Nicht alle Gebete werden erhört. Bittet man z. B. um etwas Besonderes wie die Erlangung einer gewissen Vertrauensstellung oder den Erfolg eines besonderen Geschäftsunternehmens, so kann man falsch bitten, und die Gewährung der Bitte könnte entweder für einen selber oder für die Allgemeinheit nicht gut sein. Wer aber im rechten Geiste um Mut und Verständnis bittet, wird nicht enttäuscht; er wird nach Bedarf empfangen. Und sind das nicht Geben von oben?
Geistiges Verständnis ist das allgemeine Erfordernis. Ohne dieses Verständnis würde man eine unzulängliche, wenn nicht gar armselige Daseinsauffassung haben. Hat man es aber, so beginnt man das wirkliche Weltall und den wirklichen Menschen zu sehen,— die Vollkommenheit der Schöpfung Gottes zu würdigen. Denn das Weltall, so betrachtet, wie es in der Wahrheit tatsächlich ist, ist ein freundliches und geordnetes Reich, in dem jeder einzelne Sicherheit und volle Genüge hat. Und der Mensch, der wirkliche Mensch, ist eine beständige Offenbarwerdung der Intelligenz und des unauslöschlichen Lebens. Er hat die Kraft und die Fähigkeit, die ihm verordnete Mission, Gott widerzuspiegeln, zu erfüllen. Die Gefahren und Begrenzungen, die den Fortschritt der Menschheit aufhalten oder ihren Erfolg vereiteln würden, sind hypothetisch und müssen daher der göttlichen Absicht weichen.
Der Wissensdurst ist heutzutage in der Tat allgemein. Leute jedes Alters besuchen Schulen oder bilden sich auf andere Art weiter. Unwillkürlich werden sie sich bewußt, daß Wissen und Selbstvervollkommnung zu dauernder Freiheit beitragen. Mit voller Klarheit erkennen sie, daß echte intellektuelle und kulturelle Entwicklung den verschiedenen Arten materiellen Reichtums und materieller Ausrüstung weit überlegen ist. Sie gehört sozusagen unauflöslich zum Menschen: sie klärt nicht nur seinen Blick, sondern stattet ihn auch anderweit besser aus, die Lebenspflichten zu erfüllen und die feineren Dinge der Welt zu schätzen. Wahrlich, „akademische Bildung rechter Art ist”, wie Mrs. Eddy in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” (S. 195) so bündig erklärt, „vonnöten”.
Das Grundverfahren, das geistige Verständnis zu fördern, besteht im Anerkennen der Tatsache, daß Gott das einzige Gemüt ist, und daß dieses allwissende Gemüt durch den Menschen zum Ausdruck kommt und dem Bewußtsein des einzelnen immerdar göttliche Intelligenz mitteilt. Wer diese einfache aber kraftvolle Wahrheit dankbar erkennt und anwendet, sieht mit Genugtuung seine Begrenzungen allmählich weichen. Er findet, daß seine Leistungsfähigkeit zunimmt und sein Gefühl geistiger Herrschaft sich erweitert. Er bringt sein Denken mit der schrankenlosen, geistigen Intelligenz in Übereinstimmung und findet dadurch die Lösung seiner Probleme, mögen diese nun gesellschaftlicher, geschäftlicher oder anderer Art sein. Ein größeres Maß von Erfolg und Nützlichkeit ist unvermeidlich die Folge.
Die Fehlschläge und Leiden des menschlichen Daseins rühren großenteils von Furcht her, und Furcht ist meist auf Unwissenheit oder bewußtes Unrechttun zurückzuführen. Das Unbekannte ist voll eingebildeter Gefahren. Das unfehlbare Allheilmittel ist mehr Licht, ein klarerer Blick, ein volleres Verständnis. Mit der von Gott verliehenen geistigen Erkenntnis und aufgeklärten Gerechtigkeit ausgerüstet, fühlt man sich sicher und furchtlos und sieht trotz des äußeren Scheins die Zwecklosigkeit des Bösen, das Trügerische der Krankheit und die Grundlosigkeit der Armut. Denn es ist undenkbar, daß ein gütiger Gott den Menschen schutzlos in eine unfreundliche Welt gesetzt hat.
Salomo bat um Verständnis, und er fand, nachdem er es empfangen hatte, daß er alles besaß, was er brauchte. Das sollte die Erfahrung aller anderen Menschen sein. Mit geistigem Verständnis entdecken sie, daß Gott nichts Gutes — weder Gesundheit noch Gelegenheit — vorenthält, sondern daß Gesundheit und Gelegenheit allen, die ernstlich bestrebt sind, aufrichtig zu sein, stets zu Gebote stehen, und daß ihr wirksames und ehrfurchtsvolles Gebet darin besteht, daß sie diese erhabene Wahrheit dankbar zugeben.
Gesundheit wird nicht durch bloßes ungestümes Bitten gefördert, sondern durch ehrfürchtiges Erkennen, daß sich der Mensch jetzt und unaufhörlich der Gesundheit erfreut. Denn das Leben ist Gott; daher hat es keinen Anfang, altert nicht und nimmt kein Ende. Und dieses unantastbare und ewige Leben, Gott, ist das Leben des Menschen. Durch den Menschen wird das unsterbliche Leben offenbar. Er ist des Lebens Zeuge. Er ist gezwungen, die beständige Triebkraft und Spannkraft des Lebens zu fühlen. Er kann keine Leiden erleben, weil das Leben keine Einmischung ertragen kann. Die Funktionen des Lebens können nicht aufgehalten oder gestört werden. Sie sind überall und allezeit in unaufhörlicher müheloser Tätigkeit. Wer über diese Wahrheit nachdenkt, sich darüber klar wird und sie in sich aufnimmt, wird mit der Zeit die christlich-wissenschaftliche Behauptung beweisen, daß Krankheit eine irrige, materielle Annahme oder Erscheinung im Gegensatz zur Tatsächlichkeit ist.
