Wer in unseren Kirchen berufen worden ist, Leser zu sein, kann mit Recht als Botschafter der Wahrheit betrachter werden. Es ist eine heilige Aufgabe, das Wort Gottes zu äußern, das die von Sünde, Krankheit und allen möglichen Beschwerden Gefesselten befreit. Der Leser ist ein Werkzeug der Gerechtigkeit und verkündigt die Botschaft der Wahrheit.
Diese Botschaft sollte einfach und mit solch demütiger Hingebung, mit solch klarem Verständnis gelesen werden, daß jemand, der unsere Kirchen erst zu besuchen beginnt, sie hören und ihre geistige Kraft erfassen kann und den Gottesdienst freudig verläßt. Die Worte des Apostels Paulus verdienen, daß jeder Leser sich oft in sie vertieft (2. Kor. 3, 5. 6): „Nicht, daß wir tüchtig sind von uns selber, etwas zu denken als von uns selber; sondern daß wir tüchtig sind, ist von Gott, welcher auch uns tüchtig gemacht hat, das Amt zu führen des neuen Testaments, nicht des Buchstabens, sondern des Geistes. Denn der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig.“
Wenn das Denken eines Lesers so erfüllt ist von der Botschaft, die er zu geben hat, daß er sich selber vergißt, kann man in seinem Lesen die Demut immer fühlen. Gott schützt alle, die in Seinem heiligen Dienst stehen, und ein Leser sollte mit Recht des Vaters schützende Gegenwart täglich fühlen und sich ihrer freudig bewußt sein. Dadurch ist er besser imstande, das Wort des Lebens freudig, dankbar und mit Liebe zu verkünden.
Leser sollten darauf achten, daß die Botschaft dem Zuhörer nicht durch einen falschen Sinn menschlicher Persönlichkeit entgeht. Furcht, Selbstüberhebung und Selbstverdammung sind Erscheinungsformen des Glaubens an ein von Gott getrenntes Selbst und machen manchmal geltend, die Botschaft der zu Wahrheit zu trüben. Um sinnvoll, verständnisvoll und ausdrucksvoll zu sein, muß das Lesen selbstlos sein. Die Wahrheit sollte mit jener gütigen Mutterliebe geäußert werden, mit der ein Ausüber zu einem Hilfesucher spricht — mit der christusgleichen Liebe, die heilt.
Es wird für jeden Leser von Nutzen sein, die Mitteilung, die im Christian Science Journal vom November 1946, und im Herold der Christlichen Wissenschaft vom März 1936 in der Spalte „Etwas von Interesse“ abgedruckt war, zu lesen und darüber nachzudenken. Es ist dort angeführt, daß unsere weise und verständige Führerin schrieb: „Ich bitte Sie, den besten Leser, den Sie finden können, zu wählen, um meine kurze Botschaft zu lesen, jemand, dessen Stimme weit trägt, dessen Aussprache deutlich ist, und dessen Betonung, Absetzen und Tonfall der Umgangssprache entspricht, — den Gesetzen, seinen Gegenstand zu verstehen und ihn dem Zuhörer klar zu machen.“ Laßt uns diese Worte unserer Führerin näher betrachten!
Sie sagt zuerst, „jemand, dessen Stimme weit trägt“. Die Stimme ist nur ein Werkzeug, um Gedanken auszudrücken. Der Irrtum kann ihre Tragweite nicht begrenzen, wenn genug selbstloses Verlangen vorliegt, sich von Gott benützen zu lassen, Sein Wort so zu verkünden, daß alle es hören können. Wenn der Leser genügend durchdrungen ist von dem Wert der Botschaft, bekommt seine Stimme den rechten Tonfall, um sie zu verkünden. Die reichere Klangfarbe der Stimme drückt Liebe und Großmut aus — Eigenschaften, die der Leser beim Lesen unserer Lehrbücher ausdrücken muß. Jesus dachte wahrscheinlich nie daran, in welchem Ton er zu seinen Nachfolgern sprechen sollte; sein Denken war nur von den wahren Ideen erfüllt, die er ihnen zu offenbaren hatte. Da die Wahrheit allumfassend ist, steht ihre Botschaft allen gleichermaßen zu, und das sterbliche Selbst kann sie nicht entstellen oder verdunkeln. Wenn sich der Leser dieser Tatsache bewußt ist, wird er sich nicht besonders anstrengen, nur für Zuhörer in den hintersten Reihen zu lesen. Zuviel daran denken, daß man gehört wird, heißt die Wichtigkeit der Botschaft aus den Augen verlieren.
