Unter der Überschrift: „Beweggrund zum Lehren“ im Handbuch Der Mutterkirche erklärt Mary Baker Eddy, die Entdeckerin und Gründerin der Christlichen Wissenschaft: „Das Lehren der Christlichen Wissenschaft [Christian Science] soll nicht eine Frage des Geldes sein, sondern der Moral und der Religion, die das Menschengeschlecht heilen und erheben“ (Art. XXVI Abschn. 1). Eine ähnliche Vorbereitung ist für die Ausübung der Christlichen Wissenschaft erforderlich; es gibt da vier Stufen oder aufeinanderfolgende Schritte, die mit Moral oder Sittlichkeit beginnen, zur reinen Theologie oder wahren Metaphysik übergehen, dann zum Heilen oder zur wissenschaftlichen Anwendung der heilenden Macht des Christentums führen und schließlich darin gipfeln, daß das menschliche Bewußtsein zur geistigen Wirklichkeit erhoben wird. Es ist bedeutsam, daß Mrs. Eddy beim Lehren und Ausüben der Christlichen Wissenschaft die Moral an die erste Stelle setzt.
Es ist auch klar, daß Jesus derselben Ordnung folgte, als er den Plan für seine und der Welt Erlösung ausarbeitete. Das zeigte sich, als er darauf bestand, daß Johannes ihn mit Wasser taufte, mit der Taufe der Reue und Umwandlung zur Vergebung der Sünden. Jesus wies darauf hin, daß die Taufe des Johannes mit Wasser der Feuertaufe vorausgehen müsse, die durch geistige Erhebung kommt. Und der Meister versicherte Johannes, daß dieser es geschehen lassen müsse, damit alle Gerechtigkeit erfüllt würde — die ganze Aufgabe und Mission Christi Jesu. Zweifellos legte Jesus Nachdruck darauf, daß zunächst die moralischen Forderungen erfüllt werden müssen.
Die Grundbedeutung von Sittlichkeit oder „Ethik“ ist Charakter. Was einen Jünger Christi charakterisiert ist die Beschaffenheit seines Denkens und Handelns. Mrs. Eddy macht in ihren Schriften häufig von dem Wort „Ethik“ Gebrauch. Im Lehrbuch der Christlichen Wissenschaft, „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“, bezieht sie sich auf die Christlichen Wissenschaft als auf ein wissenschaftliches System der Ethik, und auf Seite 444 sagt sie: „Der Lehrer muß den Schülern die Wissenschaft des Heilens klarmachen, besonders deren Ethik — daß alles Gemüt ist und daß der Wissenschafter sich den Forderungen Gottes anpassen muß.“ Die Randüberschrift lautet: „Anpassung an ausdrückliche Regeln.“
Die Substanz von beiden, Moral und Ethik, ist Prinzip. Sie sind nicht menschengemacht; sie können nicht aus dem sterblichen Gemüt hervorgehen. Sie sind gleichbedeutend mit Gehorsam gegen den Willen Gottes, gegen die Gebote, die überall in der Bibel und im Lehrbuch der Christlichen Wissenschaft enthalten sind. Christus Jesus sagte (Joh. 14:15): „Liebet ihr mich, so werdet ihr meine Gebote halten.“ Jüngerschaft und Nachfolge sind untrennbar. Für den Jünger Christi Jesu ist es natürlich, die Kranken zu heilen und die Sünder zu retten, und diese Ausübung auf die Öffentlichkeit ausdehnen heißt die Erwartungen des Meisters erfüllen.
Ob nun die Ausübung als privat oder öffentlich betrachtet wird — sowohl der Meister wie auch unsere Führerin bemühten sich sehr, die geistigen und sittlichen Forderungen hervorzuheben. Diese Forderungen durchlaufen alle Stufen von der menschlichen Auffassung von Ehrlichkeit bis zu deren geistigem Verständnis; von der menschlichen Auffassung von Moral bis hinauf zur wahren Geistigkeit; von dem anfänglichen Begriff vom wahren Sein bis zur vollen Erkenntnis von des Menschen Einheit mit Gott und seiner gänzlichen Getrenntheit vom Irrtum; von einem Gefühl für das Schickliche bis zur unfehlbaren Entschlußsicherheit, die einen zur rechten Zeit das Rechte tun läßt, ohne daß man darauf hingewiesen wird; von einer menschlichen Auffassung von selbstloser Liebe bis zum vollen Erfassen der Liebe als Prinzip und des Prinzips als Liebe; von einem theoretischen Vertrauen auf die Wahrheit bis zum rückhaltlosen Verlaß auf die Wahrheit; von einem Verlangen, kompromißlos im Geist zu wandeln, bis zu dem Entschluß, dies zu tun, und der Fähigkeit, unbeirrbar festzustehen; von der Anerkennung des hohen Maßstabs, der in bezug auf rechtes Verhalten für das Amt des Ausübers gilt, bis zur unerschütterlichen Treue gegen diesen Maßstab. All dies und weit mehr ist in der Bedeutung der moralischen, sittlichen und geistigen Forderungen eingeschlossen, die an den Ausüber der Christlichen Wissenschaft gestellt werden.
