Viele ernste Christliche Wissenschafter haben beim Ausarbeiten einer dem menschlichen Sinne langwierig erscheinenden Frage Augenblicke der Ermüdung des Denkens erlebt, wo die Grenze der Ausdauer erreicht und die ersehnte Befreiung so weit wie immer entfernt schien. Eine Schülerin erlebte eine solche Stunde, während sie mit einem anscheinend hartnäckigen Irrtumszustande rang, als Eingebung und freier Antrieb sie anscheinend ganz verlassen hatten und die Arbeit eine wachsend schwere Bürde zu sein schien, die schleppenden Schrittes getragen wurde.
Als sie eines Tages die Botschaft unserer Führerin an Die Mutter-Kirche für das Jahr 1900 (S. 2) las, fielen ihr folgende Worte besonders auf: „Das Lied der Christlichen Wissenschaft lautet: ‚Arbeitet — arbeitet — arbeitet — wachet und betet‘”. Zuerst riefen sie fast ein Gefühl der Erbitterung hervor. Hatte sie denn diese Anweisungen nicht treu befolgt, und war das Ergebnis trotzdem nicht alles andere als gesangreich gewesen? Als sie die Lage erwog und um Erleuchtung betete, erinnerte sie sich plötzlich der Antwort, die ein siebenjähriger Knabe auf die Frage gab, ob er die Bedeutung des ewigen Lebens verstehe. „O ja”, erwiderte er, „es bedeutet, daß das Denken guter Gedanken unaufhörlich weiter und immer weiter gehe und nie ermüde”.
Sogleich dämmerte in ihr ein Licht auf, das Müdigkeit und Entmutigung verbannte und von neuem eine Woge der Dankbarkeit für die Offenheit und Schlichtheit eines empfänglichen und vertrauensvollen Kinderherzens einströmen ließ, ein Licht, das die Erkenntnis mit sich brachte, daß es möglich sei, das ewige Leben — die ewige Tätigkeit des Guten — durch dasselbe Arbeiten, Wachen und Beten zu erreichen, das nur einen Augenblick zuvor eine schwierige und fast unmögliche Aufgabe zu sein schien. Diese Arbeit der Zubereitung des Denkens für die Aufnahme der heiligen Botschaften Gottes durch Verwerfen der falschen Annahmen, die beanspruchen, sie auszuschließen; dieses Wachen, damit auch nicht der kleinste Zugang für ihr Wiedereintreten in irgend einer Verkleidung offengelassen werde; und schließlich das Vollziehen jener köstlichen Gemeinschaft mit unserem Vater-Mutter Gott, die die Wirklichkeit des Seins enthüllt,— dies ist in der Tat „das Lied der Christlichen Wissenschaft”, das uns befähigt, die strahlende Vollkommenheit der Schöpfung Gottes immer klarer zu sehen. Jede Wahrheitserklärung, jedes standhafte Festhalten an der Tatsache der Gegenwart der göttlichen Liebe,— was ist es anders, als ein froher Schritt zur weiteren Erkenntnis, daß das Himmelreich hier und jetzt gegenwärtig ist? Und wie kann ein solcher Fortschritt anders als freudig sein?
Was bedeutet dann müde, matt, hilflos sein? Was anders als den Glauben an ein von Gott getrenntes sogenanntes Gemüt ohne Ursprung oder wirkliches Dasein, ununterstützt durch die Erkenntnis der Wahrheit, da es die Wirklichkeit nicht sehen kann und vergeblich kämpft, sich als ursprünglichen Denker zu behaupten? Dieses sogenannte menschliche Gemüt oder dieser sogenannte menschliche Wille, der bestrebt ist, alles, was ihm in den Weg kommt, beiseitezuschieben, dieser Wirbelwind, der sich nur in Selbstzerstörung stürzt, was der Prophet Elias vor dem Herrn auf dem Berge entdeckte, erzeugt Mattigkeit und Entmutigung. Es hat nie wirklich etwas zustande gebracht und kann nie etwas zustande bringen; denn im Reiche der Wirklichkeit herrscht allein das unendliche Gemüt.