Die Verfasser und Sänger der Bibel waren ganz durchdrungen von der Verantwortung, die Botschaft mitzuteilen, die ihnen am Herzen lag. Als Johannes die heilige Stadt beschrieb, war er ganz ergriffen von ihrer Herrlichkeit; es lag ihm fern, bei deren Enthüllung seine eigenen Empfindungen zur Schau zu stellen. Er verliert alles, was sich auf sein menschliches Selbst bezieht, aus den Augen, und nur die Offenbarung tritt klar hervor. Ebenso verhält es sich, wenn der Leser das sterbliche Selbst aus dem Weg räumt, und nur den Strahlenglanz des Worts leuchten läßt. Dann findet die hoffnungeinflößende Wahrheit im Denken der Gemeinde Gehör.
Unsere Führerin erwähnt als nächstes deutliche Aussprache. Ein Wörterbuch erklärt Lautlehre zum Teil wie folgt: „Die als Elemente der Sprache betrachtete Wissenschaft der Lautbildung.“ Die Botschaft darf nicht so in Lautlehre verwickelt sein, daß sie die Reinheit und Erleuchtung einbüßt. Sie sollte, wie aus der Erklärung unserer Führerin hervorgeht, in einem getragenen, ungezwungenen Gesprächston gelesen werden.
Der Leser sollte sich davor hüten, gewisse Worte zu stark zu betonen. Jedes Wort im Satz ist für den Gedanken wichtig, und wenn der Leser den Gedanken erfaßt hat, wird er verständnisvoll und mit passender Betonung lesen. Man muß denken — den ganzen Gedanken durchdenken! Lesen ist eine Denktätigkeit; das Denken darf nicht abschweifen von der Idee, die man darbietet, weil die Botschaft, gleichviel, wie gründlich man sich auch für sich selber in die Lektion vertieft hat, beim Weitergeben ihre Bedeutung verliert, wenn das Denken nicht davon erfüllt ist. Durch ein zu stark betontes Wort bleibt der Gedanke eines Satzes oft in der Luft hängen. Jedem Wort sollte natürlich sein richtiger Gedankenwert gegeben werden.
Unsere Führerin spricht dann davon, Pausen zu machen. Eine Pause ist beim Lesen sehr wichtig; sie gibt den Zuhörern Zeit zum Denken. Durch eine Pause kann ein Wort mehr hervortreten als durch Betonung des Worts. Durch Pausen verliert das Lesen die Eintönigkeit und Farblosigkeit. Ein farbloses Lesen übermittelt den Zuhörern kein Verständnis der Botschaft. Eintöniges Lesen schläfert manche leicht ein; es fesselt die Aufmerksamkeit der Zuhörer nicht. Ein Leser sollte nicht zögern, von einer Pause Gebrauch zu machen, wenn es dem Gedanken des Satzes dient; aber sie sollte nie zu einem andern Zweck gebraucht werden, als um die Bedeutung der Botschaft klar zu machen. Eine derart dem Gedanken dienende Pause zieht keine Aufmerksamkeit auf sich. Wenn der Leser den Wert der dargelegten Ideen wahrnimmt, liest er nicht, ohne abzusetzen.
Den Zuhörern sollte Gelegenheit gegeben werden, die Botschaft mit dem Leser durchzudenken. Wie schon gesagt, muß der Leser unbedingt das falsche Selbst aus den Augen verlieren und dadurch auch den Zuhörern helfen, es zu tun. Man sollte beten und sich bemühen, daß das menschliche Selbst sich in nichts im Lesen vordränge, sondern die Wahrheit so klar hindurchscheinen läßt, daß das Wort in seiner ihm von Gott verliehenen Klarheit vor uns steht. Es war eine große Rede auf dem Schlachtfeld zu Gettysburg, als Lincoln frei von jedem Gedanken an sich selber oder an rednerische Wirkungen seine große Botschaft schlicht und in ungezwungenem, unmittelbarem Gesprächston verkündete.
