Ein kleiner Knabe hatte seinen Spielkameraden schon öfters erzählt, daß nun bald seine Großmutter, die er sehr gern hatte, zu Besuch kommen werde. Kurz nach ihrer Ankunft sagte ein Nachbarskind, das mit ihm spielte: „Deine Großmutter ist alt, sie hat ja Weiße Haare.” Er hielt nur einen Augenblick inne, dann erwiderte er, als ob er eine große Tatsache feststellte: „Meine Großmutter ist nicht alt; sie hat ein freundliches Gesicht.”
Ein Gesicht, das Freude, Freundlichkeit, Selbstlosigkeit widerspiegelt, verrät nie die Zahl der Jahre, die es gesehen hat, sondern nur eine größere Erfahrung.
Die Entdeckerin und Gründerin der Christlichen Wissenschaft, Mary Baker Eddy, hat geschrieben (Miscellaneous Writings, Vorw. S. ix): „Eine lange Reihe von Jahren inmitten der gleichmäßigen Dunkelheit von Sturm und Wolken und Unwetter ruhig und gleichmäßig bleiben, erfordert Stärke von oben—tiefe Züge aus der Quelle der göttlichen Liebe. Es kann wahrhaft gesagt werden: Es gibt ein Alter des Herzens, und eine Jugend, die nie alt wird; eine Liebe, die ein Knabe ist, und eine Gemütsverfassung, die immer ein Mädchen ist. Die flüchtige Jugendfrische ist jedoch nicht das Immergrün der Seele, die Farbenpracht fortdauernder Blüte, die geistige Glut und Erhabenheit eines hingebenden Lebens, in dem ein Friede wohnt, der in der Anfechtung oder im Sieg heilig und aufrichtig ist.”
Echtes Freundlichsein ist ein Widerspiegeln. Strahlende Freundlichkeit ist nichts Äußerliches, kein bloßer Gesichtsausdruck, noch ist sie etwas, was man anlegt und ablegt. Sie ist keine gesellschaftliche Liebenswürdigkeit, sondern eher ein geistiges Erglühen von innen —„die Schönheit der Heiligkeit.” Ziererei und Verstellung sind kein Teil von ihr. Sie verrät gegen alle Wohlwollen, jene wahre Gastfreundschaft, die man nicht für seine Angehörigen vorbehält, sondern die so unparteiisch ist wie der Regen. Sie heißt den Fremden willkommen, tröstet den Leidtragenden, übt auf den Einsamen Anziehung aus, ermutigt den Verzagten. Sie verschönt ihre Umgebung und gestaltet sie um. Kann man nicht beobachten, daß man in einem strahlenden Antlitz die Gesichtszüge nicht wahrnimmt? Ein strahlendes Gesicht ist unwiderstehlich. Es bringt Gereiztheit zum Verschwinden, beseitigt Reibung in Geschäftsbeziehungen, und bewahrt warme Zuneigung im Familienleben.
Wie legt man diese begehrenswerte Eigenschaft an den Tag? Im zweiten Brief an die Korinther lesen wir: „Nun aber spiegelt sich in uns allen des Herrn Klarheit mit aufgedecktem Angesicht, und wir werden verklärt in dasselbe Bild von einer Klarheit zu der andern, als vom Herrn, der der Geist ist.” Es ist also unser Widerspiegeln des Geistes, was unser Antlitz leuchten läßt. Wir dürfen uns wohl fragen, was wir wahrnehmen: eine kämpfende Welt, einen kranken Körper, einen sündigen Menschen oder Mangel auf allen Seiten? Das ist nicht „des Herrn Klarheit” oder Herrlichkeit, sondern nur der Nebel unwissender Materialität, der den Anblick entstellt.
Die Herrlichkeit oder Art des Geistes ist Allheit, Vollkommenheit, Allgegenwart. Wenn man sich weigert, auf das falsche Zeugnis des materiellen Sinnes einzugehen, ist kein vermeintliches Hemmnis vorhanden, den Ausdruck der Wahrheit, des Lebens, der Seele zu hindern. Der Mensch drückt von Natur herrlich und ungehemmt das Licht der Wahrheit, die Ewigkeit des Lebens, die Schönheit der Seele, den Strahlenglanz des Geistes aus.
Die biblische Geschichte gibt uns viele Beispiele: Mose, dessen Angesicht von Erleuchtung glänzte; Abigail, die geschildert ist als „ein Weib guter Vernunft und schön von Angesicht”; Stephanus, dessen Antlitz, wie uns gesagt wird, denen, die ihn sahen, wie „eines Engels Angesicht” erschien.
Jesus nahm Petrus, Jakobus und Johannes einmal mit, als er auf einen Berg ging, um zu beten. Dort wurde er in ihrer Gegenwart verklärt. Sein von geistigem Licht durchdrungenes Angesicht schien denen, die bei ihm waren, zu leuchten wie die Sonne.
Die Verklärung ist als übernatürlich angesehen worden; aber die Christliche Wissenschaft erklärt, daß sie auf der Grundlage erhabenen Bewußtseins göttlich natürlich ist. Durch Gebet—durch das Erwachen zu der Erkenntnis des Einsseins Gottes und des Menschen—nahm Jesus den Menschen als ein weder durch Zeit noch Raum begrenztes Bild wahr. Und die Jünger hörten „aus der Wolke” die Worte, die die Herrlichkeit des Menschen als des Sohnes Gottes bestätigten: „Dies ist mein lieber Sohn, an welchem ich Wohlgefallen habe.”
In der Christlichen Wissenschaft drückt der Mensch als die Widerspiegelung Gottes den Strahlenglanz Gottes aus. Des Menschen Stärke, Lebenskraft, Schönheit, Frische, Erhabenheit werden weder durch Zeit, Anstrengung, noch durch ein Älterwerden getrübt. Der unsterbliche Mensch kann nicht mit einem sterblichen Maß gemessen werden. Das Leben kann nicht in Zeitabschnitte eingeteilt werden; denn das Leben ist Gott. Laßt uns aufhören, uns und andere als jung, als in mittleren Jahren stehend oder als alt zu betrachten!
In einer Mittwochabendversammlung stand eine Frau auf, um Dankbarkeit auszudrücken. Später vertraute sie einer Freundin an, daß es ihr einen Augenblick lang unmöglich geschienen habe, auch nur ein Wort zu äußern. Dann sah der Erste Leser sie freundlich an. Ermutigt erzählte sie ihre Erfahrung und fürchtete sich nie wieder, ein Zeugnis zu geben. Mrs. Eddy gab einem Ersten Leser den weisen Rat (The First Church of Christ, Scientist, and Miscellany, S. 247): „Es ist nicht ein strenger, sondern ein liebevoller Blick, der die Menschen veranlaßt, zu empfangen, was Sie zu geben haben—es ist weniger Beredtsamkeit als sanfte Überzeugung, was ihre Furcht beseitigt; denn die Liebe allein speist sie.” Diesen Rat sollten wir alle wohl beherzigen.
