Jesus beschreibt in einem seiner Gleichnisse, durch die er seine Lehren veranschaulichte, einen Sämann, der „guten Samen“ auf seinen Acker säte. Als der Weizen heranwuchs, zeigte es sich, daß Unkraut darunter war, und die Knechte fragten ihren Herrn, woher das Unkraut gekommen sei. Der Hausvater war nicht beunruhigt. Er verstand und erklärte seinen Knechten, daß ein Feind es gesät hatte (Matth. 13, 28).
Befassen wir uns mit dieser Geschichte im Licht ihrer metaphysischen Bedeutung, so erkennen wir, wie trefflich sie Erscheinungsformen in unserer eigenen Erfahrung beschreibt. Wir haben vielleicht versucht, nur gute Gedanken in unser Bewußtsein zu pflanzen, haben oft erklärt, daß Gott, der Geist, das All und die Materie oder Böses nichts ist; daß der Mensch ewig eins mit Gott ist. Wir wissen, daß diese Erklärungen wahr sind; dennoch kann es zuweilen scheinen, als sei ein Feind gekommen und habe andern Samen ausgestreut.
Dieser Feind hat uns vielleicht eingeflüstert, daß wir entmutigt seien oder Furcht hätten, oder daß wir nicht genug Verständnis hätten, um die vor uns stehenden Schwierigkeiten zu überwinden; daß unser Körper materiellen Gesundheitsgesetzen unterstehe, daß unser Heim dem Unfrieden ausgesetzt sei und unser Geschäft fehlschlagen könne.
Diese Einflüsterungen können, selbst wenn sie in unser Denken eingedrungen zu sein scheinen, nie ein Teil des wirklichen Seins des Menschen werden. Sie können unsern Fortschritt nicht aufhalten, wenn wir erkennen, daß sie keine Grundlage in Gott, dem Prinzip alles wahren Daseins, haben. Daher können sie keine tatsächliche Wirkung erzeugen, und ihre schließliche Zerstörung steht außer Frage.
Als eine Wissenschafterin über diese Geschichte nachdachte, die sich so einfach anhört, die aber so vielverheißend ist, kam ihr die Frage in den Sinn: Warum gab der Mann nicht seine Zustimmung, als die Knechte das Unkraut ausjäten wollten? Er antwortete ihnen vielmehr (Matth. 13, 29. 30): „Nein! auf daß ihr nicht zugleich den Weizen mit ausraufet, so ihr das Unkraut ausjätet. Lasset beides miteinander wachsen bis zu der Ernte; und um der Ernte Zeit will ich zu den Schnittern sagen: Sammelt zuvor das Unkraut und bindet es in Bündlein, daß man es verbrenne; aber den Weizen sammelt mir in meine Scheuer.“
Sie sollten das Unkraut bis zu „der Ernte Zeit“ lassen; aber Jesus sagte auch (Joh. 4, 35): „Saget ihr nicht: Es sind noch vier Monate, so kommt die Ernte? Siehe, ich sage euch: Hebet eure Augen auf und sehet in das Feld; denn es ist schon weiß zur Ernte.“
Als sie dies las, wurde ihr die Antwort in Mary Baker Eddys Worten auf Seite 254 in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ zuteil: „Gott verlangt Vollkommenheit, aber nicht eher, als bis die Schlacht zwischen Geist und Fleisch ausgefochten, und der Sieg gewonnen ist.“ Mrs. Eddy schreibt auch (Wissenschaft und Gesundheit, S. 261, 262): „Das Gute fordert vom Menschen, daß er zu jeder Stunde das Problem des Seins ausarbeite.“
Die Aufgabe kann nicht in einer Stunde vollbracht werden; aber wir können uns freuen, daß wir nicht auf einen künftigen Tag zu warten brauchen, um die freudige und nützliche Arbeit zu beginnen. Jede Stunde ist eine Erntestunde in unserer Erfahrung. Ein Teil des Weizens ist völlig ausgereift, und manches Unkraut ist reif zur Zerstörung. Sooft wir eine falsche Annahme aufdecken und ihre Unwirklichkeit erkennen, sind wir bereit, sie auszujäten, sie zu vernichten durch die Wahrheit, daß nichts, was Gott, dem unendlich Guten, unähnlich ist, Wirklichkeit, Wesenheit oder Macht hat.
Vielleicht machen sich falscher Stolz, menschlicher Wille, Furcht vor Krankheit, oder irgend welche der mit dem Glauben an ein von Gott getrenntes Selbst verbundenen unzähligen Ansprüche geltend; aber wir wissen, daß wir, wenn uns der Irrtum einmal aufgedeckt ist, das nötige Verständnis haben, seine Geltendmachungen zu vernichten. So sammeln wir die Früchte eines stärkeren Glaubens und einer tieferen und reineren Liebe zu Gott und den Menschen in unsere Scheunen. Dann sehen wir dankbar und demütig den Fortschritt, den wir gemacht haben, und wir erwarten von künftigen Ernten zuversichtlich weiteren Gewinn.
Noch ein anderer Gedanke brachte dieser Wissenschafterin Freude und Ermutigung — der Gedanke, daß eine Ernte zwar ein Ende darstellt, aber auch ein Anfang ist. Nachdem die Feldarbeit getan und das Getreide eingeerntet ist, fangen der Landmann und andere an, den geernteten Ertrag zu benützen. Ebenso verhält es sich mit unseren geistigen Vorräten; was wir durch treues Bemühen geerntet haben, gibt uns für nachfolgende Erfahrungen Kraft und Mut. Rings um uns her sind Felder voll gereiften Korns. Auf allen Seiten entfalten sich unserem Denken unaufhörlich neue und höhere Arten, das Christentum zu beweisen.
Vor Jahrhunderten schrieb der Prophet Maleachi (Mal. 3, 10): „Bringet aber die Zehnten ganz in mein Kornhaus, auf daß in meinem Hause Speise sei, und prüfet mich hierin, spricht der Herr Zebaoth, ob ich euch nicht des Himmels Fenster auftun werde und Segen herabschütten die Fülle.“ Nicht nur ein Teil unserer Gedanken, sondern unser ganzes Denken muß das eine Gemüt, die göttliche Liebe, widerspiegeln. Wenn der Beweis erbracht ist und die Bekundungen des Irrtums verschwunden sind, können wir Erntelieder singen.
In jener Stunde werden wir sehen, daß die Vergangenheit Gott gehört, und daß nur das, was von Ihm kommt, je wahr ist. Die Gegenwart gehört uns, und sie ist reich an Segnungen. Und von der Zukunft haben wir nichts zu fürchten, wenn wir sie der immer liebenden und alles verstehenden Fürsorge Gottes anheimstellen.
Wenn wir die Zehnten des Reichtums der Vergangenheit und der Gegenwart in Gottes Kornhaus bringen, lernen wir die Wahrheit klarer verstehen, und es verwirklicht sich die Verheißung, daß Er uns „Segen herabschüttet die Fülle“. Gottes Verleihungen sind unendlich.
In einem beliebten Lied heißt es:
„Sieh, wie in wogenden Feldern
Mächtig die Ernte heranreift;
Aber noch klein ist die Zahl der Schnitter,
Die der großen Arbeit sich widmen.“
