Als die Pharisäer einst tadelten, daß die Zöllner und Sünder mit dem Meister zu Tische saßen, sagte er in der ihm eigenen einfachen und wirkungsvollen Art: „Die Starken bedürfen der Arztes nicht, sondern die Kranken. ... Ich bin gekommen, die Sünder zur Buße zu rufen, und nicht die Gerechten”. Das war also die Sendung des Erlösers der Welt. Sein Leben war ein beständiges Dienen, das fortwährend mit Opfer zum Wohle anderer verbunden war. Daß er später „König aller Könige und Herr aller Herren” genannt werden sollte, konnte diesem treuen Menschenfreunde nie so viel bedeuten wie als „aller Knecht” in Erinnerung behalten und erhöht zu werden; denn er selber sagte, daß der Vornehmste unter den Leuten ihr Knecht sein muß. Dies war er zweifellos, und dafür sind wir ihm Verehrung schuldig. Diese wahre Lebensweise, diese Art zu dienen, schärfte er allen Menschen ein und bewies ihre Möglichkeit durch seine Werke, die, wie er sagte, auch diejenigen tun sollten, die willens sind, wie er es war, das Gesetz Gottes zu befolgen.
Nach dem geistigen Schöpfungsberichte im 1. Kapitel des 1. Buchs Mose ist der Mensch das Bild Gottes, und die Werke Gottes sind unwandelbar. Der Mensch, das Bild Gottes, ist also geistig, nicht materiell,— frei, nicht gebunden. Diese Wahrheit des Seins offenbarte Christus Jesus, und alle Menschen müssen sie verstehen, wenn sie die geistige Sohnschaft — das Einssein mit Gott — erkennen wollen. In Wirklichkeit kann der Mensch unmöglich von Gott getrennt sein, da er ja Sein vollkommenes Bild ist.
Jedermann kann sich hier und jetzt der Gegenwart des Christus, der Wahrheit, bewußt werden. Diese Erkenntnis ist aber nur dadurch zu erlangen, daß man materielle Wünsche opfert und willens ist, Gott als allerhaben anzusehen, von Ihm zu lernen, Seiner Stimme zu lauschen und jedes Seiner Gebote zu halten. Dies ist für das geistige Verständnis und das Beweisen wesentlich. Es heißt die wahre Kirche, die Mrs. Eddy in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” (S. 583) so treffend als „den Bau der Wahrheit und Liebe” erklärt, im eigenen Bewußtsein bauen. Ungeachtet dessen, was für den materiellen Sinn vor sich zu gehen schien, lebte Christus Jesus in der bewußten Erkenntnis, daß Gott das einzige Gemüt ist. Er richtete den Blick auf Gott, um zu sehen, was wirklich ist; und wenn etwas, was er zu erleben schien, im Widerspruch mit der Wahrheit stand, wußte er, daß der Zustand unwirklich und daher machtlos war.
Dies ist die wunderbare heilende Botschaft, die des Meisters Werk uns allen bringt. Wenn wir sie hören und bestrebt sind, zu folgen, wohin sie führt, dann helfen auch wir den Christendienst weiterführen. Gehorchen wir ihrer Aufforderung aber nicht, wenn wir sie hören, weil uns der Weg vielleicht zu schwierig dünkt und zu viel menschliches Opfer fordert, dann erschweren wir uns den Weg für später. Sind wir gegeneinander freundlich? Dann sind wir treu gegen den Christus, die Wahrheit. Sind wir mitfühlend, versöhnlich und geduldig gegen einen andern und liebevoll darauf bedacht, ihm zu helfen, seine Fehler zu überwinden? Sind wir ferner dem uns vorgesetzten Vorbilde treu? Trösten wir die Leidtragenden und suchen wir die sie quälenden Befürchtungen dadurch zu vernichten, daß wir sie ermutigen, auf das Gute und auf dessen Kundwerdung für jedermann zu vertrauen? Dann sind wir ehrliche Jünger dessen, der sein Leben gab zu einer Erlösung für viele. Wenn wir uns aber Christen nennen und auch nur einen dieser Punkte vernachlässigen, verdienen wir nicht den Namen, den wir tragen, und müssen uns unbedingt bessern. Kein einziger möchte als mangelhaft erfunden werden im Erfüllen dessen, was von denen gefordert wird, die den Namen Christi nennen. Aber zuweilen nehmen wir es nicht ernst genug; wir strengen uns nicht genügend an, menschliche Zustände scheinen zu schwierig, oder wir lassen der Wahrheit nicht die Vorherrschaft in unserem Leben. Dann müssen wir unbedingt beten, daß uns die Wahrheit zur Hauptsache werde. Alles andere muß zurücktreten. Gott und Sein Gesetz müssen in unserem Denken und Leben immer zuerst kommen.
