Die Christlichen Wissenschafter sollten über die Worte Christi Jesu nachdenken; denn der große Meister erfaßte „die Tiefen der Gottheit” von Grund aus, und eine Kenntnis der ewigen Wirklichkeiten kennzeichnete seine Äußerungen. Ebenso sollten die Christlichen Wissenschafter über die Worte der Mary Baker Eddy, der Entdeckerin und Gründerin der Christlichen Wissenschaft, nachdenken; denn sie war eine gehorsame Jüngerin des großen Lehrers, und sie bewies dieselbe Wahrheit, die Jesus lebte und liebte.
Christus Jesus gebrauchte wiederholt die Ausdrücke „ärgern” und „geärgert”. Er ermahnte seine Jünger, sich um der Wahrheit willen nicht zu ärgern. Ein Wörterbuch erklärt die biblische Bedeutung des Wortes „ärgern” mit: „zum Straucheln oder zum Sündigen bringen”.
Untersuchen wir, wie das Wort „ärgern” in den vier Evangelien gebraucht wird, so bietet sich uns viel, worüber wir mit Nutzen nachdenken können. Durch diese Untersuchung und durch unsere eigenen Erlebnisse als Christliche Wissenschafter kommen wir zu der Erkenntnis, daß die Nachfolger Christi Jesu im allgemeinen sich aus zwei Gründen ärgern könnten: erstens über die Abneigung, die christlich-wissenschaftliche Lehre zu befolgen, zweitens über die Verfolgungen und Angriffe des Hasses der Welt gegen die Wahrheit.
Viele Nachfolger Jesu ärgerten sich einst über seine Lehren, und Johannes berichtet: „Von dem an gingen seiner Jünger viele hinter sich und wandelten hinfort nicht mehr mit ihm”. Andere nahmen seine Lehren gern und willig an. Dies traf besonders auf die elf Jünger zu. Aber diese hatten eine schwerere Probe—die Geißel der Verfolgung—zu bestehen. Damit sie dem menschlichen Widerstand gegen das Göttliche gewachsen sein würden, stärkte und ermutigte sie der Meister häufig durch Gebet und Anweisung. Er lehrte sie, die bürgerlichen Behörden und die Kinder nicht zu ärgern. Er lehrte sie, jede falsche Annahme aufzugeben, die ihr Denken verfinstern, sie zu Abfall vom Glauben verführen oder sie veranlassen könnte, die göttlichen Wahrheiten, die er sie gelehrt hatte, zu verleugnen.
Das Sich-ärgern kann sich auf die verschiedensten Gebiete beziehen. Man kann sich über einen Freund wegen eines unbedeutenden Fehlers ärgern, oder man kann sich durch menschliche Irrtümer so bestricken lassen, daß man sich über den Christus, die Wahrheit, sogar in solchem Maße ärgert, daß man sie verleugnet. Dies mag das sein, was Jesus die Sünde wider den heiligen Geist nennt. Wer sich vom Ärger allzuleicht übermannen läßt, verdüstert seinen Sinn, schwächt seine geistigen Tätigkeiten und verliert seine von Gott stammende Heilkraft ganz aus den Augen. Christus Jesus machte klar, daß man, um das Himmelreich zu erlangen, Unwissenheit, Haß, Furcht und Sünde von Grund aus und vollständig zurückweisen muß. Er erklärte: „So aber deine Hand oder dein Fuß dich ärgert, so haue ihn ab. ... Und so dich dein Auge ärgert, reiß es aus”.
Der Meister machte seine Jünger darauf aufmerksam, daß diejenigen, die in der Wahrheit nicht fest gegründet sind, in der Versuchung abfallen können. Denn „wenn sich Trübsal oder Verfolgung um des Wortes willen erhebt, so ärgern sie sich alsbald”. Während der drei ereignisreichen Jahre seines Wirkens auf Erden war der große Lehrer beständig darauf bedacht, seine Nachfolger gegen Abfall, Verwerfung seiner Lehren oder Ärger zu stärken. Er wußte, daß den Beweisgründen falscher Theologie und dem Widerstand menschlicher Annahmen gegenüber standhaft bleiben sittlichen Mut und unerschütterliches Festhalten an der Wahrheit erfordert. Er bereitete sie auf jene schwerste Probe ihrer Treue gegen die Wahrheit vor, die kommen mußte, wenn sie ihn auf seiner letzten Reise nach Jerusalem begleiten würden, um dort dem in kirchlicher und bürgerlicher Gewaltherrschaft so beharrlich bekundeten menschlichen Haß entgegenzutreten und ihn zu meistern.