Da Gott das einzige Gemüt ist, weiß Er alles und ist die einzige Quelle dieser nie ermüdenden guten Gedanken, die der Mensch mühelos widerspiegelt, da er der unwillkürliche Ausdruck des göttlichen Seins ist. Mrs. Eddy erklärt auf Seite 519 und 520 in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift”: „Gott ruht im Wirken. Geben hat das göttliche Gemüt nicht arm gemacht und kann es niemals arm machen. Der Auffassung der göttlichen Wissenschaft gemäß folgt dem Wirken dieses Gemüts keine Erschöpfung. Die höchste und süßeste Ruhe, sogar vom menschlichen Standpunkt aus, liegt in heiliger Arbeit”. So ist das Kind Gottes, das diese göttlich ruhevolle Tätigkeit widerspiegelt, ein unermüdlicher Arbeiter, der glückselig die ewige Herrlichkeit und Schönheit des Vaters bekundet.
Hier gibt es keinen Raum für menschliche Anstrengung oder menschlichen Eigenwillen. Jeder Gedanke wird von Gott entfaltet, geleitet und aufrechterhalten, da jeder Ihm vollständig gehorsam sein muß; und da es Seine Arbeit ist, muß sie naturgemäß vollkommen und erfolgreich sein. Es kommt nicht darauf an, wie lang sich der Irrtum uns aufgedrängt hat; diese Falschheit kann uns nicht hindern, weiterhin in das Reich der Liebe hineinzuschauen und alles „sehr gut”, wie es immer war, darin zu finden. Solche Arbeit kann, auch wenn sie ohne Unterbrechung weitergeht, keine Ermüdung hervorrufen. Denn die Gedanken gehen von Gott aus, und wir sind die gesegneten Empfänger Seiner unerschöpflichen Güte. Vielmehr vereinigt uns jeder Augenblick solchen Arbeitens, Wachens und Betens so eng mit Ihm, daß die Annahmen des sterblichen Daseins in ihre ursprüngliche Unwirklichkeit dahinschwinden und wir erwachen und finden, daß wir in den großen Lobgesang mit einstimmen. Denn wir lernen verstehen, daß Arbeit nicht eine beschwerliche, ununterstützte, menschliche Anstrengung ist, wie wir angenommen hatten, sondern die tatsächliche Entfaltung jenes ewigen Lebens, das das Heilmittel für jedes Übel ist.
Die Geschichte von der Reise der sunamitischen Mutter, die den Mann Gottes aufsuchte, bietet ein trostreiches Beispiel wahrer Arbeit. Entschlossen muß sie der scheinbar hoffnungslosen Augenscheinlichkeit der körperlichen Sinne den Eintritt verwehrt und in ihrem Glauben beharrlich zu Gott emporgeblickt haben, um zu erkennen, daß es „wohl” ging. Es wird nicht berichtet, wie lang sie zu ihrer Reise zum heiligen Berge brauchte; aber wir wissen, daß Geduld und Beharrlichkeit sie bei jedem Schritt des Weges getragen haben müssen, und daß ihr Fortschreiten nicht beschwerlich gewesen sein kann, sondern in dem Maße, wie die Erkenntnis der Liebe Gottes immer klarer wurde, immer freudiger geworden sein muß. Auch sie muß, wahrscheinlich ihr selber ganz unbewußt, gelernt haben, das von unserer Führerin erwähnte Lied zu singen, das jeden Schritt zu einem freudigen machte, als menschliche Furcht dem mühelosen Wirken der nie versagenden göttlichen Liebe wich.
Wir alle erfreuen uns des unschätzbaren Vorrechts dieser geistig ruhevollen Arbeit, dieses vollständigen Gehorsams gegen Gott, worin sterbliches Streben und Planen keinen Raum finden, und wo wir die ewige Entfaltung Seiner vollkommenen Erlösung betrachten. Dann werden wir bei diesem Anblick vor Freude jauchzen, wie es die Kinder Gottes stets getan haben; dann werden auch wir jene frohlockenden Worte unserer Führerin auf Seite 568 von Wissenschaft und Gesundheit verstehen: „Ein lauterer Gesang, süßer als er je zuvor zum hohen Himmel emporgedrungen ist, steigt nun klarer und näher zu dem großen Herzen Christi auf; denn der Ankläger ist nicht da, und Liebe läßt ihre ureigne und ewige Weise erklingen”.
Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden, da sie die Motten und der Rost fressen und da die Diebe nachgraben und stehlen. Sammelt euch aber Schätze im Himmel, da sie weder Motten noch Rost fressen und da die Diebe nicht nachgraben noch stehlen. Denn wo euer Schatz ist, da ist auch euer Herz.— Matthäus 6:19–21.
