Die Christenheit gibt ohne weiteres zu, daß Christus Jesus der beste Mensch war, der je auf Erden lebte. Wahrscheinlich wird sie ebenso bereitwillig zugeben, daß er bei seinem tiefen Gottesverständnis der weiseste Mensch war. Aber nicht so bereitwillig wird sie der Erklärung zustimmen, daß der Nazarener auch der wissenschaftlichste Mensch war, den die Welt je gekannt hat; denn in der Regel sind die Menschen nicht geneigt, „Wissenschaft” mit Religion und Ethik in Verbindung zu bringen. Beim Nachdenken über diese Dinge kommt einem die Geschichte der Begegnung Jesu mit der Samariterin am Jakobsbrunnen zu Sichar in den Sinn und was sie zu ihm sagte, nachdem sie seinen inspirierten Worten über das ewige Leben zugehört hatte, nämlich: „Ich weiß, daß der Messias kommt, der da Christus heißt. Wenn derselbe kommen wird, so wird er’s uns alles verkündigen”, worauf Jesus erwiderte: „Ich bin’s, der mit dir redet”.
Erst als die Christliche Wissenschaft kam und das Wesen Gottes und Seiner Schöpfung einschließlich des Menschen erklärte, konnte man von Jesus als „dem Wissenschafter” sprechen. Aber diese Wissenschaft zeigt über jeden Zweifel hinaus, daß des Meisters Wissen sich weit über die begrenzten Annahmen der Sterblichen hinaus sogar bis in das Bereich des absoluten Seins erstreckte, daß er die Wirklichkeit genau kannte, und daß dieses wissenschaftliche Verständnis ihn befähigte, alle Formen materiellen Glaubens als unwahr oder unwirklich anzusehen. Jesus verstand, daß Ursächlichkeit dem Wesen nach rein geistig ist,— daß nur der Geist ursächlich ist,— und daß daher die wirkliche Schöpfung geistig, nicht materiell ist. Auf Seite 313 in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” schreibt Mrs. Eddy unter der Randüberschrift „Jesus der Wissenschafter”: „Jesus von Nazareth war der wissenschaftlichste Mensch, der je auf Erden gewandelt ist. Er tauchte unter die materielle Oberfläche der Dinge und fand die geistige Ursache”. Und am Ende des Paragraphen fügt sie hinzu: „Unser Meister gelangte zur Lösung des Seins und demonstrierte das Vorhandensein von nur einem Gemüt, ohne ein Zweites oder Gleiches”.
Es ist herrlich, von Jesus als dem gründlichen Wissenschafter, der er war, denken zu können,— herrlich, zu denken, daß er wie niemand vor ihm die große Grundwahrheit der Einheit und Allerhabenheit des Gemüts erfaßte und auf Grund dieser Kenntnis die Unwirklichkeit der Materie und des Bösen so klar erkannte, daß er die sogenannten Gesetze der Materie vernichten, Krankheit und Sünde heilen, zuletzt für sich selber den Tod überwinden und sich schließlich über den materiellen Gesichtskreis erheben konnte. Und was nicht weniger herrlich ist, ist die Tatsache, daß alle Menschen, die das Verlangen haben, dasselbe wissenschaftliche Verständnis, das er hatte, heute durch die Lehren der Christlichen Wissenschaft erlangen können.
Zuweilen ist der Schüler der Christlichen Wissenschaft versucht, sich noch einmal mit den Methoden und Entdeckungen des Naturwissenschafters, vor dessen ehrlicher Absicht er eine hohe Achtung haben mag, zu befassen. Würde er aber, falls er nachgeben sollte, nicht mehr denn je überzeugt, daß alle solche Entdeckungen nur auf die Unzuverlässigkeit der sogenannten physischen Sinne hinweisen, und daß Erforscher der Materie und ihrer Erscheinungen allmählich selber zu der Überzeugung kommen, daß das materielle Dasein ganz und gar illusorisch ist? Ohne Zweifel sind viele dieser Forscher der sogenannten Naturwissenschaft bereit, zuzugeben, daß die Wirklichkeit außerhalb der materiellen Sinneswahrnehmung und in dem Bereiche des Gemüts, des Geistes, liegt. Natürlich berührt das, was sie zugeben oder nicht zugeben, nicht den Standpunkt in der absoluten Wissenschaft, wo die Tatsachen des Seins bekannt sind und bewiesen werden können.