Inmitten seiner namenlosen Pein, wissend, daß ihm sein Verhör und seine Kreuzigung unmittelbar bevorstanden, widmete er der Stärkung und Kräftigung seiner Jünger viel Zeit. Er kannte die Schwachheit des sterblichen Denkens, seine Neigung, dem Druck des sterblichen Widerstandes gegen göttliche Dinge zu erliegen. Er wußte, daß es notwendig war, die Jünger aufzurütteln, alle ihre geistigen Hilfsquellen bereitzuhalten, damit sie während des auf Golgatha gegen ihn, ihren Meister, und gegen sie als seinen Jüngern gerichteten Anschlags des Hasses standhaft bleiben würden. Wie zärtlich besorgt er aber inmitten seines eigenen Ringens um seine Jünger war! Es war ihm daran gelegen, sie zu stärken, daß sie treu bleiben konnten, wenn er nicht mehr persönlich bei ihnen sein würde. Die Welt hat kein anderes Beispiel solch selbstloser Liebe, wie der Meister sie seinen Jüngern in seinen letzten Stunden nach dem Passahmahl erzeigte. In seinem Gespräch mit ihnen nach diesem Abendmahl nahm er seinen ganzen geistigen Reichtum an Zärtlichkeit, Erbarmen, Zuversicht und Liebe zu Hilfe, um sie auf die höchste Probe ihrer Hingebung vorzubereiten. Bei dieser Unterweisung gebrauchte er das Bild des Weinstocks und der Reben und machte ihnen die immerwährende Einheit des Menschen mit Gott klar. In dieser von Johannes berichteten wunderbaren Rede sagte er, warum er sie so ermahnt hatte. Er sprach: „Solches habe ich zu euch geredet, daß ihr euch nicht ärgert”.
Aus harter und bitterer Erfahrung kannte unsere geliebte Führerin Mrs. Eddy vollauf die an Christliche Wissenschafter herantretende Versuchung, sich zu ärgern, von der Gemeinschaft in der Wahrheit abzufallen. Einige ihrer ersten Schüler, die auf allerhand Einflüsterungen hörten, ärgerten sich und wandelten nicht mehr mit ihr. Einige fielen ab, weil sie unwürdigem Ehrgeiz erlagen, andere, weil sie keine Verfolgung erdulden wollten, wieder andere, weil sie die Dinge der Welt liebten und sie nicht aufgeben wollten. Aber unsere Führerin wankte nie. Unerschütterlich hielt sie den Blick auf „das unerforschliche Reich des Gemüts” (Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift, S. 264) gerichtet. So klar, so wahr erschaute sie den Christus, daß kein Leiden um der Gerechtigkeit willen, kein bitterer Kelch menschlichen Hasses, der Bosheit oder des Leids sie von dem Pfad ablenken konnte, der, obgleich manchmal steil und schwierig, sich immer aufwärts wand. Sie konnte sich nicht ärgern; denn ihre Vorstellung von der Einheit des Menschen mit Gott war so klar, so vollständig, daß kein sterblicher Irrtum, keine menschliche Erdichtung sie davon abbringen konnte.
In ihren Kämpfen mit der Sünde und mit Sündern bezahlte Mrs. Eddy wie ihr großer Beispielgeber den Preis eines erhabenen Sieges. Sie behauptete sich gegen materielle Gesetze und Annahmen. Durch ihre Unerschütterlichkeit gewann sie die „köstliche Perle”—geistiges Verständnis. Was für ein herrliches Beispiel von Standhaftigkeit und Treue gegen die Wahrheit Christus Jesus und unsere Führerin geben! Nie sich ärgern, nie in Irrtum verlockt werden—welch herrliche Vollendung! Obgleich Christus Jesus den Preis mit seinem letzten erhabenen Opfer am Kreuz bezahlte, wich er nie von seiner unerschütterlichen Treue gegen Gott ab. Er wußte, daß der Christus, die Wahrheit, ihn in seiner bitteren Erfahrung aufrecht erhalten würde, und er blieb standhaft, bis er jede Vorstellung von Sterblichkeit überwunden und sein Recht, zur Rechten des Vaters zu sitzen, endgültig bewiesen hatte.
