Die Menschen halten meistens das Gesetz für etwas, das von Herrschern oder gesetzgebenden Körperschaften erlassen wird — für Verhaltungsmaßregeln, die möglicherweise befolgt oder auch nicht befolgt werden können.
Der Psalmist schreibt von einem höheren Begriff des Gesetzes, von einem Gesetz, mit dessen Erlassung die Menschen nichts zu tun haben. Dieses Gesetz ist die natürliche, beherrschende Kraft der göttlichen Intelligenz, der Einfluß des erhabenen Gemüts, der in seinem Vertreter, dem Menschen, stets gegenwärtig und wirksam ist. „Das Gesetz seines Gottes ist in seinem Herzen; seine Tritte gleiten nicht” (Ps. 37:31). Da der Mensch der Ausdruck des Gemüts ist, ist er unlöslich mit den geistigen, intelligenten Kräften des Gemüts verknüpft, die Gottes Gesetz sind. Der Mensch kann ebensowenig ohne Gesetz existieren, wie er ohne Leben existieren kann. Das Gesetz wohnt dem Leben inne, es ist die bildende und beherrschende Kraft des Lebens, die ewig im Menschen und für den Menschen wirksam ist, seine Individualität ausmacht und die ordnungsgemäße Entfaltung der dieser natürlich zugehörenden Ideen regiert.
Doch zeigte der Psalmist auch, daß die Schlechtigkeit oder das Böse „das Gesetz übel deutet” (Ps. 94:20). Ebenso wie das wahre Gesetz die Kraft des göttlichen Gemüts ist, die jede Idee des Gemüts wirksam regiert und ausstattet, so ist der falsche Begriff von Gesetz die angebliche Kraft des sterblichen Gemüts, die in dem angenommenen Reich materiell gesinnter Sterblicher und materieller Erscheinungen wirksam ist. Dem Anspruch des Irrtums gemäß, sowohl gut wie böse zu sein, bringt sie manchmal eine Zeitlang einen Anschein von Gesundheit und Harmonie hervor, dann jedoch wieder alle Formen der Disharmonie und schließlich den Tod.
Vor dem Kommen der Christlichen Wissenschaft glaubte die Christenheit, daß, wie gut Gott auch immer sein mochte, die Mächte des Bösen in unerklärlicher Weise Sein Gesetz umstoßen könnten. Die Christliche Wissenschaft lehrt und beweist, daß jedes Einzelwesen imstande ist, die Übermacht des Menschen über alle bösen Mächte — das gesetzlose Gesetz — auf Grund seiner geistigen Natur und seines eingeborenen Einsseins mit dem göttlichen Gemüt, dem alle Kräfte der Intelligenz oder des geistigen Gesetzes innewohnen, zu verstehen und zu demonstrieren.
Eine Phase des falschen Gesetzes oder der Kraft des sterblichen Gemüts wird Malpraxis genannt. Mary Baker Eddy stellt sie bloß und zeigt das wissenschaftliche Gegenmittel. Sie sagt in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” (S. 451): „Sie ist die schädliche Tätigkeit eines sterblichen Gemüts, das ein andres aus unrechten Motiven beherrscht, und sie wird entweder in irrtümlicher oder in schlechter Absicht ausgeübt.” Bemerke hier, und vergiß nicht, daß die Malpraxis die „Tätigkeit eines sterblichen Gemüts, das ein andres ... beherrscht,” ist. Sie ist daher eine Erscheinung, die ausschließlich im Bereich des lügenhaften sterblichen Gemüts existiert.
Ein materieller Denker, der an das gottlose sterbliche Gemüt glaubt und an dessen Anspruch, gewisse Sterbliche durch das Denken anderer Sterblicher verletzen zu können, versucht, böse Gedankenkräfte zu benutzen, um die Gedanken eines oder vieler Sterblicher, die auch an das sterbliche Gemüt und seine angebliche gottlose Macht glauben, zu beherrschen. Wo ist Gott in all diesem? Wo ist der Mensch, den Gott geschaffen hat? Nirgends. Das ganze Bild beginnt und endet im sterblichen Gemüt. Es ist nicht die geringste Wirklichkeit, noch Leben, Substanz oder Macht darin.
Genau in dem Grade, in dem jemand daran glaubt, daß das sterbliche Gemüt wirklich etwas ist, und daß es Macht hat, anstatt es als eine Fabel zu erkennen, wie die Christliche Wissenschaft uns lehrt, fürchtet er sich vor der Malpraxis. In dem Maße, wie er die Lüge annimmt, daß er ein sterbliches Wesen ist, inmitten einer Menge andrer sterblicher Wesen, umgeben von dem Reich des sterblichen Gemüts, statt sich klarzumachen, daß seine Individualität Gottes Ebenbild und Gleichnis ist, umgeben von dem universellen Reich der Ideen, die vom Gemüt regiert werden, gibt er zu, daß es eine Ursache und Wirkung gibt außer Gott und Seiner Offenbarwerdung.
