Im Lichte der Christlichen Wissenschaft könnte man Furcht, die „Pein hat”, wie Johannes sagt, als vermeintliche Abwesenheit der Liebe, als einen Bewußtseinszustand, der die Gegenwart der Liebe nicht kennt, erklären. Wenn aber durch die Lehren der Christlichen Wissenschaft im Denken die große Tatsache dämmert, daß die Liebe die Unermeßlichkeit ausfüllt und Allgegenwart und Allwissenheit ist, beginnt man zu erkennen, daß Furcht dem Wesen nach eine Lüge, also nichts ist.
Unsere Führerin Mrs. Eddy schreibt in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schüssel zur Heiligen Schrift” (S. 520): „Die Tiefe, Breite, Höhe, Macht, Majestät und Herrlichkeit der unendlichen Liebe erfüllen allen Raum”. Hieraus folgt, daß die Liebe mit ihrer Freude, ihrem Frieden und ihrer Vollkommenheit im ganzen geistigen Weltall überall gegenwärtig und wirksam ist. Sie ist immer wahr und tätig; sie steht den Menschen zu allen Zeiten, unter allen Umständen und überall zu Gebot. Die Liebe ist Gott, das eine und einzige Gemüt, alle Wahrheit, alles Leben; sie ist allgegenwärtig, allwissend, allmächtig und allwirkend. Folglich ist Abwesenheit der Liebe wissenschaftlich unmöglich und unfaßlich.
Die Liebe schließt die göttliche Vaterschaft und Mutterschaft — die geistig denkbar höchste Vorstellung — in sich; sie führt, behütet und regiert ihren Sprößling weise und mit unendlichem Liebreichtum und gibt ihm alles Gute. Das heißt unbedingt, daß jedes wirkliche Bedürfnis befriedigt, für jeden möglichen Fall vorgesorgt ist; daß nichts Gutes je vorenthalten oder entzogen wird; daß nichts fehlt oder vergessen ist, und daß jeden Augenblick allen Menschen Fülle, Vollkommenheit und Vollständigkeit verliehen ist.
Gott, die Liebe, wird von Seinem Bild und Gleichnis, dem Menschen, widergespiegelt. Dieser wirkliche Mensch drückt immerdar das liebevolle und liebliche Wesen Gottes aus; denn da die Liebe alles ist, gibt es nichts anderes auszudrücken, kann man von nichts anderem das Ergebnis oder die Widerspiegelung sein. Der Mensch erbt oder besitzt auf ewig durch Widerspiegelung ohne weiteres das Bewußtsein der Liebe, ihre unendliche Lieblichkeit, ihre unaufhörliche Tätigkeit, Wirksamkeit und Wesenheit. Einige der Eigenschaften dieses wirklichen Menschen sind Milde, Mitgefühl, Weisheit, Freude, unsterblicher Mut und ewige Zuversicht — Furchtlosigkeit.
Im Gebiete oder Bereiche der unendlichen Liebe gibt es keine Furcht; nur im Reiche der Unwirklichkeit, der Träume, der Unwissenheit ist sie scheinbar vorhanden. In der Wahrheit ist sie auf ewig nicht vorhanden, ohne Dasein. Die Menschheit glaubt irrtümlich an Furcht und klammert sich daran. Furcht kann sich nicht an jemand klammern; sie hat nicht die Kraft dazu. Furcht hat nicht die geringste Spur von Macht, Wirklichkeit oder Leben; sie ist eine Lüge, eine Trugvorstellung, etwas Wesenloses, etwas, was gar nicht besteht. Sie ist Unterwerfung unter einen eingebildeten Gott, der dem Guten unähnlich ist; und ihr frönen, heißt das erste Gebot übertreten.
Trotzdem darf man nicht übersehen, daß das sterbliche Furchtgefühl in der menschlichen Erfahrung Verheerung anzurichten scheint. Es ist die Ursache jeder Schwierigkeit einschließlich aller Sünde, Krankheit und Tod und stellt sich anscheinend beim geringsten Anzeichen von Mangel, Verlust, Wechsel, bei neuen Verantwortlichkeiten und Gelegenheiten, bei jedem Schritt vorwärts ein. Es verleitet einen zu glauben, daß es ein rechtmäßiger Teil des Bewußtseins jedes Menschen sei. Dennoch finden wir in der Bibel wiederholt die Gebote: „Fürchte dich nicht”, „laß dir nicht grauen”, und Paulus erklärt unumwunden: „Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Zucht”.
Die Regeln für das Beweisen des christlich-wissenschaftlichen Heilens einschließlich des Heilens von Furcht sind klar. Unsere Führerin hat endlose Mittel und Wege zur Erweiterung, Entfaltung und Vermehrung unseres Erfassens der Wahrheit und der Liebe vorgesehen. Das Lesen in der Bibel und in ihren Werken, tägliches Sichvertiefen in die Lektionspredigt im christlich-wissenschaftlichen Vierteljahrsheft, Lesen der genehmigten christlich-wissenschaftlichen Literatur und regelmäßiger Besuch der Gottesdienste und Vorträge ist unerläßlich. Außerdem müssen wir fortwährend das Gelesene und Gehörte in die Tat umsetzen, diese Wahrheiten im Alltagsleben anwenden; ferner müssen wir jeden Gedanken und Einfluß daraufhin prüfen, ob er von Gott, der Liebe, oder von dem irrigen materiellen Sinn kommt, und unsere Gedanken beständig auf Gott richten — alle diese Mittel tragen wesentlich zur schließlichen vollständigen Reinigung des menschlichen Bewußtseins bei.