Unsere Führerin rät uns in „Miscellaneous Writings“ (S. 155): „Vergeßt das Selbst in der Arbeit für die Menschheit; dann werdet ihr den müden Wanderer zu euch ziehen, den Pilger und Fremden für eure Kirche gewinnen und in das Herz der Menschheit Eingang finden.“ Sie schreibt auch (The First Church of Christ, Scientist, and Miscellany, S. 249): „Was unsern Kirchen not tut, ist jenes fromme, selbstlose Denken, das die Gemeinde vergeistigt.“ Es sei hier wiederholt, daß Selbstvergessenheit höchst nötig ist; und Selbstbewußtsein wird am sichersten dadurch überwunden, daß man sein Denken von der Wahrheit und der Liebe erfüllt sein läßt, so daß man eine Botschaft bietet, die die von Schmerzen, Leid, Furcht oder Sünde Niedergedrückten heilt. Unsere Gottesdienste sollen alle heilen, die vielleicht mit Zweifel im Herzen kamen; sie sollen allen die liebende, lebendige Wahrheit zeigen, die sie befriedigen und ermutigen und ihre Zweifel und Befürchtungen beseitigen wird. Wenn das Brot des Lebens und der Wein göttlicher Eingebung liebevoll, erbarmungsvoll, zartfühlend mit ihnen geteilt wird, werden sie zur Erkenntnis ihres Einsseins mit Gott erwachen und für das Gute, das das Lesen zu geben hat, empfänglich sein.
Unsere liebe Führerin wünschte, daß wir mit folgendem Gedanken an das Lesepult gehen, und als Christliche Wissenschafter wollen wir ihren Wünschen entsprechen, wenn sie schreibt: „Gott hat Sie zum Menschenfischer berufen. Nicht ein strenger, sondern ein liebevoller Blick veranlaßt die Menschen, zu empfangen, was Sie zu geben haben, — gütiges Zureden beseitigt ihre Furcht mehr als Beredsamkeit; denn die Liebe allein speist sie“ (Miscellany, S. 247). Wenn man alles, was zum sterblichen Selbst gehört, saus den Augen verliert, tritt die Offenbarung klar hervor, und die Kunstfertigkeit des Lesers tritt so in den Hintergrund, daß sie der Gemeinde so wenig zum Bewußtsein kommt, wie die Anwesenden bei einem Klaviervortrag an die Stunden des Übens denken, die der Künstler verwendet, ein Stück spielen zu lernen.
Ein Leser sollte betreffs der Ansichten der Gemeinde über ihn nicht zu empfindlich sein; doch sollte er aufbauenden Tadel nicht unbeachtet lassen. Die Wahrheit, die dargeboten wird, steht für die Zuhörer wie für den Leser an erster Stelle. Die dargebotenen geistigen Ideen geben den Menschen ein Richtmaß und ziehen das empfängliche Denken zu der Wahrheit hin. Unsere Kirchen sollten die besten verfügbaren Leser haben. Wer in dieses hohe Amt gewählt worden ist, sollte sich bewußt sein, daß er recht zu lesen verstehen muß, und durch Gebet diesem Bedürfnis der Weisheit entsprechend gerecht werden.
Ist der Leser gründlich vorbereitet, wenn er an das Lesepult geht, so ist es leichter, nicht an sich selbst, sondern an die Botschaft zu denken; er sollte sich also vorher gut vorbereiten und sich dann ganz und zuversichtlich auf Gott verlassen. Wenn man sich klar macht, daß in Wirklichkeit nur Gott, das eine Gemüt, am Werk ist und daß Gott sich in Seinem Wort selber offenbart, weicht jedes mit dem Amt des Lesers verbundene Gefühl der Schwere dem Frieden und der Freude, die denen zukommen, die Gott dienen.
