit Liebe zu unseren Mitmenschen erfüllt halten und mit wachsendem Verständnis von Gott, der als die unendliche Liebe überall ausgedrückt ist, lernen müssen, Fehler als nicht vorhanden zu erkennen und einzusehen, daß die Kinder Gottes allezeit gegeneinander nur Güte und Liebe, Gerechtigkeit und Erbarmen bekunden; daß wir gerade für unser Dasein von Gott abhängig sind; und daß in dem Maße, wie wir unsere Gedanken zu der Betrachtung Seiner unfehlbaren Liebe gegen uns erheben und uns ernstlich und geduldig bemühen, diese Liebe widerzuspiegeln und sie mit unseren Mitmenschen zu teilen, unsere Lasten leichter und unsere Probleme gelöst werden. Es braucht wohl kaum gesagt zu werden, daß die Hilfesuchende aufgeklärt und getröstet von dannen ging.
Ein ganz in Materialität versunkenes Herz kann für die göttliche Liebe nicht empfänglich sein. Geistigkeit nimmt an dem innersten Wesen der Liebe teil. Um den heilenden Einfluß dieser Liebe zu erfahren, müssen unsere Gedanken geistig werden. Es ist daher nicht vernünftig, geistige Segnungen zu erwarten, solange das Denken auf das Selbstische, Sinnliche und Materielle gerichtet ist. Der Glaube an das Vorhandensein und die Wirklichkeit einer materiellen Selbstheit mit ihren Schmerzen und Freuden, ihrem Lieben und Hassen, ihrem Hoffen und Fürchten hat den Sterblichen alle Übel gebracht, die des Fleisches Erbe sind. Was die Menschen brauchen, ist, von dieser Annahme und ihren Folgen—Sorge und Armut, Leid und Not, Sünde, Krankheit und Tod—befreit zu werden. Und diese Not wird gestillt, diese Folgen oder Irrtümer werden in dem Maße überwunden, wie sich die Sterblichen von der Materie und dem Übel abwenden und sich bemühen, jene zärtliche geistige Liebe zu kennen und auszudrücken, die den Flug des Sperlings bewacht, die Raben speist und die Lilien kleidet.
Unser allmächtiger, unendlicher Vater-Mutter Gott, die göttliche Liebe, umfaßt gerade auf Grund Seines Wesens alle Huld, Zärtlichkeit, Güte, alles Erbarmen, alle Rücksicht, Wohltätigkeit und Fülle. Er stillt ewig jede Not aller Seiner Kinder. Doch wie der müde Wanderer in der Wüste von dem Wasser, das er gefunden hat, trinken muß, so müssen auch wir etwas tun. Wie können wir an dem lebenspendenden Strom teilhaben? Wie können wir zu seiner göttlichen Quelle gelangen? Wir müssen das große Herz der unendlichen Liebe durch Gebet erreichen, durch das Gebet, über das Mrs. Eddy in No and Yes (S. 39) folgendermaßen geschrieben hat: „Wahrhaft beten heißt nicht Gott um Liebe bitten; es heißt lieben lernen und die ganze Menschheit in eine Liebe einschließen. Durch das Gebet machen wir uns die Liebe zunutze, mit der Er uns liebt. Das Gebet erzeugt ein waches Verlangen, gut zu sein und Gutes zu tun”. Wir müssen also beten; wir müssen Gott kennen und lieben lernen und unsere Liebe so rein und selbstlos sein lassen, daß sie die ganze Menschheit einschließt.
„Die göttliche Liebe hat immer jede menschliche Notdurft gestillt und wird sie immer stillen”. Die Christliche Wissenschaft lehrt, wie wir diese Liebe in unserem Leben erfahren und bekunden, wie wir der Ermahnung nachkommen können: „Die brüderliche Liebe untereinander sei herzlich. Einer komme dem andern mit Ehrerbietung zuvor”. Sie lehrt uns, wie wir zu der Vergegenwärtigung erwachen können, nein, erwachen müssen, daß der Mensch, das Bild und Gleichnis der unendlichen Liebe, nicht ein Geschöpf des materiellen Sinnes und des materiellen Selbst, der Wollust und des Hasses, der Furcht und des Leidens, der Sünde, der Krankheit und des Todes ist, sondern daß der Mensch im Gegenteil ewig unendliche Zärtlichkeit und unendliches Erbarmen, Reinheit und Freiheit, Vertrauen und Freude, Gesundheit, Glück und Gedeihen ausdrückt. Wenn wir als Bekenner des Christentums, das Christus Jesus lehrte und lebte, und der Wissenschaft, die unsere verehrte Führerin entdeckte und gründete, anfangen, das Wirken jener göttlichen Liebe, die heilt, auch nur schwach zu erkennen, dann wollen wir uns selbst prüfen, um sicher zu sein, daß es in unserem Bewußtsein keinen lieblosen Gedanken gegen unsern Nächsten, kein Gefühl des Grolls gegen eine Person, einen Ort oder einen Umstand gibt; wir wollen unser Herz und unser Leben so mit liebevollem Vergeben, Erbarmen und mit Zärtlichkeit erfüllen, daß wir die eigene Not in der Sorge um die Not unseres Bruders vergessen. Dann werden wir wahrlich erkennen, daß „Liebe sich in Liebe widerspiegelt” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 17); und durch das Nutzbarmachen und Bekunden der Eigenschaften der göttlichen Liebe im eigenen Leben werden wir die Erfüllung des Gesetzes sehen, das jede menschliche Not stillt.
