„Eine dreifältige Schnur reißt nicht leicht entzwei” (Pred. 4, 12) ist ein treffendes Sprichwort, das schon 200 Jahre vor dem Kommen Christi Jesu, der das Krämerwesen mit einer Geißel aus Stricken aus der Stätte der Andacht austrieb (vgl. Joh. 2, 15), niedergeschrieben wurde. Heute tut jeder Christliche Wissenschafter gut daran, sich zu vergewissern, daß er seine Bemühungen mit dreifältigen Schnüren, die nicht leicht entzweireißen, bindet.
Es gibt drei Phasen wirksamer Anwendung der Christlichen Wissenschaft, die man vielleicht kurz als die praktische, die verstandesmäßige und die geistige bezeichnen kann. Nur bei Verschmelzung aller drei im richtigen Verhältnis tritt eine vollständige Darlegung unserer Religion in Erscheinung. Wird die eine oder die andere ungebührlich vernachlässigt, so können die gewünschten Ergebnisse ausbleiben. Wie zum Wachstum der Pflanzen Erde, Licht und Feuchtigkeit nötig sind, so muß sich das Praktische, das Verstandesmäßige und das Geistige bei unserem Darbieten und Beweisen der Christlichen Wissenschaft harmonisch miteinander verbinden, damit die Menschen sie verstehen und wertschätzen können. Dies ist der von Mrs. Eddy in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” (S. 256) angedeutete Vorgang und Fortschritt: „Während der Gedanke zu einer höheren Ebene der Tätigkeit vorwärts schreitet, erhebt er sich vom materiellen zum geistigen Sinn, vom Schulmäßigen zum Inspirierten, vom Sterblichen zum Unsterblichen”.
Wie mit den beweisbaren und pragmatischen Bestandteilen unserer Religion so verhält es sich auch sowohl mit ihren darlegenden und erklärenden als auch mit ihren idealen und göttlichen Bestandteilen. Führt uns unsere natürliche Veranlagung, die praktische Seite unserer Arbeit zu betonen, zur Vernachlässigung der verstandesmäßigen und geistigen, so sollten wir ein rechtes Verhältnis aller drei anstreben, damit unser Denken in den ungeteilten Rock gekleidet ist. Liegt unser Ziel drei Meilen vor uns, so können wir es nicht erreichen, wenn wir nur eine Meile oder auch zwei zurücklegen. Die Wissenschaft des Gemüts-Heilens muß mit der Kunst ihrer Anwendung Hand in Hand gehen.
Wir können versuchen, die Christliche Wissenschaft unseren Freunden von einem praktischen Gesichtspunkt oder von einem verstandesmäßigen Standpunkt oder nur von einer rein geistigen Grundlage aus zu erklären. Wenn wir aber nicht alle diese Bestandteile einschließen, haben wir sie nicht gründlich dargeboten. Erklären wir sie von einem praktischen Gesichtspunkte aus, so finden wir gewöhnlich mehr und teilnahmsvollere Zuhörer. Der Durchschnittszuhörer hat es gern, wenn er unterhalten wird oder wenigstens etwas hört, was er leicht versteht, ohne dabei viel denken zu müssen. Es ist leicht, Leute zu finden, die, wenn nicht von Vorurteil eingenommen, aufmerksam zuhören, wenn von dem greifbaren Teil der Christlichen Wissenschaft, ihren eindrucksvollen Heilungen, ihrer allgemeinen Verfügbarkeit und ihrer Anwendbarkeit zur Verbesserung jedes falschen Zustandes die Rede ist. Das ist jedoch nur ein Teil der Sache, obgleich sich viele Menschen zuerst durch das, was sie hörten, für die Christliche Wissenschaft interessierten und nachher mehr dazu lernten.
Erklären wir nun die Christliche Wissenschaft denselben Leuten nur von einem verstandesmäßigen Standpunkte aus, so erfüllen wir unsere Aufgabe ebenfalls unvollständig. Sagen wir ihnen z.B., daß rechtes Handeln rechtem Denken entspringt, und daß die Erkenntnis und das Verständnis der Allmacht, der Allwissenheit und der Allgegenwart Gottes für harmonische Körperund Gemütszustände unerläßlich ist, daß das sterbliche Gemüt und der Körper eins sind, und daß Furcht, Unwissenheit und Sünde unwirklich sind, so wenden wir uns an ihre verstandesmäßigen Fähigkeiten, d.h. wir geben ihnen etwas zum Nachdenken; aber unser Bild ist unvollständig, weil ihm zwei wichtige Bestandteile fehlen, nämlich die praktische und die geistige Grundlage der Christlichen Wissenschaft.
