„Dein Wille geschehe.” Dieses Gebet Christi Jesu ist die offene Tür zum Himmel, dem wahren Daseinszustand des Menschen. Willigkeit des Herzens und des Gemüts ist eine Eigenschaft, die mit Gebet und Streben ausgebildet werden muß, wenn man eingehen will durch jene Tür von dem sterblichen Traum zu der unsterblichen Wirklichkeit. Mary Baker Eddy, die Entdeckerin und Gründerin der Christlichen Wissenschaft, sagt auf Seite 323 und 324 des Buches „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift”: „Die Willigkeit, wie ein kleines Kind zu werden und das Alte um des Neuen willen aufzugeben, macht den Gedanken für die vorgeschrittene Idee empfänglich. Die Freudigkeit, die falschen Marksteine zu verlassen, und die Freude, sie verschwinden zu sehen — eine solche Gesinnung beschleunigt die endgültige Harmonie.”
Doch wie willig sind wir wirklich, den alten Menschen abzulegen und den neuen anzuziehn? Strengen wir uns nicht manchmal an, den neuen über den alten zu ziehen, oder den alten in den neuen umzuwandeln? Die falschen Theorien der Theologie und Physiologie lehren uns, am alten Menschen festzuhalten — ihn zu lieben, ihn zu strafen, ihn zu heilen und ihn in gewisser Weise zu erlösen, um ihn in das Himmelreich zu bringen. Diese falschen Lehren sind nicht immer leicht zu erkennen und aufzugeben. Oft kommt es vor, daß jemand denkt und sagt, daß er willig ist — o, so willig — den alten Menschen abzulegen, doch eine nähere Prüfung des Denkens wird offenbaren, daß er noch recht festhält an diesem alten Menschen und erwartet, daß er geheilt werden und glücklich und wohlhabend gemacht werden soll. Man ist willig genug, die Übel und Begrenzungen des menschlichen Gemüts aufzugeben, indem man sie heilen läßt, doch sie als nichts zu erkennen, jenes Gemüt selbst und dessen scheinbare Wesenheit, die sich als unsre Selbstheit aufspielt, aufzugeben, das ist eine andere Sache. Wegen unsrer Unwissenheit betreffs der Fülle und Vollständigkeit des neuen, wahren Menschen fürchten wir uns manchmal, den alten aufzugeben, um nicht den Boden unter den Füßen zu verlieren und ohne Wesenheit und Grundlage für unser Dasein gelassen zu werden. Wir können noch nicht recht erkennen, daß wir erst, wenn die alten Begriffe für neue Ideen aufgegeben werden, in die Fülle des Lebens und seines individualisierten Ausdrucks, des Menschen, kommen können.
Manchmal kommt es vor in der Ausübung der Christlichen Wissenschaft, daß jemand zu dem Ausüber kommt, der von persönlichen Erfahrungen, persönlicher Verantwortlichkeit und persönlichen Befürchtungen, Hoffnungen, Wünschen, Enttäuschungen, Bestrebungen und Übeln niedergedrückt ist. Er möchte gesund gemacht werden, so daß die Übel verschwinden, die persönlichen Hoffnungen und Wünsche hingegen erfüllt werden, und er in Harmonie, Gesundheit und selbständiger Tätigkeit seinen sogenannten Lebenslauf vollenden kann. Hier müssen beide, der Ausüber sowohl wie der Patient, willig sein, der Versuchung zu widerstehen, den Menschen als einen Sterblichen zu behandeln, mit all seinen Begrenzungen und Unvollkommenheiten — in dem Bestreben, ihn von diesen zu heilen. Diese müssen vielmehr als falsche Vorstellungen erkannt werden, die völlig unwirklich sind. An ihrer Stelle muß die Gegenwart des Gemüts erkannt werden, das seine vollkommenen Ideen erklärt, die die Widerspiegelung der göttlichen Liebe sind und unwandelbar von ihr regiert werden. So wird der Kranke nicht nur von den Übeln des Fleisches geheilt, sondern er zieht den neuen Menschen an, und fängt an, die ewige und unwandelbare Harmonie des wahren Seins zu erleben. Er ergreift das unsterbliche Leben. In ihrem Werk „Unity of Good” (S. 9) sagt Mrs. Eddy: „Was ist der Hauptpunkt, der mein metaphysisches System von andern unterscheidet? Dieser: daß durch das Erkennen der Unwirklichkeit von Sünde, Krankheit und Tod die Allheit Gottes demonstriert wird.”
