Der Schüler der Christlichen Wissenschaft hat einigermaßen verstehen gelernt, daß die wahre geistige Idee des Gebens in dem Maße, wie er sie erlangt, in einer Fülle des Guten, wovon er geben kann, in Erscheinung tritt. Und wie sich dieses geistige Verständnis entfaltet, befreit es das Denken von dem falschen Begriff des Mangels, indem es den Schüler befähigt, den Reichtum Gottes, des Guten, und die Worte des Meisters zu beweisen: „Gebt, so wird euch gegeben. Ein voll, gedrückt, gerüttelt und überflüssig Maß wird man in euren Schoß geben; denn eben mit dem Maß, mit dem ihr messet, wird man euch wieder messen”.
Das wahre Verlangen, zu geben, sollte in das tägliche Gebet jedes Suchers nach der Wahrheit eingeschlossen werden; denn durch diese Bitte anerkennt er die Segnungen, die er selber empfangen hat, und seine Dankbarkeit wächst mit dem Verlangen, mit anderen zu teilen. Diese selbstlose Haltung ist ein notwendiger Schritt im Beweisen der wahren Gottessohnschaft, der Verwandtschaft mit Gott, dem großen und alleinigen Geber alles Guten. Wenn das Verlangen, zu geben oder widerzuspiegeln, beständig gehegt wird, erhebt sich das Denken über die Argumente des materiellen Sinnes, und es vernimmt die Worte des Vaters: „Mein Sohn, du bist allezeit bei mir, und alles, was mein ist, das ist dein”. Auf diese Art lernt der Sucher verstehen, daß die Fülle Gottes, des Guten, sich immerdar bekundet. In dem Maße, wie sich durch beständiges Erklären der Wahrheit das Geburtsrecht des wirklichen Menschen im Denken entfaltet, wendet sich der Schüler in seinem Bemühen, mehr von dem verstehen zu lernen, was Gott als wahres Geben fordert, an die Heilige Schrift. Zuerst lernt man Gott alle Ehre geben, indem man Ihn als den einen höchsten Herrscher anerkennt, dessen Reich die Stätte des Friedens und der Fülle ist.
Die Bibel ist reich an Berichten über Gaben, die die Menschen Gott darbrachten. Die älteste Form der Gottesverehrung bestand darin, daß man Gott einen Teil seiner irdischen Güter darbrachte, indem man sie als Opfer auf einen Altar legte. Mit der Abgabe des Zehnten ordnete Mose ein systematisches Geben für Gott an. Der Zehnte wurde nicht von dem genommen, was die Leute nach Befriedigung ihrer Bedürfnisse übrig hatten; es war ein Zehntel von allem, was sie hatten. Sie legten die ersten Lämmer ihrer Herden und die ersten Früchte ihres Feldes auf den Altar. So verehrten sie Gott, so dankten sie Ihm für Seinen Schutz und Beistand auf ihrer Wanderung in der Wüste. So freudig stimmten sie diesem Plan bei, daß, als ihnen Gelegenheit geboten wurde, die Stiftshütte zu bauen, wo sie Gott anbeten konnten, ihre Opfer so reichlich und spontan waren, daß Mose bald bekanntgeben ließ, daß genug beigetragen worden sei.
Dieses freigebige Denken, das Gott zuerst gab, trat in der persönlichen und nationalen Wohlfahrt Israels in Erscheinung. Die Israeliten wurden von der Knechtschaft Ägyptens befreit, und es wurde für ihre täglichen Bedürfnisse gesorgt. Dann verfinsterte der Mesmerismus des Glaubens an materielle Substanz ihr Denken, und in ihrer Gier, ihre materiellen Besitztümer zu vermehren, weigerten sie sich, den Zehnten weiterhin zum Altar zu bringen. Sie verloren die geistige Bedeutung ihrer Opfer aus den Augen, und indem sie untereinander argumentierten, daß die Priester persönlichen Gebrauch von ihren Gaben machten, vergaßen sie, daß sie Gott dienten. Auch dachten sie nicht daran, daß Gott durch Mose verordnet hatte, daß diejenigen, die dem Altar dienten, vom Altar leben sollten. Anfechtungen waren die Folge dieses aufrührerischen Denkens, bis das Volk in Demut Buße tat und zu Gott zurückkehrte, freudig den Altar mit würdigen Opfern unterstützte und dadurch, daß es Gott gehorchte, Wohlgefallen bei Ihm fand.
