Die meisten von uns kennen die schlichte, doch eindrucksvolle Beschreibung in den ersten drei Evangelien, wie der Meister den „Mann voll Aussatz” heilte. Diesem Mann war wegen der gefürchteten Krankheit jede gesellschaftliche Berührung mit seinen Mitmenschen versagt, und er wurde von allen gemieden. Trotzdem konnte er von Jesus und dessen wunderbaren Werken gehört haben, oder vielleicht hatten ihn das Erbarmen und die Liebe angezogen, die Jesus bekundete, und die er wahrgenommen oder gefühlt hatte. Wir lesen im Evangelium des Lukas, daß er, als er Jesus sah, vor ihm niederkniete und sagte: „Herr, willst du, so kannst du mich reinigen”. Wahrlich, Worte des Glaubens und der Hoffnung, aber auch einer vielleicht intuitiven Erkenntnis der dem Meister von Gott verliehenen Kraft, die Wahrheit und das Gute auszudrücken, der Kraft, zu sehen, wie Gott sieht, und nur zu wissen, was Gott weiß!
Im Evangelium ist weiter erzählt: „Und er streckte die Hand aus und rührte ihn an und sprach: Ich will's tun; sei gereinigt! Und alsobald ging der Aussatz von ihm”. Diese Zeilen geben einem reichlich zu denken. Daß Jesus die Hand ausstreckte und ihn anrührte, zeigte dem Leidenden klar, daß hier jemand war, der sich nicht vor Verunreinigung fürchtete, keine Abneigung empfand, keine Furcht vor Krankheit hatte. Jesu Handlung mag dem Aussätzigen den ersten schwachen Begriff von einer Liebe gegeben haben, die so groß, so allmächtig und allumfassend ist, daß sie allen Schein des Bösen durch die Tatsache ihrer eigenen Allheit tilgt.
Nachdem Jesus ihn angerührt hatte, sprach er die denkwürdigen Worte: „Ich will's tun; sei gereinigt!” Was bedeutet dieses „Ich will's tun”? Es schließt gewiß keine Ausübung des menschlichen Willens in sich und weist nicht auf Willenskraft oder Hypnotismus hin. Jesus war sich der Tatsache voll bewußt, daß der Mensch als das Bild oder die Widerspiegelung des einen Gemüts, Gottes, keine eigene Intelligenz, keinen eigenen Willen haben kann, weil er der volle Ausdruck des Vaters ist. Des Menschen Individualität spiegelt Gott wider. Sein vollständiges Einssein mit Gott schließt in sich, daß der wirkliche Mensch den Willen Gottes ausdrückt. Jesus betete: „Dein Wille geschehe”, weil er wußte, daß es keinen andern Willen als den Willen Gottes gibt.
Jesu Worte: „Ich will’s tun” bedeuteten daher die Erkenntnis seiner Einheit mit Gott, dessen Wille immer Harmonie, Unversehrtheit und Gesundheit für Seine ganze Schöpfung ist. Es ist immer Gottes Wille, daß der Mensch unversehrt, rein, edel, vollkommen, gesund und glücklich ist. Wir brauchen dies nie zu bezweifeln. Gottes Gesetz wird immer in Seiner harmonischen Schöpfung erfüllt; und alle mächtigen Werke Jesu einschließlich der Heilung des Aussätzigen wurden durch sein Anerkennen und Befolgen des Willens Gottes vollbracht. Es war in Übereinstimmung mit dem Willen Gottes, daß dieser Mann geheilt werden sollte, und Jesu Erkenntnis dieser Tatsache Vertrieb den Nebel des sterblichen Gemüts und brachte die Heilung oder bewies die Wahrheit der ursprünglichen Reinheit des Menschen.
Dieses „ich will’s tun” zeigte, daß Jesus über den leisesten Zweifel hinaus wußte, daß Gottes Wille der einzige Wille ist, und daß er die Vollkommenheit des Menschen und des Weltalls erhält und überdies den Menschen befähigt, sein vollkommenes Sein zu verwirklichen.
