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Die Freude des Vergebens

Aus der Oktober 1928-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Herr, wie oft muß ich denn meinem Bruder, der an mir sündigt, vergeben? Ist’s genug siebenmal?” lautete die Frage, die Petrus an Jesus richtete. Und aus der Antwort des Meisters geht hervor, daß Vergebung nicht bloß gelegentlich stattfinden soll sondern in ihren Erneuerungen und Segnungen beständig sein muß. Wie oft auch der Bruder oder die Schwester zu sündigen, wie weit jemand vom rechten Wege abzuirren scheine, wie sehr auch unsere Geduld auf die Probe gestellt werden möge, immer gibt es etwas, was uns der Irrtum nie nehmen kann, nämlich die Freude des Vergebens. Wir brauchen nicht zu warten, bis man uns um Vergebung bittet; wir können sie reichlich, aus eigenem Antrieb, ohne Bitte geben. Die Gelegenheit, sie zum Ausdruck zu bringen, kann sogar lang verzögert werden; aber Vergebung veraltet nie; sie veredelt sich und reift in dem Herzen, wo sie zu wohnen pflegt.

Wir brauchen nie etwas Wirkliches oder Wahres zu vergeben, sondern nur das Falsche, nur das, was die Liebe nie kannte. Jesus sagte zu seinen Jüngern, daß sie von ihrem Vater „im Himmel” keine Vergebung empfangen können, wenn sie in ihrem Gebet nicht von Herzen vergeben. Wer nicht vergibt, verschließt sein Herz gegen die Liebe und verriegelt die Tür. Daher kann er die Liebe Gottes, die seine Sünde zerstören und sein Leiden heilen würde, nicht in sich aufnehmen. Daß wir geben müssen, ehe wir empfangen können, ist eines der ersten Gesetze im Himmelreich, und es ist genau so auf Vergebung wie auf alles andere anzuwenden. Wir müssen vollständig vergeben, wenn unsere Gebete erhört werden sollen.

Bei Jesus war Vergebung augenblicklich und dauernd. Die Juden, die seine milde Freisprechung der reumütigen Magdalena hörten, dachten in ihrem Herzen: „Wer ist dieser, der auch die Sünden vergibt?” Was ist es anders als der Christus im Bewußtsein, der Krankheit heilt und auch Sünden vergibt? Wer über Jesu Bekundung des Christus staunte, verstand nicht, daß er alle Arten von Krankheit heilen konnte, eben weil er jede Art von Sünde vergeben konnte. Er glaubte nicht, daß Ungerechtigkeit, Sinnlichkeit, Verrat, Verleumdung oder Undankbarkeit wirklich seien, weshalb er diese Irrtümer, wenn sie vor sein reines Verständnis traten, augenblicklich vergab, und seine Vergebung nahm ihnen ihre vermeintliche Macht. Als Petrus sein Schwert zog und des Hohenpriesters Knecht verletzte, quoll Jesu milde Vergebung sogar angesichts des an ihm verübten Verrats hervor, und er hielt inne, um des Mannes Ohr zu heilen, ehe er dem Kreuz entgegenging. An jenem Kreuze sagte Jesus: „Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun!” Aus der im Griechischen gebrauchten Zeitform scheint hervorzugehen, daß er fortfuhr, diese liebreichen, erbarmungsvollen Worte zu wiederholen.

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