In keinen menschlichen Beziehungen scheint die Willigkeit, das Alte aufzugeben, den Menschen schwerer zu fallen als in denen zwischen Eltern und Kindern. In diesen Beziehungen ist vielleicht das größte Gefühl des Besitzens zu finden: „Ist dies nicht ‚Fleisch von meinem Fleisch‘? Und muß dies aufgegeben werden?” Doch nichts wird aufgegeben, alles wird gewonnen, durch Willigkeit und Gehorsam. Dies zeigt sich ganz klar in gar manchen Beispielen der biblischen Berichte. Abraham, wenn auch in einem irrtümlichen Begriff von den Forderungen der Liebe, war willig, seinen geliebten Sohn aufzugeben und so seiner höchsten Auffassung des Guten gehorsam zu sein. Gerade diese Willigkeit und dieser Gehorsam gaben Abraham seinen Sohn zurück und brachten ihm die Verheißung zahlreicher Segnungen. Die Frau von Zarpath war willig, Elisa ihren Sohn zu überlassen. Er nahm ihn „von ihrem Schoß”, dem erstickenden Begriff menschlicher Mutterliebe, und trug ihn hinauf in das Bewußtsein der göttlichen Liebe, in dem der Mensch Gottes weilt; und ihr Sohn wurde ihr lebendig wiedergegeben. Willigkeit und Gehorsam beim Aufgeben zu persönlicher Gefühle trennen nicht sondern bringen die Zurückerstattung des scheinbar Verlorenen. Sie offenbaren das Leben, das die Widerspiegelung der Herrlichkeit des göttlichen Lebens und seiner ewigen Reichtümer ist.
„Wollt ihr mir gehorchen, so sollt ihr des Landes Gut genießen.” Laßt uns diese gedankliche Einstellung der Willigkeit und des Gehorsams in uns ausbilden, so daß das Alte dem Neuen in uns weicht. In dem Maße, wie wir Fortschritte machen in der Erkenntnis des guten Willen Gottes, nimmt diese Willigkeit immer mehr zu, und wir nehmen freudig die Segnungen der Liebe an, die so hoch erhaben sind über unsern eigenen Lieblingsplänen und -wünschen. Wir hören auf, an einem Krankheitsanspruch festzuhalten, gleichzeitig verlangend, daß er geheilt werden möchte, oder an einem Anspruch von Armut, in der Erwartung, daß er durch materielle Mittel überwunden werde. Wir hören gänzlich auf, menschliche Willenskraft zu gebrauchen, und ergeben uns willig dem guten Willen Gottes. Wenn der persönliche Sinn auf dem Vorhandensein von Schwäche, Unfähigkeit, Mangel oder Disharmonie irgend welcher Art besteht, so können wir uns klarmachen, daß der Wille Gottes für seine geliebten Kinder immer nur Kraft, Gesundheit, Stärke, Intelligenz, Fülle, zuversichtliche Leistungsfähigkeit und stets gegenwärtige Gelegenheit ist. Und der Wille Gottes geschieht, denn es gibt keine geringere Gegenmacht, die hindern oder umkehren könnte. Auf Seite 208 ihres Buches „Miscellaneous Writings” sagt unsre Führerin: „Die Sterblichen brauchen sich nur dem Gesetz Gottes zu unterwerfen, sich in Einklang damit bringen, um so Seinen Willen geschehen zu lassen. Diese ununterbrochene Wirksamkeit des Gesetzes der göttlichen Liebe erquickt die Mühseligen und Beladenen. Doch wer ist willig, den Willen Gottes zu tun oder ihn geschehen zu lassen?”