Der Christliche Wissenschafter sollte oft über die folgende einfache Erklärung seiner Führerin nachdenken und sie in sich aufnehmen: „In Wirklichkeit gibt es kein sterbliches Gemüt und folglich keine Übertragung sterblicher Gedanken und Willenskraft. Leben und Sein sind von Gott” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 103). Sind wir willens, uns der Wirklichkeit, nämlich des unsterblichen Gemüts und seiner Kinder oder Ideen, die sicher im Reich Gottes weilen, bewußt zu werden und so alle Furcht vor bösen Kräften auszutilgen? Oder geben wir unwissentlich zu, daß es zwei Mächte gibt, eine gute und eine böse, und werden dadurch das Opfer unsrer eigenen irrigen, gesetzlosen Annahme?
Es war natürlich, daß Mrs. Eddy bei ihrem Werk, der Welt einen beweisbaren Begriff von Gott zu geben, auch das Verfahren des Bösen in seinem vollen Umfang aufdecken mußte. Wenn irgendjemand sich vor dem Bösen fürchten sollte, so ist es derjenige, der verblendet ist gegen die Allmacht Gottes — ganz gewiß nicht derjenige, der etwas von jener Allmacht erkannt hat und sie demonstriert.
Auf Seite 442 ihres Werkes „Wissenschaft und Gesundheit” warnt Mrs. Eddy ihre Nachfolger: „Christliche Wissenschafter, seid euch selbst ein Gesetz, daß euch die mentale Malpraxis nicht schaden kann, weder im Schlaf noch im Wachen.” Wie kann man sich selbst ein Gesetz sein? Einfach indem man sich seines natürlichen, untrennbaren Einsseins mit dem Vater, in dem alles Gesetz beruht, bewußt wird, und in der Erkenntnis, daß des Menschen Individualität immerwährend von diesem einzigen Gesetz gebildet, geleitet und beschützt wird. So verneint und vernichtet ein Mensch die Lüge, daß er in seiner wahren Wesenheit ein sterbliches Wesen ist, das die Zielscheibe der falschen Annahmen und Behauptungen des lügenhaften sterblichen Gemüts wird, die sich durch das haßerfüllte, unwissende Denken einer sterblichen Mentalität, die durch ihre Unwissenheit gegen Gott und die Wirklichkeit verblendet ist, durchzusetzen suchen.
Durch die Vergegenwärtigung dieser Wahrheiten wird der Mensch sich selbst ein Gesetz. Er erkennt seine Verbundenheit mit dem einen Gesetzgeber und Seinem Gesetz. Ja er findet in gewissem Maße sein Einssein mit dem göttlichen Gemüt, in dem er heil und sicher ist vor allen Versuchen des sterblichen Gemüts, ein Gesetz einzubringen, mit dem die Sterblichen geschädigt werden.
In einer ihrer Unterrichtsstunden sagte Mrs. Eddy zu ihren Schülern, wie wir in dem Buch „Wir kannten Mary Baker Eddy” lesen, als Einleitung zu ihren Belehrungen über die Natur des Bösen oder den tierischen Magnetismus: „Heute werde ich etwas aufbauen, um es dann niederzureißen.” Hier ist ein Gedanke, an den die Christlichen Wissenschafter sich erinnern sollten. Die Wissenschaft legt das Verfahren des Bösen bloß, doch nicht etwa, um jemanden zu erschrecken, sondern nur, um allen zu zeigen, wie sie sich in intelligenter und wirksamer Art von aller Furcht vor dem Bösen und vor seiner überhebenden Anmaßung, daß es den Menschen Gesetze erlassen kann, freimachen können. Laßt uns dessen gewiß sein, daß wir, nachdem wir das Böse aufgebaut — seine Ansprüche ans Licht gebracht haben — nicht versäumen, es niederzureißen, indem wir es auf sein Nichts zurückführen und seine Machtlosigkeit beweisen durch unser Verstehen von der Allmacht des göttlichen Gesetzes der Intelligenz und des Guten, das Tag und Nacht im Menschen wirksam ist.
Der Psalmist sah, daß das Böse mit seinem lügenhaften Anspruch, ein Gesetzgeber für den Menschen zu sein, auf ewig von dem Reich der Wahrheit ausgeschlossen ist, als er schrieb: „Der Gottlosen Zepter wird nicht bleiben über dem Häuflein der Gerechten” (Ps. 125:3). Ehre sei Gott für diese einfache und große Wahrheit, und für die Christus-Wissenschaft, die uns lehrt, diese Wahrheit zu beweisen.