Aber diese Erkenntnis hatte noch mehr zur Folge: sie schloß auch Jesu Willigkeit in sich, keinen von dem Willen des Vaters getrennten Willen zu haben; und auch hierin ist Jesus unser Wegweiser. Er war der große Beweisführer der Wahrheit, weil er bereit war, dem Willen Gottes zu gehorchen. Sein ganzes Erdenleben war die Bestätigung oder Veranschaulichung seines wahren Seins. Er war der vollkommene Beweisführer der göttlichen Wissenschaft, weil er willens war, den Preis des Verständnisses zu zahlen. Dieser Preis bestand im Freihalten seines Bewußtseins von allen Einflüsterungen einer von Gott, dem Guten, getrennten Kraft. Es war sein ganzes Leben hindurch der tatsächliche Beweis seines Verständnisses Gottes und des Menschen, die praktische Anerkennung der Allheit Gottes.
Denselben Preis müssen heute alle seine Nachfolger zahlen; und wir müssen ihn willig zahlen lernen, müssen unser Verständnis des wahren Seins in allen Punkten willig beweisen lernen. Wir müssen immer mehr mit Jesus sagen lernen: „Dein Wille geschehe”, müssen unsern Willen in den Willen des Vaters versenken lernen. Dies fordert die Zurückweisung aller Einflüsterungen des fleischlichen Sinnes und das Überwinden und Aufgeben aller Annahmen und Gewohnheiten, die nicht mit unserem höchsten Selbst übereinstimmen.
Wir können nicht ehrlich sagen: „Dein Wille geschehe”, solange wir nicht allen Irrtum von unserem Begriff vom Menschen trennen. Daß wir einen Zustand als falsch sehen, schließt die Möglichkeit in sich, ihn zu überwinden; denn das Verständnis, das ihn als Irrtum enthüllt, enthüllt gleichzeitig, daß er kein Teil des wirklichen Seins des Menschen ist. Eine Lüge über den Menschen kann nicht mehr geglaubt werden, wenn sie einmal als Lüge erkannt ist. Wenn wir an Weisheit und Verständnis zunehmen oder, besser gesagt, unser gottverliehenes Verständnis immer mehr annehmen und anwenden lernen, wird diese Erneuerung und Reinigung weitergehen, bis das Reich Gottes in unserem Bewußtsein aufgerichtet ist.
Die Erkenntnis der Unwirklichkeit des Bösen ist eine überaus wirksame Hilfe beim Überwinden des Bösen; sie ist auch ein Aufruf zu ernstem Handeln, eine eindringliche Warnung vor Aufschub und Selbstrechtfertigung. Wir müssen ernstlich und aufrichtig bestrebt sein, alles, was Gott, dem Guten, unähnlich ist, von unserem Denken zu trennen. Dies darf aber nicht zur Selbstverdammung führen, was nur eine andere irrige Übertreibung wäre. Die Erkenntnis der Unwirklichkeit des Bösen genügt daher an sich nicht, die Zerstörung des Bösen zu sichern; der nächste Schritt ist das Annehmen der göttlichen Hilfe. Die Erkenntnis der Allheit Gottes, des Guten, hebt uns aus dem Glauben an das Böse heraus.
Falsche Annahmen, die wir wissentlich hegen, verhindern unsere Verwirklichung der Freiheit und der Herrschaft. Sie beschneiden sozusagen die Flügel des Denkens, das sich aufschwingen und ausbreiten möchte. Sie sind wie schwere Lasten, die den Bergsteiger beim Aufstieg hindern und aufhalten. Solche materiellen Annahmen trüben einem den Blick, berauben einen des Gefühls der Freiheit und des Muts und hindern einen, die Wahrheit aus eigenem Triebe zu erkennen. Laßt uns daher den Mut haben, das Gartenmesser der göttlichen Wissenschaft zu benützen und die falschen Schößlinge der Materialität abzuschneiden! Denn sie sind kein Teil des wahren Seins. Laßt uns furchtlos den Scheinwerfer der Wahrheit auf unser Bewußtsein richten, um die Anwesenheit von Dingen zu enthüllen, die nicht dort sein sollten, und die nicht wirklich sind, wie jeder Beweis in der Christlichen Wissenschaft zeigt! Wir müssen bestrebt sein, falsche Annahmen, soweit wir sie sehen, aufzugeben.