Christi Jesu Verständnis des vollkommenen Gemüts kam ihm bei jeder Frage, vor die er sich gestellt sah, zu Hilfe. Eine solche Frage war das Wesen des Menschen. Zur Zeit des Meisters glaubte man wie heutzutage, der Mensch bestehe aus Gut und Böse, aus Wahrheit und Irrtum, und er sei sterblich. Jesus aber kannte den Menschen als den Sohn Gottes, als die Idee des vollkommenen Gemüts und daher als vollkommen,— genau wie die Christliche Wissenschaft lehrt. Dies befähigte ihn, jeden Bericht über den Menschen als ungeistig, als materiell oder böse zu leugnen, und so Krankheit und Sünde zu heilen. Denn das korrekte Verständnis des wirklichen, geistigen Wesens des Menschen birgt die Kraft in sich, die irrigen Annahmen über den Menschen zu vernichten. Unsere Führerin sagt vom Meister und seiner Methode (Wissenschaft und Gesundheit, S. 476, 477): „Jesus sah in der Wissenschaft den vollkommenen Menschen, der ihm da erschien, wo den Sterblichen der sündige, sterbliche Mensch erscheint. In diesem vollkommenen Menschen sah der Heiland Gottes eigenes Gleichnis, und diese korrekte Anschauung vom Menschen heilte die Kranken”.
Christus Jesus ist des Christen großes Beispiel. Was er tat, ist der Christliche Wissenschafter bestrebt zu tun. In der ganzen Welt widmen heute viele Männer und Frauen ihr Leben dem Heilen von Krankheit und Sünde auf Jesu Art, wie die Christliche Wissenschaft es ihnen erklärt. Und nichts kommt ihnen bei ihrer Arbeit mehr zustatten als die Erkenntnis, daß der Mensch vollkommen ist, daß er als Gottes Idee nie sündig oder krank ist. Diese Wahrheit hat oft hartnäckige Krankheiten geheilt; denn die verstandene Wahrheit zerstört alles, was ihr unähnlich ist, alles, was unwahr ist.
Man darf aber nicht denken, daß bloßes intellektuelles Zugeben der geistigen Wahrheit für die Heilarbeit genüge. Auch der Geist der göttlichen Wissenschaft muß vorhanden sein,— Reinheit, Demut, Aufrichtigkeit, Liebe, Wahrhaftigkeit, Heiligkeit. Wer wie der Meister die Kranken heilen will, muß nicht nur etwas von seinem wissenschaftlichen Verständnis des Gemüts und des Menschen haben, sondern auch etwas von seiner Christlichkeit. Und in je reicherem Maße er beide hat, desto erfolgreicher werden seine Bemühungen sein. Es hat zuweilen Leute gegeben, die geglaubt haben, sie können ohne den Geist, ohne Liebe, Freude, Friede und Reinheit im Herzen heilen. Das Ergebnis war ein Mißerfolg. Nein, man muß sowohl den Buchstaben kennen als auch den Geist der Wissenschaft haben, ehe man „Jesus den Wissenschafter” erfolgreich nachahmen kann.
Es scheint vielleicht seltsam, daß eine so lange Zeit verstrich, ehe das wissenschaftliche Wesen der Lehre und der Beweisführungen Jesu erkannt wurde,— nahezu zweitausend Jahre liegen zwischen der Geburt des Kindleins von Bethlehem und der Entdeckung der Christlichen Wissenschaft. Doch die Erhabenheit seiner Mission hörte nie auf, bei den Menschen Bewunderung, ja sogar Anbetung hervorzurufen. Mit Recht würdigt die Christliche Wissenschaft das Lebenswerk Christi Jesu, und sie legt es korrekt aus. Die Christliche Wissenschaft zeigt, daß die Lehre des Meisters vollständig wissenschaftlich ist, und daß sie, weil sie wissenschaftlich ist, beweisbar ist. Die Christliche Wissenschaft legt diese Lehre von neuem dar, indem sie das ihr zugrundeliegende immerdar wirksame göttliche Gesetz erklärt; und dadurch macht sie sie allen, die bereit sind, diesem Gesetz zu gehorchen, zugänglich.