Wenn jemand, vielleicht klagend, behauptet, er könne die Christliche Wissenschaft nicht verstehen, so sagt er etwas, was wissenschaftlich nicht wahr ist. Und wenn ein Ausüber oberflächlich erklärt, daß ein Patient für die Wahrheit nicht empfänglich sei, daß sie nicht in ihn eindringe, sagt auch er etwas, was nicht zutrifft. Weil sich jeder Mensch, mindestens in gewissem Grade, der göttlichen Intelligenz bewußt ist, sollte man dies zugeben, wenn man die göttliche Hilfe nicht vorübergehend ausschließen will. Und wenn der Ausüber beim Beweisen der Wahrheit Erfolg haben will, sollte er die geistige Tatsache vorbehaltlos zugeben, daß seine Patienten die Wahrheit, die er erklärt, verstehen, daß sie sie willkommen heißen und durch ihr Wirken von ihren Schwierigkeiten befreit werden. Scheinbare Stumpfheit und Störrigkeit sollten nicht noch dadurch bestärkt werden, daß man darüber spricht, als ob sie wirklich wären; denn sie müssen dadurch geheilt werden, daß ihre Nichtsheit erkannt wird.
Verständnisvolles Gebet besteht also nicht darin, daß wir versuchen, Gott über unsere Bedürfnisse zu unterrichten, und Ihn eindringlich anzuflehen, sie unseren Ansichten gemäß zu befriedigen, sondern darin, daß wir dankbar anerkennen, daß Er alles getan hat, den Menschen zu versorgen. Jesus versichert uns: „Euer Vater weiß, was ihr bedürfet, ehe denn ihr ihn bittet”. Mrs. Eddy betont diese Versicherung aufs neue, wenn sie in ihrer unnachahmlichen Art erklärt (Wissenschaft und Gesundheit, S. 7): „Das ‚göttliche Ohr‘ ist kein Gehörnerv. Es ist das allhörende und allwissende Gemüt, dem stets jedes Bedürfnis des Menschen bekannt ist, und von dem es auch befriedigt werden wird”. Ist es dann nicht an der Zeit, daß wir beginnen, diese herrliche Tatsache von ganzem Herzen zuzugeben, anstatt sie durch Furcht im Prinzip zu leugnen oder in Frage zu stellen?
Geschäftliche, politische und Weltangelegenheiten bessern sich in dem Verhältnis, wie wir verständnisvoll darauf bestehen, daß die Herrschaft des allmächtigen Gottes die Verwirrung stiftenden Einmischungsversuche des Bösen unwirksam macht. Beförderung in allen ihren Formen und Verwicklungen wird sicherer, wenn wir erkennen, daß das göttliche Gemüt alle wirkliche Tätigkeit unfehlbar leitet. Die Regierung wird leistungsfähiger werden, wenn wir klarer erkennen, daß Gottes Regierung allerhaben ist, und daß daher die Beamten vom Prinzip geleitet sein können und somit nicht von verderblichen Einflüssen beherrscht zu werden brauchen. Unsere Kirche wächst und erfüllt ihren segensreichen Zweck in dem Maße, wie wir vereint für ihre Maßnahmen und Unternehmungen eintreten, und den christlich-wissenschaftlichen Vorstand, die Schriftleiter und andere in wichtigen Stellungen bei ihrer rechtschaffenen Arbeit rückhaltlos unterstützen. Diese Gesinnung ist „des Gerechten Gebet”, das „viel vermag, wenn es ernstlich ist”.
Wir denken oft, wie übersinnlich das Gemüt ist. Seltener erkennen wir, wie uns seine Kraft zur Verfügung steht. Der Mensch als Gottes Ebenbild ist eins mit dem allwissenden Gemüt. Das Gemüt teilt ihm beständig Gedanken mit. Diese gehören also dem Menschen durch Widerspiegelung. Es sind jedoch keine Krankheits-, Verzagtheits- und Versuchungsgedanken, sondern Gedanken der Gesundheit, Entschlossenheit und Frömmigkeit. Sie bilden das wahre Bewußtsein, dessen Wirkungsvermögen unbegrenzt ist.
Die Entfaltung wahren Bewußtseins kann beschleunigt werden durch Gebet um Weisheit und geistiges Verständnis, durch Benützung der üblichen Bildungsgelegenheiten und durch die Erkenntnis, daß die göttliche Intelligenz durch rechte Ideen alle, die Gott suchen, führt.
Wer in diesem Sinne anhaltend betet und fleißig arbeitet, wird das nötige Vertrauen und die nötige Fähigkeit in größerem Maße empfinden. Er wird weniger dazu neigen, für dieses und jenes oder auch nur für Erfolg in dem einen oder andern Unternehmen zu bitten; vielmehr wird er um die Kraft bitten, sich in allen Lagen standhaft zu erweisen, und wird dankbar anerkennen, daß das göttliche Prinzip ihn bei der Erfüllung dieser Absicht leitet.