Wir finden in der Bibel Fälle berichtet, wo die Forderungen Gottes dem menschlichen Sinn streng, ja sogar unausführbar schienen. Gehorsam gegen diese Forderungen enthüllte jedoch die reichen Segnungen, die Gott stets für alle bereit hat, die Ihm willig gehorchen. Die Witwe zu Zarpath wandte sich vom Augenschein des materiellen Sinnes ab; und weil sie dem Mann Gottes willig gehorchte und ihm mit etwas Gebackenem zuerst diente, wurde sie von ihrer Furcht vor Mangel und vor dem Tode geheilt und fand die von dem Propheten vorausgesehene Fülle an Öl und Speise.
Die Treue Abrahams, der auf Gott vertraute und mit Ihm verkehrte, wurde auf eine harte Probe gestellt. Dem Befehl Gottes gehorchend baute Abraham einen Altar, um darauf seinen Sohn Isaak zu opfern. Abraham murrte nicht, und auf Grund dieses Beweises seines willigen Gehorsams hörte er die Stimme Gottes ihn loben und ihn und seine Nachkommen ewiglich segnen; und der Widder in der Hecke war zum Opfer an seines Sohnes Isaak Statt vorgesehen.
Es blieb jedoch Christus Jesus vorbehalten, den wahren Begriff vom Geben zu erkennen. Als der Meister einmal mit seinen Jüngern im Tempel saß, machte er sie auf eine arme Witwe aufmerksam, die zwei Scherflein in den Gotteskasten legte. Er wußte, daß die Witwe ihre ganze Habe hergegeben hatte und keinen Lohn dafür erwartete oder wünschte; und er pries ihren Glauben, ihre Dankbarkeit und ihren Edelmut, da er wußte, daß diese Eigenschaften des Denkens wahre Gottesverehrung zum Ausdruck bringen, und daß ihr Opfer ungeachtet seines geringfügigen materiellen Wertes an geistiger Bedeutung reich war.
In der in der Christlichen Wissenschaft uns gegebenen Offenbarung der Wahrheit finden wir die beständige Ermahnung, Gott zu geben,— willig, freudig, reichlich von unserem materiellen Besitz zu geben, uns von dem begrenzten Sinn des sogenannten sterblichen Gemüts abzuwenden und zu beweisen, daß der Mensch geistig ist. Dadurch, daß man so das Bewußtsein zu dem Verständnis der Beziehung des wirklichen Menschen zu Gott dem Vater erhebt, wird einem die unendliche Versorgung des Geistes, des Guten, zugänglich.
Vieler Segnungen geht man verlustig, wenn man fortdauernd fragt: „Was wird die Christliche Wissenschaft für mich tun?” anstatt: „Was kann ich tun, um mich für die Christliche Wissenschaft dankbar zu erzeigen?” Das Denken muß sich zu dem Verlangen erheben, zuerst Gott zu geben. Es ist treffend gesagt worden, Beten in der Christlichen Wissenschaft heiße zu Gott „danke” sagen, ehe man „bitte” sagt.
Ein Schüler der Christlichen Wissenschaft wandte sich in dieser Weise an Gott, nachdem er eine dankbare Gesinnung erlangt hatte. Ehe er anfing, die Christliche Wissenschaft zu studieren, war er vollständig mittellos, krank und infolgedessen der Verzweiflung nahe. Bald, nachdem er begonnen hatte, die christlich-wissenschaftlichen Gottesdienste zu besuchen, erkannte er, daß er in beträchtlichem Maße von Verzagtheit geheilt wurde. Auch kam ihm zum Bewußtsein, daß er seinen Beitrag für die Kirche nicht freudig und bereitwillig gab, und daß es kein Zehntel seiner Habe war. Er nahm dieses Erwachen als Führung an und untersuchte die Frage des Zehnten gründlich. Er horchte nicht auf das Argument, daß er einen solchen Beitrag nicht durchführen könne, und daß er nicht berechtigt sei, das Geld zu geben, da er sehr verschuldet sei. Als er vom Wohlstand derer in der Bibel las, die die ersten Früchte ihrer Arbeit Gott gaben, fühlte er sich ermutigt. Dann suchte er sich das durch Maleachi verkündete göttliche Gebot: „Bringet aber die Zehnten ganz in mein Kornhaus” zu erklären. Es wurde ihm dabei klar, daß mehr verlangt ist als das bloße Teilen von materiellen Gütern. Wie steht es damit, daß wir unsere Zeit mit der göttlichen Liebe teilen? Als der Schüler viele Monate lang die ersten Stunden des Tages gewissenhaft dem Studium und Gebet gewidmet hatte, stellte er Fortschritt und mannigfache Segnungen fest als Ergebnis dieses freudigen Bemühens, Gott die ersten Früchte des Tages zurückzugeben.