Da Jesu Sendung in erster Linie im Heilen bestand, ist das Heilen auch die Sendung seiner Nachfolger. Wir sehen viele Menschen ob scheinbar schwerer Erlebnisse in Hoffnungslosigkeit versinken. In ihnen muß ein neuer Glaube an das Gute und dessen immer gegenwärtiges Wirken, eine lebendige Hoffnung auf bessere Dinge wachgerufen werden. Sie müssen durch dieses liebevolle Dienen zu der Überzeugung kommen, daß die göttliche Liebe „nimmer aufhöret”. Paulus erwähnt drei Dinge, die bleiben: „Glaube, Hoffnung, Liebe”; und er fügt hinzu: „aber die Liebe ist die größte unter ihnen”. Das sind also die notwendigen Dinge, die jeder Nachfolger des Meisters zuerst sich zu eigen zu machen und dann mit anderen zu teilen trachten muß; denn alle Menschen bedürfen ihrer. Auf Seite 212 in „Miscellaneous Writings” gibt uns unsere Führerin die klare Erklärung: „Jesus tat seine Arbeit und hinterließ uns seine herrliche Laufbahn als Beispiel”; und auf derselben Seite weiter unten schreibt sie: „Die Christliche Wissenschaft beweist, daß der menschliche Wille im Göttlichen aufgeht; und die Liebe, der weiße Christus, ist die Vergelterin”. Es ist also die Liebe, die heilt — die zum Fleisch kommt, um allen Irrtum zu zerstören.
Jesus beanspruchte nicht, wie es die Sterblichen so gerne tun, ein von Gott getrenntes, eigenes Gemüt. Er wartete auf Gottes Führung und folgte ihr in Wort und Tat. Dann ist es gewiß notwendig, daß wir wie Jesus ein verständiges Herz und Liebe zu Gott und den Menschen erlangen.
Dieser große Heiler und Offenbarer Gottes unter den Menschen sagte von sogenannten Irrsinnigen, sie seien von einem Teufel besessen. Er sagte nicht, der Teufel sei eine Person, sondern der Betreffende sei von einem Teufel besessen. Besitzen [die Grundform von besessen] heißt zu eigen haben, Herr über etwas sein; und so war es. Der Hilfsbedürftige war scheinbar in der Gewalt eines bösen Einflusses, der ihn beherrschte. Daher war er nicht er selber, wie wir sagen, indem wir uns besser ausdrücken, als wir wissen; denn der wahre Mensch, die ideale Selbstheit, ist stets der Sohn des Höchsten. Durch Vernichtung des bösen Einflusses und seines Anspruchs auf Macht wurde das Opfer befreit. Auch Stummheit nannte der Meister einen Teufel; und als dieser ausgetrieben war, konnte der mit dem Gebrechen Behaftete richtig sprechen. War das nicht das Austreiben eines Glaubens an Einschränkung, Begrenzung, Hemmung? Sind nicht alle falschen Annahmen Teufel oder falsche Gedanken? Während wir zuweilen das Empfinden haben, als ob böse Annahmen tatsächlich Legion seien, können wir Gott von Herzen dafür danken, daß sie, in welcher Form sie auch auftreten mögen, nie wirklich sind und so wenig zum geistigen Menschen gehören, wie sie zu Gott gehören.
Es ist erhebend, an die Heilung des Blinden zu denken, der dem Meister, als dieser vorüberging, zurief und ihn bat, ihn sehend zu machen. Die Einfachheit dieser Heilung beweist, daß es keiner Zeit bedarf, die Wahrheit zu behaupten und aufzurichten; denn Jesus sagte zu dem Manne: „Sei sehend!” Das war alles: nimm es, glaube es, wisse, daß du es hast. Und als Jesus ruhig seines Weges ging, war der Mann geheilt.
Wer bestrebt ist, dem Meister nachzufolgen, muß beten: „Dein Wille geschehe”, jetzt und immer. Gott drückt sich in Seinen eigenen Ideen aus, und es gibt nichts anderes, gab nie etwas anderes und wird nie etwas anderes geben; und unsere Sendung besteht darin, diese Wahrheit des Seins zu erkennen und offenbar werden zu lassen. Eine Erklärung des Wortes „Sendung” lautet: „Erwählt und mit Ermächtigung gesandt, einen besonderen und wertvollen Dienst auszuführen”. Dies traf bei Jesus zu. Es traf auch bei unserer Führerin Mary Baker Eddy zu, und es wird, wenigstens einigermaßen, bei allen zutreffen, die bereit sind, die menschliche Auffassung der Dinge für die göttliche aufzugeben. Wenn wir das aufrichtige Verlangen haben, dies zu tun, und wahrhaft willens sind, die erforderlichen Opfer zu bringen, die letzten Endes gar keine Opfer sind, werden wir zu wahrem Dienen in Christi Namen verwendet werden.
Jeder von uns hat als Anhänger der Christlichen Wissenschaft die Pflicht, diese heilende Sendung des Christus, der Wahrheit, getreulich weiterzuführen, damit die Welt nie wieder solche Finsternis und Unwissenheit durchzumachen braucht wie damals, als persönlicher Stolz und zeitliche Macht den geduldigen Nazarener und das Werk, dem er sein irdisches Leben opferte, fast aus dem Gedächtnis der Menschen verdrängte. Die Welt wurde in praktischer Weise wieder auf den vollen Inhalt seiner Lehre aufmerksam durch die Frau, die die Christlichen Wissenschafter freudig ihre Führerin nennen. Müssen wir also nicht darüber wachen, daß dieses Licht nicht getrübt werde? In ihrer Botschaft an Die Mutter-Kirche für das Jahr 1902 schreibt Mrs. Eddy (S. 9): „Die Einheit Gottes und des Menschen ist nicht der Traum eines erhitzten Gehirns; sie ist der Geist des heilenden Christus, der von Ewigkeit her im Schoße des Vaters wohnte und auf ewig im Menschen bleiben sollte”.