Die Christlichen Wissenschafter müssen sehr auf der Hut sein, daß sie sich nicht ärgern und dadurch in den Irrtum fallen oder abtrünnig werden. Es mag uns zuweilen großes Unrecht zugefügt werden; aber Unrecht leiden ist nie ein triftiger Grund, daß wir unsern Nächsten hassen oder von der Christlichen Wissenschaft abfallen, oder aus einer Zweigkirche oder aus Der Mutterkirche austreten. Geschieht uns Unrecht, so brauchen wir nicht widerwärtig und unzufrieden zu werden. Vielmehr sollte es uns zu dem Entschluß bringen, uns um so inniger an unsere höchste Vorstellung von Gott zu halten, ohne Unterlaß zu beten, daß Gott uns führe und schütze, und zu wissen, daß nur die Liebe das Weltall und den Menschen in Übereinstimmung mit der unendlichen Weisheit und Gerechtigkeit regiert.
Als Nachfolger unseres Meisters Christus Jesus und unserer Führerin Mrs. Eddy werden wir wohl Verfolgung erdulden müssen. Mögen wir, wenn wir gehaßt, verfolgt, verleumdet werden und der Kelch bitter scheint, doch nie vom Pfad der Gerechtigkeit abweichen, nie über den Weg durch die Wüste murren, nie uns ärgern! Freuen wir uns vielmehr, daß Gott sich uns durch die Christliche Wissenschaft geoffenbart hat! Dieses Erschauen Seiner Kraft, Schönheit und Heiligkeit entschädigt uns reichlich für alles uns scheinbar widerfahrene Böse. Ja, es ist eine außerordentliche Ehre, so viel Verständnis von Gott und dem Menschen erlangt zu haben, daß wir uns so vom Materiellen getrennt haben, daß wir uns den Haß der Welt zuziehen. Die Welt haßte Christus Jesus, und sie haßte Mrs. Eddy, ehe sie uns haßte. „Brüder, vergebt, wie Jesus vergab! Ich sage es mit Freuden: niemand kann mir eine Beleidigung zufügen, die ich nicht vergeben könnte”, schrieb unsere verehrte Führerin (Botschaft an Die Mutterkirche für das Jahr 1902, S. 19).
Wir sollten immer willig und bereit sein, den Forderungen der Wahrheit nachzukommen. Die Wahrheit ist radikal, wir müssen uns bis zum äußersten auf sie verlassen. Wir können nicht der Wahrheit dienen und gleichzeitig an Arzneien, Glaubenssätzen, Befürchtungen, Haß und Vorurteilen festhalten. Alles dem Göttlichen Unähnliche muß abgelegt werden. Indem wir uns in die Christliche Wissenschaft vertiefen und ihr göttliches Prinzip besser verstehen lernen, müssen wir menschliche Hindernisse immer mehr abstreifen. Zögern wir oder murren wir über die Forderungen Gottes, so können wir dadurch unwissentlich die Tür unseres Denkens einem bedrängenden Heer böser Einflüsterungen öffnen. Lassen wir böse Einflüsterungen in unserem Denken Fuß fassen, dann können unsere wissenschaftlichen Anschauungen von Gott, vom Menschen, von der Bewegung, Der Mutterkirche und den Zweigkirchen entstellt werden, und wir wenden uns gar von ihnen ab—sehen sie nicht mehr in ihrem wahren geistigen Licht.
Manchmal mag sich ein Christlicher Wissenschafter über die Regeln und Satzungen des Kirchenhandbuchs ärgern, besonders über Artikel IV, Abschnitt 1, wo es heißt: „Die Bibel in Verbindung mit Wissenschaft und Gesundheit und anderen Werken von Mrs. Eddy sollen seine einzigen Lehrbücher beim Selbstunterricht in der Christlichen Wissenschaft wie beim Lehren und Ausüben des metaphysischen Heilens sein”. Warum sah Mrs. Eddy diese Satzung vor? Weil sie zum Schutz und Halt der christlich-wissenschaftlichen Bewegung notwendig ist. Sie wußte, daß die Bibel und ihre göttlich eingegebenen Schriften genügen, alle Sünde und Krankheit zu heilen, ja, „den letzten Feind”—den Tod—zu zerstören und alle Menschen in das Reich Gottes, die himmlische Einmütigkeit, zu führen. Ebenso wußte sie, daß andere Anschauungen, die von ihrer Lehre abweichen, dem Schüler auf seinem Wege himmelwärts nicht helfen, sondern seinen Blick trüben und ihn hindern können,—daher die liebliche Vernünftigkeit jenes Abschnitts im Handbuch.