Im Lehrbuch legt Mrs. Eddy auf Seite 493 neben der Randüberschrift „Mentale Vorbereitung“ dar, daß die Methode der Krankenheilung in dem Kapitel mit der Überschrift „Die Betätigung der Christlichen Wissenschaft“ berührt worden ist, daß aber eine erschöpfende Erklärung dessen, was Krankheit ist und wie sie geheilt werden kann, ein Lehren bedingt. Dies lenkt den Schüler auf die Kapitel „Die Betätigung der Christlichen Wissenschaft“ und „Das Lehren der Christlichen Wissenschaft“ hin. Eine Analyse des letzteren Kapitels führt zu der überraschenden Feststellung, daß es sich um eine Zusammenfassung moralischer Forderungen und ethischer Vorschriften handelt. In dieser kurzen Darstellung wird dem Jünger ein hoher Maßstab moralischer und ethischer Regeln auferlegt, die als Forderungen des Prinzips keine Zugeständnisse und kein Entrinnen zulassen.
Das Kapitel beginnt mit der Freiheit der sittlichen Selbstbestimmung, und dieses Thema zieht sich wie ein goldener Faden durch das Lehrbuch. Das moralische Recht des einzelnen, seinen Weg zu wählen, gibt ihm jedoch nicht das Recht, unrecht zu tun. So ist auch die ebenso christliche Regel, Gutes zu tun, keine Verpflichtung zu dauernder Hilfeleistung.
Im nächsten Absatz des Kapitels wird gefordert, niemanden zu verdammen, der von der Christlichen Wissenschaft zur materiellen Medizin übergeht; aber es wird von dem Ausüber verlangt, daß er einen solchen Fall aufgibt und den Patienten seiner Erfahrung und deren Auswertung überläßt. Im darauffolgenden Abschnitt wird dem Patienten versichert, daß, wenn der Ausüber ihn nicht zu heilen vermag, Gott ihn dennoch führen wird — seine „Hilfe in den großen Nöten“ sein wird (Ps. 46:2). Gottes Führung und Seine Mittel sind niemals materiell, sondern stets geistig.
Wir wollen einige weitere moralische und ethische Regeln betrachten, die in dem Kapitel „Das Lehren der Christlichen Wissenschaft“ kurz dargestellt sind. Und beachten Sie, daß die moralischen und sittlichen Maßstäbe für Ausüber und Patient gleichermaßen gelten. Jedermann kann diese Maßstäbe für sich selbst in Betracht ziehen — keinesfalls indem er den Wortlaut ändert, sondern indem er die sittliche Bedeutung der Erklärungen erfaßt. Wir sind auf der Basis der Goldenen Regel verpflichtet, unsere Gegner zu lieben. Wir sollen gerecht richten und keine falschen Anschuldigungen erheben. Ferner sollen wir uns den Regeln der Forderungen Gottes anpassen. Wir werden vor den Gefahren der Sünde gewarnt, vor der Zuflucht zu materiellen Heilmitteln und vor der Anwendung des menschlichen Willens.
Die Ethik der Ausübung verbietet den schädlichen Einfluß der Habsucht. Der Ausüber sollte mit seinen Forderungen niemals zu weit gehen, sondern sollte in Fällen, wo die Heilung sich lange hinauszieht und ein christlicher Anspruch auf eine Ermäßigung besteht, im Gehorsam gegen die Forderung des Handbuchs (siehe Art. VIII Abschn. 22) sein Honorar herabsetzen. Der Ausüber muß geistig gesinnt sein, frei von falschen Beweggründen und törichtem Ehrgeiz. Er darf andere nicht beeinflussen, es sei denn, um ihnen Gutes zu tun. Er deckt rechtmäßig die Sünde nur auf, um sie zu beseitigen, indem er nicht an sie glaubt, sie nicht entschuldigt oder ihr frönt.
Die Wahrheit zu umgehen ist Sünde. Eine unehrliche Haltung bezeugt weder Ethik noch Moral. Die Fähigkeit zum Heilen hängt von dem Steigen und Fallen unseres moralischen und geistigen Barometers ab, wie es in „Wissenschaft und Gesundheit“ ausgedrückt ist. Die Ethik fordert, daß wir diejenigen, mit denen wir umgehen, sorgfältig prüfen, sowohl um des Standards des Amtes wie auch um unserer Heilfähigkeit willen.
