Im 4. Kapitel des Evangeliums des Johannes lesen wir, daß Jesus auf die Mahnung der Jünger: „Rabbi, iß!” mit den bedeutungsvollen Worten antwortete: „Ich habe eine Speise zu essen, von der ihr nicht wisset”. Welcher Art war die Speise, von der der Meister sprach? Wie wurde sie ihm zuteil? Aus seiner Antwort geht klar hervor, daß er von der geistigen Wahrheit sprach, die natürlich und unentbehrlich ist. Im 6. Kapitel desselben Evangeliums weist Jesus eindringlich auf das „Brot des Lebens” hin, das allen Hunger stillen werde, und das allen, die mit ehrlichem Herzen darum bitten, reichlich dargeboten wird.
Wenn wir das Studium der Christlichen Wissenschaft beginnen, können wir zuweilen lange Zeit nicht begreifen, warum auf das tägliche Lesen der Bibellektionen im christlich-wissenschaftlichen Vierteljahrsheft Nachdruck gelegt wird. Einen Schüler befriedigte dieses Studium anfangs nicht, und manchmal hatte er das Verlangen, die dafür verwendete Zeit, wie es ihm schien, besser und vorteilhafter anzuwenden. Er wurde sich nur allmählich der Wichtigkeit der Teilnahme an der täglichen geistigen Speisung bewußt; und dies zeigte sich darin, daß er gehorsam den verlangten ersten Schritt machte. Wie ein Kind, das willig lernt und den Forderungen des Lernens nachkommt und sie erfüllt, vielleicht ohne ihre wahre Bedeutung schon zu verstehen, machte er den ersten Schritt. Später erkannte der Schüler, daß er sich selber beraubt hätte, wenn er den Einflüsterungen nachgegeben hätte, die ihn gehindert hätten, seine Pflicht gegen Gott und sein eigenes geistiges Selbst zu erfüllen. Er hätte seinen eigenen geistigen Fortschritt versäumt und wäre so in der Finsternis sterblicher Annahmen geblieben.
Wie natürlich es uns vom menschlichen Standpunkte aus scheint, täglich mehrmals materielle Nahrung zu uns zu nehmen in dem allgemein angenommenen Glauben, daß sie für unser Leben unentbehrlich sei! Sind wir uns bewußt, daß der Mensch in Wirklichkeit nicht körperlich sondern geistig ist, und daß demnach unser größtes Verlangen sein sollte, geistige Nahrung zu uns zu nehmen und diese als unsere wahre Erhaltung anzusehen? Wie unnatürlich es doch ist zu glauben, daß die liebevolle Sorgfalt und Pflege, die wir als Gottes Idee unserem wirklichen Selbst angedeihen lassen, zwecklos und unberechtigt sei! Wie bei allen rechten Tätigkeiten Übung den Meister macht, so werden wir uns durch treue und beharrliche geistige Schulung unseres geistigen Einsseins mit dem Vater immer mehr bewußt.
Unsere weise Führerin Mary Baker Eddy schreibt im Lehrbuch „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” (S. 25): „Jesus stellte das Ideal Gottes besser dar, als irgend ein Mensch es vermocht hätte, dessen Ursprung weniger geistig war. Durch seinen Gehorsam gegen Gott demonstrierte er das Prinzip des Seins in geistigerer Weise als alle andern”. Worin bestand Jesu Gehorsam, der ihn befähigte, sich über Sünde, Krankheit und Tod zu erheben und anderen zu zeigen, wie sie desgleichen tun können? In dem bewußten Anwenden und dem dauernden Beweisen alles dessen, was Gott ihm offenbarte — was er geistig verstand. Jesu Erkenntnis seines Einsseins mit dem Vater erhob ihn über sterbliche Täuschungen. Diese Erleuchtung kam ihm jedoch durch Gehorsam und Treue gegen Gott. Er gab uns eine bestimmte Regel, die alle anwenden sollten, als er zu seinen Jüngern sagte: „Meine Speise ist die, daß ich tue den Willen des, der mich gesandt hat, und vollende sein Werk”. Demnach ist Gespeistwerden nicht das Erwerben oder Erlangen eines Verständnisses des Buchstabens, sondern das demütige Ausführen des göttlichen Willens, das bewußte Widerspiegeln göttlicher Eigenschaften.
Die Jünger baten einst Jesus um Erlaubnis, das hungrige Volk, das bei ihm in der Wüste weilte, wegen Mangels an Nahrung heimzusenden. Jesus sagte: „Es ist nicht not, daß sie hingehen; gebt ihr ihnen zu essen”. Die Jünger verstanden offenbar die stets gegenwärtige Fülle der segnenden und heilenden Gedanken Gottes nicht genügend, um den notwendigen Beweis zu erbringen. Jesus zeigte ihnen dann liebevoll, daß das Verständnis geistiger Substanz allen äußeren Mangel aufhebt; und er bewies die Fülle von Nahrung für alle.
Wie oft haben die geistig Hungernden das Verlangen, gespeist zu werden! Sind wir stets geistig so ausgerüstet, daß wir ihnen geben können, was ihnen not tut? Manchmal scheint es, als ob wir nicht genug geistiges Verständnis hätten, um sie zu befriedigen. Ist es nicht ein begrenzter Begriff von Substanz, den wir festhalten, weil wir materiell statt geistig sehen, und weil wir die Lage nur nach dem äußeren Augenschein beurteilen? Und wenn trotz ernsten Sehnens die erhofften Beweise ausbleiben, ist es dann nicht unser Glaube an Mangel an geistiger Erkenntnis, der uns hindert, denen zu geben, die geistige Nahrung suchen?
Der Psalmist erkannte klar, daß wahre Speise nur aus der göttlichen Quelle kommt, als er schrieb: „Aller Augen warten auf dich, und du gibst ihnen ihre Speise zu seiner Zeit. Du tust deine Hand auf und erfüllest alles, was lebet, mit Wohlgefallen”. Unsere geliebte Führerin schreibt in ihrer Botschaft an Die Mutterkirche für das Jahr 1896 die segnenden Worte (Miscellaneous Writings, S. 127): „Wenn ein hungerndes Herz den göttlichen Vater-Mutter-Gott um Brot bittet, wird ihm nicht ein Stein,— sondern mehr Gnade, Gehorsam und Liebe — zuteil. Wenn dieses Herz demütig und vertrauensvoll die göttliche Liebe aufrichtig bittet, mit dem Brot des Himmels — Gesundheit und Heiligkeit — gespeist zu werden, wird es für die Erhörung seines Verlangens empfänglich gemacht; dann wird in dieses Herz ‚der Strom Seiner Wonne‘ (engl. Bibel), der Zustrom der göttlichen Liebe, fließen, und großes Wachstum in der Christlichen Wissenschaft wird folgen,— eben jene Freude, die das eigene Gute in dem des andern sieht”.
Möchten wir doch stets danach trachten, uns unseres Einsseins mit Gott, der Quelle alles Guten, bewußt zu sein, deren nie versiegende Fülle stets zu Gebote steht, um uns mit dem „Brot des Lebens” zu versehen!
