Hat die grausame, unbarmherzige Hand des sogenannten „letzten Feindes” an die Tür deines Heims geklopft? Wendet das Sinnenzeugnis unnachgiebig ein, daß dein Lebenslicht ausgelöscht sei, und daß die Zukunft dir nur das Bild eines grauen, freudlosen Daseins biete? Zu so einem beklommenen Herzen sollte wie erfrischender Regen zur ausgetrockneten Erde die starke, aufmunternde Verheißung aus dem Buche Jesajas kommen: „Der Herr tröstet Zion, er tröstet alle ihre Wüsten, ... daß man Wonne und Freude darin findet, Dank und Lobgesang”. Was für ein liebliches Wort das Wort „trösten” ist! Das lateinische Stammwort, von dem das englische Wort für „trösten” abgeleitet ist, übermittelt den Gedanken der Stärke. Daher sieht man, daß der wahre Tröster einem Leidenden nicht nur Trost und Frieden, sondern auch stärkende Hilfe bringen sollte.
Die Welt hat viele Tröster gekannt. Die heiligen Männer vor alters wie Jesaja, der mit kindlichem Vertrauen die Menschen von der Materie auf den Geist hinlenkte, um getröstet und gestützt zu werden, haben zahllose Menschen durch die Jahrhunderte hindurch gesegnet. Davids Glaubens- und Trostlieder haben das Denken in zahllosen Fällen emporgehoben. Aber wer kann sich mit dem großen Lehrer Christus Jesus vergleichen, der nicht nur betrübte Herzen tröstete, sondern tatsächlich die Kranken heilte und die Toten auferweckte? In einem seiner Briefe an Timotheus spricht der Apostel Paulus von Jesus als dem, der „dem Tode die Macht genommen hat”. Was für kraftvolle Worte! Glauben wir sie? Dies ist eine wichtige Frage, die sich der Christ vorlegen muß. Es kann beharrlich eingewendet werden: Aber wie kann der Meister dem Tode die Macht genommen haben, wenn wir ihn immer noch sehen und ihn zu erfahren scheinen?
Laßt uns einen Augenblick den allgemein angenommenen Begriff vom Tod betrachten. Er kann in einen Ausdruck zusammengefaßt werden—das Ende des Daseins. Wenn es nun eine ganz klare Lehre Christi Jesu gibt, die über jede Wortverdreherei hinaus bewiesen werden kann, so ist es die Lehre, daß es nicht so etwas wie Tod gibt, wenn wir damit die Vernichtung oder das Erlöschen des Menschen meinen. Jesu Erkenntnis des endlosen, unzerstörbaren Seins rief die Tochter des Jairus, den Jüngling zu Nain und Lazarus zum Bewußtsein und zu normaler Tätigkeit zurück. Hätten diese drei auferweckt werden können, wenn das Leben ausgelöscht gewesen wäre? Der krönende Beweis des großen Beispielgebers war sein eigener Sieg über den Tod und das Grab.
In „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” schreibt unsere gottinspirierte Führerin Mary Baker Eddy (S. 51): „Jesus hätte sich seinen Feinden entziehen können. Es stand in seiner Macht, einen menschlichen Sinn des Lebens niederzulegen für seine geistige Identität in dem Gleichnis des Göttlichen. Aber er ließ die Menschen den Versuch machen, den sterblichen Körper zu zerstören, um den Beweis des unsterblichen Lebens liefern zu können”. Nachdem alle damals üblichen materiellen Maßnahmen und Proben vorgenommen waren, wurde er für tot erklärt. Damit kein Zweifler vorbringen konnte, daß es sich in diesem Falle nur um „unterbrochene Lebenstätigkeit” handle, kam er erst am dritten Tage aus dem Grabe hervor. Und was war die Bedeutung dieser erhabenen Vollbringung? Es bewies für alle Völker, für alle Zeiten, daß es so etwas wie Tod und Vernichtung für die bewußte Wesenseinheit einfach nicht gibt; daß das Sein unauslöschlich ist, da es das unzerstörbare Leben selber widerspiegelt. Er hat dem Tode nicht nur bildlich, sondern buchstäblich die Macht genommen. Er tat es so mächtig und so praktisch, wie Leif Ericson und Christoph Kolumbus die Sage verbannten, daß die Erde flach sei, als sie über den Horizont hinaussegelten.