Ist das Denken durch das erweckte Verlangen, Gott zu geben, bereichert worden, so sucht man seinen Fortschritt und seine Entfaltung dadurch zu beweisen, daß man den Reichtum Gottes seinem Mitmenschen gegenüber zum Ausdruck bringt; und im täglichen Verkehr bietet sich Gelegenheit zu solchem Geben. Geld ist nicht unbedingt das Nötigste zur Lösung der Schwierigkeiten der Menschen. Für viele bedeutet eine zum freundlichen Gruß entgegengestreckte Hand mehr als jede materielle Gabe: ein freundlicher Blick heilt oft ein verzagtes Herz. Wieder andere, auf denen das Urteil der ärztlichen sogenannten Wissenschaft lastet, horchen auf die Stimme der Hoffnung und Ermutigung, die vertrauensvoll sagt: „Im Namen Jesu Christi von Nazareth stehe auf und wandle!”
Der wachsame Christliche Wissenschafter gibt dem Willen Gottes entsprechend. Er erkennt, daß Leute, die durch die materiellen Sinne getäuscht sind, seiner Freundschaft und seines liebevollen Zuspruchs bedürfen; und vor allem brauchen sie die heilende Botschaft des Christus, der Wahrheit. Er bemüht sich festzustellen, wo sich ihm die beste Gelegenheit bietet, der menschlichen Not abzuhelfen; und er findet sie im unerschütterlichen Unterstützen der christlich-wissenschaftlichen Kirche. Er erweist sich als würdiger Anhänger dieser mächtigen Bewegung, als Bote, der die größte aller Gaben, das Verständnis des Christus, der Wahrheit, verkündigt; und er lernt nicht bloß Geld sondern auch Zeit geben,— er lernt zur Förderung der Sache der Christlichen Wissenschaft von allem, was er hat, freudig, großzügig geben. Er erwacht zu der Erkenntnis der gewaltigen Macht des Guten, die in Tätigkeit tritt, wenn jeder Anhänger der Christlichen Wissenschaft seinen Zehnten ganz bringt. Er beweist die Erklärung der Mrs. Eddy in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” (S. 79): „Geben im Dienst unsres Schöpfers macht uns nicht arm, ebensowenig bereichert uns Zurückhalten”.
Der mit dem Studium der Lektionspredigt, mit wahrer mentaler Arbeit für die Kirche, das Vaterland, die Familie und sich selbst begonnene Tag ist unter solchem Schutze angefangen, daß nur Liebe, Gesetz und Ordnung während der folgenden Stunden Zutritt finden. Und mit dem Schwinden des Begriffes der Zeitbeschränkung erlangt der Schüler einen freieren Begriff vom ewigen Jetzt. Er lernt ganz aus Gott schöpfen, um geben zu können; denn er hat erkennen gelernt, daß Gott alles gibt, was Seine Kinder brauchen, und daß der wirkliche Mensch unter dem nie versagenden Gesetz der Versorgung lebt und immerdar Gottes ewiges Geben widerspiegelt. Dieses Sichverlassen auf Gott als der Quelle der Versorgung ist ein christlich-wissenschaftlicher Vorgang, der fordert, daß wir unaufhörlich wachsam seien und den falschen Glauben, daß unser Geben von uns, von Umständen oder Zuständen abhänge, aufgeben. Wer sich für zu arm zum Geben hält, muß das Armutsgefühl in seinem eigenen irrigen Denken suchen. Gott ist vollkommen, unveränderlich. Kein materieller Zustand kann das ewige Ausströmen der göttlichen Liebe verzögern oder zum Stillstand bringen. Wir müssen wissen, daß kein materieller Zustand oder Gedanke uns hindern kann, den vollkommenen Dienst zu erweisen, der liebevoll, freudig und dankbar die Früchte des Geistes zum Ausdruck bringt. Wer immer darauf achtet, wie er allen, mit denen er verkehrt, dient, wer darauf bedacht ist, guten Dienst zu leisten, wird den Reichtum der göttlichen Liebe in jeder Tätigkeit seines täglichen Lebens ausgedrückt finden, und er wird die Wahrheit der Worte des Apostels beweisen: „Alle gute Gabe und alle vollkommene Gabe kommt von obenherab, von dem Vater des Lichts, bei welchem ist keine Veränderung noch Wechsel des Lichts und der Finsternis”.