Im folgenden seien diese drei Phasen kurz beschrieben, damit der Leser seine seelischen Eigentümlichkeiten besser zergliedern und feststellen kann, welche Änderungen er zu seinem Vorteil treffen kann.
Der Christliche Wissenschafter, dem das Greifbare und Wahrnehmbare am meisten gilt, nimmt seine Probleme gewöhnlich vom praktischen Standpunkte aus in Angriff. In Krankheitsfällen schenkt er gern körperlichen Zuständen und Anzeichen mehr Aufmerksamkeit als ihrem seelischen Hintergrunde. Er schreibt körperliche Ergebnisse ungebührlich körperlichen Ursachen zu. Für ihn ist seelische Ursächlichkeit im Vergleich mit materiellen Kundwerdungen von untergeordneter Bedeutung. Selbst wenn er liest und sich vertieft, machen Heilungszeugnisse mehr Eindruck auf ihn als Fälle sittlicher Besserung und geistiger Erneuerung. Er ist geneigt, häufiger Gottes Allmacht als Seine Allwissenheit und Allgegenwart zu erwähnen. Macht spricht ihn mehr an als Verständnis. Er freut sich über den Mechanismus der Christlichen Wissenschaft, d.h. über die Abteilungen und Einrichtungen, die Arbeitsweisen und Erzeugnisse unserer Bewegung. Er beteiligt sich rege an der Kirchenarbeit, ist ein guter Kirchenbeamter, hält am Hergebrachten fest und ist sehr beflissen, die Christliche Wissenschaft seinen Freunden darzubieten. Er macht auf Neulinge den Eindruck eines vorbildlichen Christlichen Wissenschafters; aber es tut ihm zur Abrundung und Erweiterung seiner Brauchbarkeit als vorbildlicher Vertreter der von Mrs. Eddy geoffenbarten göttlichen Wissenschaft mehr vom Verstandesmäßigen und Geistigen not. Der Christliche Wissenschafter, der das körperliche Heilen übermäßig entwickelt, so daß er andere Phasen seiner Religion vernachlässigt, bedarf mehr dessen, was unsere Führerin in „The First Church of Christ, Scientist, and Miscellany” (S. 211) als verstandesmäßiges und geistiges Wachstum kennzeichnet.
Besitzt er dagegen einen ausgesprochenen Zug von Verstandesmäßigkeit, so prüft er jedes Problem auf seine Beziehungen zu anderen, alles zergliedernd und beständig logisch folgernd. Er begründet alles und will alles begründet haben. Er ist in den Neigungen und den Vorgängen des menschlichen Gemüts sehr bewandert, und er wendet bei seiner Ausübung seine Kenntnis des einen Gemüts wirkungsvoll an, um diese Irrtümer zu widerlegen. Als Lehrer und Ausüber wird er vielleicht Leute anziehen, die wie er gelehrt und verstandesmäßig sind. Wenn ihn manche für kalt und teilnahmlos halten, kann man nicht behaupten, daß er persönlichem Mesmerismus leicht zum Opfer fällt; aber er muß sich einerseits mehr vom Praktischen, andererseits mehr vom Geistigen aneignen. Er verläßt sich mehr auf die Vernunft als auf die mit geistigem Verständnis verbündete praktische Weisheit, wodurch die Kranken geheilt und die Leidtragenden getröstet werden. Um seiner Neigung zum Festhalten am Buchstaben entgegenzuwirken, muß er mehr das Geistige pflegen und dadurch die praktischen Seiten seiner Religion beweisen. Der Lehrer muß Ausüber werden, wenn er vermeiden will, was unsere Führerin „den Irrtum der Zeiten nannte”, nämlich „Predigt ohne Praxis” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 241). Wenn er erkennt, daß ihm die praktische und die geistige Phase seiner Arbeit fehlt, und er sich vornimmt, sie zu erwerben, wird er ein wertvollerer Arbeiter, ein erfolgreicherer Heiler und tauglicher für verantwortungsvolle und einflußreiche Stellungen.