Was sollte daher das erste Anliegen des Christlichen Wissenschafters sein, wenn er den Tod vor sich sieht? Sich dem lügenden, verheerenden, dreidimensionalen Zeugnis der körperlichen Sinne zu unterwerfen und zu unterliegen oder sich in der Wissenschaft zu der herrlichen Überzeugung zu erheben, daß der Mensch ist, weil das Leben ist, und daß der Mensch so wenig gestorben ist, wie die Tatsache, daß eins und eins zwei ist, ausgelöscht worden ist; daß „das Böse keine Macht hat, den wirklichen geistigen Menschen zu schädigen, zu hindern oder zu zerstören”?, wie Mrs. Eddy in „The First Church of Christ, Scientist, and Miscellany” (S. 296) schreibt. Dann fügt sie unter Bezugnahme auf einen Wissenschafter, der ihrem Blick entschwunden war, hinzu: „Er ist heute weiser, gesünder und glücklicher als gestern”. Wenn wir dies wahrhaft verstehen, warum sehen wir dann nicht sofort ein, wie selbstsüchtig persönlicher Kummer ist, und bemühen uns, durch unsere Tränen hindurch Gott für das todlose Leben, für das unauslöschliche Sein, für die unsterbliche Liebe zu danken?
Denken wir, wenn wir zeitweilig in den Mesmerismus persönlichen Verlustes gesunken sind, an den freieren Schritt und den erhabeneren Ausblick des lieben Angehörigen, der durch das finstere Tal wandert? Es ist beachtenswert, daß im Zusammenhang mit dem Gedanken des Psalmisten im 23. Psalm im Urtext das Verhältniswort „durch”, nicht „in”, gebraucht ist. Dort schildert er den Menschen nicht im finstern Tale verweilend, sondern triumphierend hindurchschreitend. Und zeigen die Bibel und die Lehren unserer inspirierten Führerin nicht, daß es keine Niederlage und keinen Rücktritt für den geben kann, dessen Hand in des Vaters Hand ist? Die Bibel sagt: „Freue dich nicht, meine Feindin, daß ich darniederliege! Ich werde wieder aufkommen; und so ich im Finstern sitze, so ist doch der Herr mein Licht”.
Hier mag eingewendet werden: „Ja, ich kann sehen, daß des Menschen tatsächliches Leben ewig ist und ewig sein muß; aber ach, die herzbrechende Trennung!” In der Allegorie des Gartens Eden verstecken sich Adam und Eva wegen ihrer Nacktheit. Dann sagt Gott der Herr zu ihnen: „Wer hat dir’s gesagt, daß du nackt bist?” Was sagt den Sterblichen, daß Krankheit, Sünde, Tod und Trennung wirklich seien? Was sonst als der trügerische materielle Sinn, der so schlecht, so ungerecht, so vollständig gottlos ist, daß er nicht wahr sein kann. Daher sagt uns ein Lügner, ein erwiesener Meineidiger, ein schon in üblem Ruf stehender Zeuge—mit andern Worten, der fleischliche Sinn—daß uns liebe Angehörige entrissen worden seien, daß Leben ausgelöscht worden sei, und daß Gottes Kinder verlassen und getrennt sein können. Viele ernste Schüler dieser Christlichen Wissenschaft können heute von Tränen, die getrocknet, von Schmerzen, die gelindert wurden, und vom Gewinnen eines Gefühls der unzerstörbaren Nähe und Unzertrennlichkeit der Ideen Gottes zeugen, als sich das Denken entschlossen von der materiellen Fabel auf die herrliche geistige Wahrheit hin gerichtet hat.
Eine schmerzerfüllte Mutter, deren Sohn dem menschlichen Blick entschwunden war, suchte bei einem christlich-wissenschaftlichen Ausüber ein Wort des Trostes. Der Wissenschafter fragte sie, ob sie daran gedacht habe, ihren Sohn in die Obhut der unendlichen Mutter —Gottes—zu befehlen, der von Ewigkeit her ihren Sohn gekannt, behütet und geliebt hat. Ein Licht himmlischer Befreiung, der Beruhigung und sogar der Freude erhellte das Gesicht dieser Mutter, und sie begann, was alle können, den Frieden zu kosten, den dieses köstliche Verständnis bringt. Das Heilmittel für Kummer ist weniger Selbstsucht und größere Freude über die Tatsache des todlosen, triumphierenden Lebens, ein innigeres Wandeln mit der Wahrheit, und eine Ruhe die aus der Überzeugung geboren ist, welche der Dichter so schön ausgedrückt hat:
„Ich weiß nicht, wo auf Seinen Inseln
Die Palmen in die Lüfte ragen;
Ich weiß nur: Seine Lieb’ und Güte
Wird Er mir nimmermehr versagen”.
Christus Jesus hat dem Tode die Macht genommen! Wenn die Erkenntnis dieser erhabenen Wahrheit dem menschlichen Herzen dämmert, werden die Sterblichen zuerst ihre Furcht und ihr Grauen vor diesem allgemeinen Feind verlieren, und dann, wenn sie mehr von jener Liebe, die das Leben ist, und von jener Wahrheit beweisen, die das Selbst der Unsterblichkeit ist, sehen, wie dieses erschreckende Argument in der menschlichen Erfahrung immer weniger wird, bis es schließlich in sein natürliches Nichts zurückfällt. Christus Jesus hat dem Tode die Macht genommen. Freue dich!
