Im zweiten Kapitel des Lukasevangeliums finden wir einen bedeutungsvollen Bericht von großer Schönheit. Hier lesen wir, daß Simeon, ein frommer Mann, das Kind Jesus als den Messias erkannte, als Maria es dem jüdischen Gesetz entsprechend zur Darstellung in den Tempel brachte. Das Kind in seine Arme nehmend, lobte der betagte Simeon Gott und verhieß volle Erlösung für alle Völker, denn er hatte gesehen „ein Licht, zu erleuchten die Heiden, und zum Preis [des] Volkes Israel“. In dieser holden Verheißung befindet sich die Anerkennung der universellen Herrlichkeit des Christus.
Die Christliche Wissenschaft offenbart Christus als die geistige Idee Gottes, als den Ausdruck des unendlichen göttlichen Gemüts. Da der Menschheit diese geistige Idee als der menschliche Jesus erschien, wird der Ausdruck „Christus“ oft als ein Synonym für Jesus gebraucht. Doch die Christliche Wissenschaft erklärt ihn als einen Ehrentitel des Meisters und die Benennung „Christus Jesus“ als eine Andeutung seines Messiasamtes.
Mary Baker Eddy, die Entdeckerin und Gründerin der Christlichen Wissenschaft, legt dar, daß dieser Ausdruck Christus noch andere Bedeutungen hat. In ihrer Botschaft an Die Mutterkirch für das Jahr 1901 sagt sie (S. 8): „Der Christus war Jesu geistige Selbstheit; daher existierte der Christus vor Jesus, welcher sagte:, Ehe denn Abraham ward, bin ich.'“ Als Christus Jesus diese Worte redete, bezog er sich auf seine wahre Selbstheit als den Sohn Gottes — den unkörperlichen, unsterblichen Sprößling des Vaters — nicht auf das materielle Wesen, das von Maria geboren worden war. Christus, der geistige Mensch, der Sohn Gottes, verkörpert die sündlose Natur und Kraft der Göttlichkeit und schließt durch Widerspiegelung das Weltall des Geistes in sich.
Die Christliche Wissenschaft offenbart den Christus als die geistige Selbstheit eines jeden Einzelmenschen. Mit Bezugnahme auf die begrenzte Auffassung vom Christus, welche die Weisen hatten, sagt unsre Führerin (Miscellaneous Writings, S. 164): „Ihr höchster menschlicher Begriff des Menschen Jesus, der ihn als den einzigen Sohn Gottes auffaßte, den eingeborenen Sohn vom Vater, voller Gnade und Wahrheit, wird für das menschliche Bewußtsein durch die Linse der Wissenschaft so vergrößert werden, daß der Mensch sowohl kollektiv wie individuell als der Sohn Gottes offenbart wird.“
Christus ist die unendliche Individualisierung der Wahrheit und drückt alles aus, das als Gottes Ebenbild wirklich und wahr ist. So veranschaulicht Christus, die Wahrheit, als des Menschen geistige Individualität immerdar die Ideen des Gemüts und die göttliche Reinheit des Wesens Gottes. Der Christus weilt ewig im Himmelreich — im Reich des absoluten, wirklichen Seins — untrennbar von seiner Quelle, dem unendlichen Geist. Paulus schrieb über unsre absolute, geistige Selbstheit (Col. 3:3): „Euer Leben ist verborgen mit Christus in Gott.“
Jesus brachte dem Menschengeschlecht den Christus. Durch ihn erreichte das Wahrheitsideal die Menschheit und offenbarte den Willen Gottes. Er bewies, daß das Gesetz Christi die unwandelbare Kraft des Guten ist, die Herrschaft des Sohnes Gottes. Die Christliche Wissenschaft deutet die Lehren des Meisters und erfüllt das Gesetz Christi durch die Heilung. Sie bringt die Kräfte des Guten ans Licht, die göttlichen Gesetze, die jede Individualität ausmachen. Für menschliche Begriffe ist der Christus der Erlöser des Menschengeschlechts, und die Aufgabe des Christus ist es, die Menschheit von der Sünde und Sterblichkeit zu erlösen, die sie zu verfolgen scheinen.
Die Christliche Wissenschaft beweist, daß der sterbliche Daseinsbegriff eine Täuschung ist, und daß die Leiden des Fleisches Wahngebilde eines zeitlichen Traumes sind, von dem Christus, die Gottesidee, uns aufweckt. Unsre Führerin schreibt in ihrem Buch „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ (S. 230): „Dieses Erwachen ist das ewige Kommen des Christus, das Vor-Erscheinen der Wahrheit, welches Irrtum austreibt und die Kranken heilt.“ Und dann fügt sie hinzu: „Dies ist das Heil, das durch Gott kommt, durch das göttliche Prinzip, Liebe, wie Jesus demonstrierte.“
In diesem Sinne verstanden, stellt der Christus die Wirksamkeit der Wahrheit im sogenannten menschlichen Bewußtsein dar, die Offenbarwerdung Gottes, des Geistes, die das Gute ausdrückt, die Wirklichkeit enthüllt, die Beziehungen harmonisiert und alles Irrige vernichtet. Der Christus überwindet die körperlichen Sinne, gewinnt die Sünder für die Gerechtigkeit, stillt Stürme, bringt die Selbstsucht zum Schweigen, heilt die Kranken und erweckt die Toten. Der Apostel Paulus schreibt (Phil. 4: 13): „Ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht, Christus.“
Jeder geringste Ansporn, Gutes zu tun, zeugt von der Gegenwart und Wirksamkeit des Christus, der im Einzelmenschen ein volleres Verständnis von des Menschen wahrer Abstammung von Gott weckt — zuerst durch die Berichtigung falscher Annahmen, bis zur schließlichen gänzlichen Überwindung derselben. Güte, Sanftmut, Reinheit und geistiges Verständnis verkörpern göttliche Kraft. Sie offenbaren den Sohn Gottes, der als Gottes Vertreter Macht besitzt.
Es gibt nur einen Christus, eine Wahrheit, eine universelle geistige Sohnschaft. In der Wissenschaft spiegelt der Mensch die Liebe Gottes zum Menschen wieder, und alle haben das gleiche reine Gemüt. Ein Verständnis dieser großen Wahrheit reißt die trennenden Schranken von Rasse und Nationalität, Glaubensbekenntnissen und Sitten nieder und offenbart die wahre Bruderschaft, die in geistiger Widerspiegelung gefunden werden kann. Paulus fragt: „Ist Christus ... zertrennt?“ (1. Kor. 1:13.) Die Christliche Wissenschaft beantwortet diese Frage, indem sie den Christus als den Sohn des einen regierenden, unendlichen Gemüts demonstriert. Dies bringt den Menschen Harmonie, Einigkeit in dem gemeinsamen Ziel, Gott auszudrücken, gegenseitiges Wohlwollen und Erlösung von allem Irrtum. Die Christliche Wissenschaft ist das zweite Kommen Christi, das Erscheinen oder Enthüllen des Menschen als des Sohnes Gottes, das zum menschlichen Bewußtsein kommt, um das verkörperte Böse zu zerstören. Sie erfüllt Simeons Verheißung in der allgemeinen Demonstration der unendlichen Wahrheit.
Der Christus ist niemals von der wahren Idee der Sohnschaft getrennt. Sei es als göttlicher Ehrentitel des Messias; als die geistige Selbstheit des Menschen, die ewig im Vater beschlossen ist; als die erlösende Wirksamkeit der Wahrheit im menschlichen Bewußtsein — in all dem legt der Christus die göttliche Sohnschaft des Menschen dar. Christus ist der unsterbliche Sohn Gottes.