Mary Baker Eddy schreibt in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” (S. 395): „Gleich dem großen Beispielgeber sollte der Heiler zu der Krankheit sprechen wie einer, der Gewalt über sie hat, und sollte es der Seele überlassen, den falschen Augenschein der körperlichen Sinne zu meistern und die Ansprüche der Seele der Sterblichkeit und Krankheit gegenüber geltend zu machen”. Die Macht über Krankheit ist, wie wir wissen, die Macht über eine falsche Annahme, eine Macht, die von dem Verständnis kommt, das uns befähigt, das falsche Gedankenbild zu verwerfen und zu berichtigen. Denn Krankheit ist ursprünglich mental. Die Christliche Wissenschaft hilft uns die Allgegenwart der Seele, die nichts in sich schließt, was Gott unähnlich ist, erkennen.
Es ist das Bewußtsein der Allheit Gottes, das Bewußtsein der Liebe als der einzigen Kraft, der einzigen Ursache, und der Lieblichkeit der Widerspiegelung der Liebe, was einen befähigt zu heilen. Die Arbeit in der Christlichen Wissenschaft besteht in der Entfaltung und Aufrichtung göttlicher Ideen in unserem Bewußtsein. Diese Ideen sind allgegenwärtig und spiegeln das allmächtige Gemüt wider, und wenn sie einmal so wahrgenommen sind, löschen sie die falschen Annahmen aus, die uns irrezuführen und in den Nebel der Materialität hineinzuziehen suchen. Wir können sehen, daß diese Erleuchtung das Werk der Wahrheit ist, und die Wahrheit ist immer gegenwärtig.
Alles, was wahr ist, ist jetzt wahr. Die Wahrheiten, die wir bei unserer metaphysischen Arbeit erklären, sind die Tatsachen über das wirkliche Dasein. Wir machen diese Erklärungen nicht in der Hoffnung, daß sie dadurch, daß wir sie denken oder äußern, wahr werden, sondern um unser Denken zu klären und uns zu helfen, die Gewißheit zu erlangen, die vom Verständnis kommt. Zeit hat in der unbedingten Wirklichkeit keinen Platz. Was ist, ist immer, war immer und wird immer sein.
Während es dem menschlichen Sinn scheinen mag, daß es Zeit brauche zu erkennen, daß ein Beweis ganz erbracht ist, können wir sehen, daß Beweis ein geistig mentaler Vorgang ist. Er ist etwas, was im individuellen Bewußtsein und nicht in der Materie stattfindet. Was die Zeit zu sein scheint, die verfließt, ehe der Beweis erbracht ist, deutet den Widerstand des sterblichen Gemüts gegen die geistige Tatsache an. Es findet keine materielle, sondern eine mentale Berichtigung statt, und eine mentale Berichtigung erfordert nicht Zeit, sondern Erleuchtung.
Friede, Sicherheit, Versorgung, Gerechtigkeit, universale Brüderschaft sind keine utopischen Träume, sondern Tatsachen in der Welt des Gemüts. Und dort lebt der Mensch, dort bewegt er sich und hat er sein Dasein; denn die Welt des Gemüts ist die einzige wirkliche Welt. Laßt uns darin leben und darin bleiben, und laßt uns der Harmonie und der Regierung des Guten, das darin herrscht, so bewußt sein, daß uns die Annahme des Bösen nicht mesmerisieren kann! Wir müssen aufhören, Böses zu denken, und aufhören, das Böse zu fürchten, so schwierig dies zuweilen auch scheinen mag. Wir müssen aufhören, das Böse zu bekämpfen, als ob es wirklich wäre.
Sooft uns das sterbliche Gemüt verführt, andere Waffen als das Verständnis und den Beweis der göttlichen Liebe zu gebrauchen, kämpfen wir falsch. Wir vergessen, daß „die Waffen unsrer Ritterschaft nicht fleischlich sind, sondern mächtig vor Gott, zu zerstören Befestigungen; daß wir damit die Anschläge und alle Höhe zerstören, die sich erhebt wider die Erkenntnis Gottes, und alle Vernunft unter den Gehorsam Christi gefangen nehmen”. Was das Geschehen des Bösen letzten Endes verhindern wird, ist die Tatsache, daß „Christus, die Idee Gottes, schließlich alle Nationen und Völker gebieterisch, absolut, endgültig mit der göttlichen Wissenschaft regieren wird”, wie unsere Führerin erklärt (Wissenschaft und Gesundheit, S. 565). Und wer ein Ausüber der Christlichen Wissenschaft sein will und fähig sein will zu heilen, muß diese Regierung des Christus in der Tat im eigenen Bewußtsein wirken lassen.