Da die geistige Art der Christlichen Wissenschaft intelligentes Handeln fordert und das Gemüt die Grundlage der Intelligenz ist, und da Gott das Gemüt ist, kann man sehen, daß alle drei Bestandteile der Christlichen Wissenschaft — der praktische, der verstandesmäßige und der geistige — in jede richtige Darbietung dieser Wissenschaft einzuschließen sind. Jemand, bei dem der geistige Bestandteil beträchtlich vorherrscht, findet es manchmal schwierig, einem andern von praktischer Denkungsart die Christliche Wissenschaft verständlich zu erklären. Er verweilt gern in ungebührlicher Weise beim Absoluten und bedenkt nicht, daß sein Zuhörer vielleicht gar nicht imstande ist, zwischen dem Absoluten und dem menschlich Relativen zu unterscheiden. Es mag aussehen, als ob er den Kopf in den Wolken habe, obgleich seine Füße auf der Erde sind; und der Durchschnittsmensch will nicht fortwährend nach oben sehen, wenn er jemand zuhört, der ihm von der Christlichen Wissenschaft erzählt. Es hinterläßt in ihm ein Gefühl der Verwirrung, obgleich nur die absolute Wahrheit mitgeteilt wurde. Es kann auch zu einer an Verzückung grenzenden Art verfeinerter Gefühlserregung führen, was kein Merkmal des wirklichen Menschen ist, dem geistiges Gleichgewicht und Gemütsruhe innewohnen. Der Schüler, den himmlische Dinge so sehr ansprechen, daß die irdischen für ihn ganz bedeutungslos werden, wird ein erfolgreicherer Ausüber und Lehrer, wenn er in seinen Gedankengängen den praktischen und den verstandesmäßigen Bestandteil in das richtige Verhältnis zum geistigen bringt.
Mrs. Eddy schrieb einmal: „Da Gott der Geist ist, müssen unsere Gedanken, um Ihn zu erreichen, sich vergeistigen und unsere Verfahren geistiger werden, um mit unseren Gedanken übereinzustimmen” (The People’s Idea of God, S. 7). Gewisse philosophische Schulen haben Suchern nach der Wahrheit das, was zur Lösung schwieriger Probleme führen soll, angeboten, und ethische Vereine möchten als Religionen gelten; aber die Christliche Wissenschaft überragt sie alle, weil sie den Geist als den Anfang und das Ende alles Wirklichen unerschütterlich anerkennt. Man sollte die Worte unserer Führerin nicht vergessen: „Der Ausgangspunkt der göttlichen Wissenschaft ist, daß Gott, Geist, Alles in allem ist, und daß es keine andere Macht und kein anderes Gemüt gibt — daß Gott Liebe ist, und daß Er daher das göttliche Prinzip ist” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 275). Wenn man die Christliche Wissenschaft dem Neuling darbietet, sollte man also mit einem rechten Begriff von Gott als dem Geist, dem Leben, der Wahrheit, der Liebe, dem Gemüt, der Seele und dem Prinzip beginnen. Ist dieser rechte Begriff, selbst in begrenztem Maße, einmal erworben, so bieten sich überall Gelegenheiten zu seiner praktischen Anwendung.
Tausende haben sich der Christlichen Wissenschaft zugewandt, weil deren Gottheitsbegriff nicht bloß theoretisch und unpraktisch, sondern beweisbar ist. Anwendung bringt Beweis, während bloße Theorie zu Streit führt. Ein beweisbarer Gott war dem allgemeinen modernen Denken unbekannt, ehe die Christliche Wissenschaft unter den Religionen auftrat. Man nahm an, daß die geistige Seite eines Menschen mehr oder weniger schlummere, bis das Buch seiner irdischen Erfahrung abgeschlossen sei. Der Himmel wurde für geistige Entwicklung vorbehalten, während die Menschheit in materiellen Errungenschaften vorwärts drang. Dies ist ein Grund, weshalb heute das geistige Vorrücken der ungläubigen Welt Jahrhunderte hinter ihrem materiellen Fortschritt zurück ist. Sie hat mit Maschine und Propeller himmelwärts fliegen gelernt; aber das weltliche Denken ist dem Himmel nicht näher als vor Menschenaltern. Man kann mit Sicherheit voraussagen, daß der Tag nicht mehr fern ist, wo die Menschheit die unbestreitbare Wahrheit der Worte unserer Führerin anerkennen wird: „Das unsterbliche Gemüt, das alles regiert, muß im sogenannten physischen Reich sowohl wie im geistigen als allerhaben anerkannt werden” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 427).
Unsere Führerin hat oft auf den engen Zusammenhang zwischen Heilen und Lehren hingewiesen. Der Patient kann in begrenztem Sinne zum Schüler werden; aber es sollte ihm höhere Metaphysik nicht dargeboten werden, ehe er ihre Grundlagen versteht. Lehre ihn zuerst gehen, ehe du ihn laufen heißt! Siehe zu, daß der praktische, der verstandesmäßige und der geistige Teil richtig verbunden und einfach und klar erläutert werden! Manche Menschen mögen einen dieser Bestandteile leichter erwerben als die beiden anderen; aber Lehrer und Schüler, Ausüber und Patient — jeder, der die ihm in der Christlichen Wissenschaft gebotenen Segnungen ernten möchte, sollte bestrebt sein, einen richtig ausgeglichenen Teil aller drei — des praktischen, des verstandesmäßigen und des geistigen — zu erwerben; denn in Wirklichkeit sind es nicht drei sondern einer.
