Der Christliche Wissenschafter weiß wohl, welch unschätzbare Gabe Mrs. Eddy ihm im Artikel VIII, Abschnitt 1 des Kirchenhandbuchs gegeben hat: „Eine Richtschnur für Beweggründe und Handlungen”. Ihre erleuchteten Schriften enthalten zahlreiche köstliche Aufsätze, Abschnitte und Sätze, worunter „die wissenschaftliche Erklärung des Seins” und die geistige Auslegung des Gebets des Herrn (Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift, S. 468 und 16, 17), das „tägliche Gebet” und „Pflichttreue” (Handbuch, Art. VIII, Abschn. 4 und 6) zu erwähnen sind. Aber wohl keine dieser Stellen übertrifft an Schönheit des Ausdrucks oder an Anwendbarkeit diese unschätzbare Richtschnur, die dem Gedächtnis des Christlichen Wissenschafters unauslöschlich eingeprägt ist. Sie kommt ihm beständig in den Sinn, wenn er in den Angelegenheiten des Lebens göttliche Führung sucht. Sie ist für ihn gleichsam ein großes Bollwerk gegen die Irrtümer des persönlichen Sinnes.
Der zweite Satz der „Richtschnur für Beweggründe und Handlungen” lautet: „In der Wissenschaft regiert allein die göttliche Liebe den Menschen. Ein Christlicher Wissenschafter spiegelt die holde Anmut der Liebe wider in der Zurechtweisung der Sünde, in wahrer Brüderlichkeit, Barmherzigkeit und Versöhnlichkeit”. Hier haben wir das volle Wesen des Christentums. Gott ist die Liebe. Der Mensch ist das Ebenbild Gottes, der Liebe. Daher regiert die göttliche Liebe den Menschen. So lehrt die Christliche Wissenschaft. Wer diese Lehre versteht, macht sich zur Aufgabe, ja, sieht sich gezwungen, in allen seinen menschlichen Beziehungen Liebe auszudrücken. Fühlt er sich berufen, Sünde in einem andern zurechtzuweisen, so tut er es liebevoll, da der Geist der Liebe und Versöhnlichkeit alle seine Gedanken, Worte und Handlungen mäßigt. Zweifellos wird jemand, dessen Denken von dem Gesetz Gottes, dem Gesetz der Liebe, regiert ist, im Verkehr mit seinen Mitmenschen nie unfreundlich sein, selbst wenn er sich genötigt sieht, auf ihre sittlichen Fehler hinzuweisen.
Der erste Satz dieser Richtschnur ist für alle Mitglieder Der Mutterkirche eine Mahnung, die sie sorgfältig beachten sollten: „Weder Feindseligkeit noch rein persönliche Zuneigung sollte der Antrieb zu den Beweggründen oder Handlungen der Mitglieder Der Mutterkirche sein”. Der Grund dafür ist leicht einzusehen. Feindseligkeit hegen führt einen im Umgang mit andern unvermeidlich irre, und auf persönlichem Sinn und nicht auf geistigem Verständnis beruhende persönliche Zuneigung schafft nie eine sichere Grundlage für reine Beweggründe und gerechte Handlungen. „Feindseligkeit” und „rein persönliche Zuneigung” wird dadurch berichtigt, daß man des Menschen Einheit mit der Liebe versteht und diese Beziehung dartut oder beweist, indem man gegen seinen Nebenmenschen in seinem ganzen Denken und Handeln liebevoll ist.
In der Kirchenverwaltung ist diese Richtschnur von höchstem Wert. Es würde jedem Mitglied zum Vorteil gereichen, wenn es sich andächtig darein vertiefte, ehe es an einer Geschäftssitzung teilnimmt. Denn dann könnte es mit Liebe im Herzen und frei von „Feindseligkeit” und „rein persönlicher Zuneigung” hingehen. Können wir daran zweifeln, daß Geschäftssitzungen einmütig und freudig verlaufen würden, wenn alle Mitglieder auf diese Art geistig vorbereitet hingingen? Können wir bezweifeln, daß die Beschlüsse in diesen Sitzungen durch Weisheit und Einmütigkeit gekennzeichnet wären? Geschäftssitzungen, die vom Geiste „einer Richtschnur für Beweggründe und Handlungen” beseelt sind anstatt Gelegenheiten zum vielleicht lieblosen Vorbringen rein persönlicher Ansichten zu sein, wären frohe Zusammenkünfte, wo die Heilkraft des göttlichen Prinzips in Erscheinung treten würde. Jedes Kirchenmitglied hat eine Pflicht gegen sich selber und gegen die anderen Mitglieder zu erfüllen: es muß den persönlichen Sinn und das persönliche Selbst unterdrücken und in allen seinen Beziehungen zu anderen die Liebe der Liebe widerspiegeln.
Diese Richtschnur ist bei jeder Tätigkeit unseres Kirchenlebens wertvoll. Wir können sie in Verbindung mit allen unseren Gottesdiensten anwenden, in jedem Amt, das wir dabei bekleiden, sei es als Leser, Ordner, Sänger, Orgelspieler oder als Mitglied ohne Amt. Wir können diese Richtschnur anwenden, um unser Denken vor jedem Besuch dieser Gottesdienste zu läutern. Welche Erleuchtung es zur Folge haben würde, wenn alle dies täten! Der demütige Sucher nach der Wahrheit würde durch die Erleuchtung unfehlbar gesegnet werden. Den Mühseligen und Beladenen würde sie unfehlbar stärken und ermutigen. Der Kranke würde unfehlbar ihre heilende Wohltat empfangen.
Zuweilen mag es uns schwer fallen, eine Satzung im Handbuch auszulegen. Wir mögen nach unserer Ansicht ganz verständnisvoll an sie herangetreten sein; aber ihre Bedeutung ist uns immer noch dunkel. Haben wir zur Läuterung unseres Denkens und zu unserer Erleuchtung über diese Richtschnur nachgedacht? Wenn nicht, wäre es dann nicht gut, wenn wir es täten? Verlangendes Nachdenken darüber beseitigt den verdunkelnden Nebel des persönlichen Sinnes bestimmt aus unserem Denken, und dann werden wir die gesuchte Bedeutung der Satzung viel leichter finden.
Wie köstlich doch diese Gabe auch beim Heilen ist! Hier sollten wir ihren Wert keinen Augenblick bezweifeln. Die Wahrheit ist es, die heilt. Und die Wahrheit kann nur verstanden und angewandt werden, wenn der persönliche Sinn zum Schweigen gebracht wird und die göttliche Liebe regiert. Stehen wir vor einem scheinbar schwierigen Fall, so ist es stets hilfreich, sich an „eine Richtschnur für Beweggründe und Handlungen” zu wenden und uns zu vergewissern, daß uns die Liebe und nur die Liebe regiert.
Im 3. Kapitel der Sprüche lesen wir: „Wohl dem Menschen, der Weisheit findet, und dem Menschen, der Verstand bekommt! ... Sie ist edler denn Perlen”. „Eine Richtschnur für Beweggründe und Handlungen”, die unsere Führerin den Mitgliedern ihrer Kirche und der ganzen Menschheit gegeben hat, ist unaussprechlich kostbarer als der kostbarste materielle Edelstein, weil sie das Wesen des wahren Christentums ist.