Das wirkliche Selbst muß ans Licht gebracht werden. In welchem Umfange verwirklichen wir die große Wahrheit, daß der Mensch das Kind Gottes ist, daß sein Ursprung das Leben ist und sein Leben daher der Vollkommenheit und Vollständigkeit entspringt? Eine klarere Erkenntnis, daß nur Gott, das Gute, der einzige Vater und die einzige Mutter ist, und daß der Mensch Sein Ebenbild ist, deckt die Lügeneinflüsterungen von einer andern Schöpfung, anderen Eltern, auf und hilft die Tatsachen der Schöpfung in unserem Bewußtsein entfalten. Das wahre Selbst ist die lebendige und ewige Kundwerdung des göttlichen Gemüts, der Liebe; es gibt keinen andern Menschen und kein anderes Sein. Eine materielle Vorstellung vom Menschen ist nicht der Mensch, sondern lediglich eine falsche Vorstellung. Das wirkliche Selbst enthält nichts Irriges, und dies muß verstanden, verwirklicht und bewiesen werden.
Allen, mit denen wir in Berührung kommen, reine, selbstlose Liebe erzeigen, ist ebenfalls ein sicheres Mittel gegen Furcht. Wenn wir erkennen, daß das wirkliche Selbst jedes Menschen das Ebenbild oder die Widerspiegelung der göttlichen Liebe ist, können wir durch das vielleicht unansehnliche und furchterregende Äußere oder die lieblosen und unschönen irrigen Gedanken eines Menschen, der sich von irrigen Annahmen mesmerieren ließ, hindurch- und darüber hinaussehen. Dann können wir etwas von seinem wirklichen Wesen wahrnehmen, das von Gott ist, das Gott kennt und in Seinem Ebenbild erhält.
Ist uns anscheinend Unrecht geschehen, so können wir sagen: „Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun!”. Mitgefühl mit dem Unwissenden tritt dann an die Stelle von persönlicher Abneigung, Furcht oder sogar Abscheu, und man wird gehorsam gegen das Gebot, seinen Nächsten wie sich selber zu lieben: „Ihr Lieben, lasset uns untereinander liebhaben; denn die Liebe ist von Gott”. Dieser tätigeren Liebe entspringt die Harmonie und das Ebenmaß rechten Denkens, der unwiderstehliche Wunsch, zu segnen, und das mühelose Geben, das ein Ausfluß der geistigen Gesinnung ist, in der das sterbliche Selbst und Furcht keine Rolle spielen. So wird man sich der immerwährenden Gegenwart aller Segnungen und alles Gesegnetseins bewußt. So sieht man, daß das Bewußtsein, das ganz von der Liebe durchdrungen ist, unendlich ist und ewig fest steht, und daß Lieben und Segnen die einzige Tätigkeit ist, die es gibt. Denn da die Liebe das All in allem ist, gibt es wiederum nichts anderes, das tätig sein könnte.
Wer an großer Furcht leidet, sollte das Überwinden dieser Schwierigkeit durch geduldige, ernste und gründliche Arbeit nicht aufschieben. Er sollte folgende Fragen ins Auge fassen und sich ehrlich beantworten: Anerkenne ich die Liebe als Gott oder beuge ich mich einer andern vermeintlichen und unwirklichen Macht? Erkenne ich, daß der Mensch das Bild und Gleichnis der Liebe ist, und daß „Furcht nicht in der Liebe ist”? Lasset uns sehen, wo wir mental stehen und was wir geistig sind, und sehen wir zu, daß wir uns über die Lügeneinflüsterung und den Furcht-mesmerismus erheben! Der Mesmerismus, der Mesmerierte und der Mesmerierer sind eins — nämlich, der falsche Glaube an ein von der Liebe, von Gott getrenntes Gemüt, an eine von der Liebe, von Gott getrennte Macht. Lasset uns wesenseins sein mit dem Bild und Gleichnis der Liebe! Dann sehen wir, daß Furcht ohne Ursache oder Wirklichkeit ist, daß sie keine Machtbefugnis, kein Gesetz, keine Tätigkeit, keine Wahrheit, keine Wesenheit und kein Dasein hat. Das ewige All, die Liebe, herrscht. „Die völlige Liebe treibt die Furcht aus”.
Tägliche gewissenhafte Arbeit und die Überzeugung, die die sich uns entfaltende Erkenntnis des Christus mit sich bringt, schwächen die falschen Ansprüche der Furcht nach und nach ab, so daß wir uns zu einem höheren geistigen Verständnis und der daraus folgenden Herrschaft erheben können; denn wir lernen die in Wissenschaft und Gesundheit (S. 568) dargelegte Tatsache geistig wahrnehmen: „Der Ankläger ist nicht da, und Liebe läßt ihre ureigne und ewige Weise erklingen”.