Falsche Ausübung ergibt sich aus falschem Denken. Wenn das Denken des Ausübers in Ordnung ist, braucht er sich nie über sein Leben oder seine Fähigkeit, seinen Mitmenschen zu dienen, Gedanken zu machen. Der wahre Ausüber greift nie zur materiellen Medizin, materiellen Hygiene oder Manipulation. Er weiß, daß Medikamente nur wirksam sind, wenn er selbst den Glauben an sie unterstützt. Seine Medizin ist allein Gemüt.
Diese kurze Darstellung im Lehrbuch sagt uns, daß Erfolg in der Ausübung von vollständiger und uneingeschränkter Hingabe an unsere Berufung abhängt, vom Vertrauen auf Gott und von harter Arbeit. Wer nach Gottes Vorsatz berufen ist, wird sein eigenes Leben rein halten und die Würde und Reinheit des Amtes bewahren. Er wird gewissenhaft zu jeder Zeit zur Verfügung stehen. Er wird sich ein sauberes Denken bewahren und seine Ausübung von Quacksalberei und Kompromissen frei halten. Er wird sich stets die Ethik unserer Führerin vor Augen halten, wie sie in folgender Erklärung zum Ausdruck kommt: „Nur wenn man sich absolut auf Wahrheit verläßt, kann einem die wissenschaftlich heilende Kraft zur Wirklichkeit werden“ (Wissenschaft und Gesundheit, S. 167), sowie ihre Warnung, daß eine Verfälschung der Christlichen Wissenschaft diese unwirksam macht.
Die Ethik der Ausübung wird in Artikel VIII Abschnitt 22 des Handbuchs erläutert, wo die Heiligkeit des Amtes erwähnt und die moralische Forderung an den Ausüber gestellt wird, seinen Patienten nicht namhaft zu machen oder dessen Privatmitteilungen weiterzugeben. Der Ausüber läßt aus moralischen Gründen nicht zu, daß seine Räume dem Austausch von Klatsch dienen. Das Amt ist keine Beratungsstelle. Es dient der Aussprache, und es werden Hinweise gegeben, aber der kluge Ausüber erteilt keinen Rat oder sagt dem Patienten, was er tun soll.
Mit diesem Amt ist die sittliche Pflicht verbunden, konsequent mit dem Patienten bei dem einen göttlichen Gemüt, Gott, Führung und Entscheidung zu suchen. Die Kranken und die Sünder werden allein durch geistige Mittel geheilt. Und das Übergewicht geistigen Denkens und Lebens in dem Ausüber und sein moralischer und sittlicher Stand bestimmen seine christusgemäße Fähigkeit, zu heilen und zu erretten.
Diese geistigen und sittlichen Forderungen, die hier ebenfalls nur berührt werden können, werden „Vorschrift um Vorschrift, Zeile um Zeile“ (Jes. 28:10 — n. der engl. Bibel) das ganze Kapitel hindurch fortgesetzt, ja, sie ziehen sich durch die ganze Bibel, das Lehrbuch und das Handbuch. Wenn man in dieser Richtung des Lichts und der Wahrheit geht, wie kann man dann den Pfad der reinen und unbefleckten Religion verfehlen?
Diese moralischen und sittlichen Vorschriften und Forderungen sind für die Ausübung der Christlichen Wissenschaft wesentlich. Sie stellen im menschlichen Bewußtsein Übergangsphasen dar und gehören niemals zu den materiellen Sinnen. Sie enden schließlich in der geistigen Wirklichkeit. Sie bewirken die Moral, die den Ausüber befähigt, in sich selbst und in denen, die seine Hilfe suchen, „rechtschaffene Frucht der Buße“ (Matth. 3:8) hervorzubringen, jene veränderte Mentalität, in der der Irrtum verschwindet und Christus, die Idee der Wahrheit, Aufnahme findet. Das Amt des Ausübers ist heilig; es ist nicht nur ein Beruf. Es ist ein heilendes und erlösendes Wirken. Wenn es, wie mein Vater zu sagen pflegte, „herrlich [ist], Christus zu predigen“, wieviel herrlicher ist es dann, Christi heilende und erneuernde Macht in unserem Leben und für andere Menschen zu beweisen.
Dieses heilige Amt kann nicht ohne die geistige Macht der Ehrlichkeit ausgeübt werden. Es bedarf nicht nur unserer Hingabe und Aufopferung und selbstlosen Liebe, sondern auch unserer unwandelbaren Treue gegen das Prinzip. Sittliche Eigenschaften sind untrennbar von geistigem Verständnis, dem christus-gemäßen Bewußtsein, das die heilende und erlösende Macht Gottes für den Ausüber und den Patienten möglich macht.
Das heilige und höchste Amt läßt sich in den folgenden Worten des größten Ausübers unter allen zusammenfassen (Joh. 15:13): „Niemand hat größere Liebe denn die, daß er sein Leben läßt für seine Freunde.“ Der Ausüber der Christlichen Wissenschaft erfüllt diese selbstlose Liebe, wenn er ein Leben moralischen, geistigen und sittlichen Dienens auf den Altar niederlegt.