Ohne Liebe wäre das Leben farblos und bedeutungslos. Aber die Liebe muß verstanden werden, wenn sie ihre vollen Möglichkeiten in bezug auf ihre Macht und auf ihre Fähigkeit zu befriedigen offenbaren soll. Christus Jesus besaß ein wissenschaftliches Verständnis von der Liebe, das die Kranken heilte, die mesmerische Gewalt der Sünde brach, den Blinden das Sehvermögen wiedergab und die Toten ihren trauernden Familien zurückbrachte. Hier wurde die christliche Liebe veranschaulicht, wie sie allgemein geübt werden sollte.
Die Worte des Meisters an seine Jünger: „Ein neu Gebot gebe ich euch, daß ihr euch untereinander liebet, wie ich euch geliebt habe, damit auch ihr einander liebhabet“ Joh. 13:34;, wiesen auf eine Liebe hin, die höher ist als persönliches Besitzenwollen oder menschliche Bevorzugung, die die Welt gewöhnlich Liebe nennt.
Der Christliche Wissenschafter weiß, daß er den geistigen Grad seiner Liebe an der Macht bemessen muß, die er in seinen barmherzigen Heilungswerken ausdrückt. Mary Baker Eddy übte diese unpersönliche, machtvolle Art der Liebe. Sie schreibt: „Das wissenschaftliche Christentum arbeitet die Regel der geistigen Liebe aus; es macht den Menschen aktiv, es veranlaßt zu unaufhörlicher Güte, denn das Ego oder Ich geht zum Vater, wodurch der Mensch gottähnlich ist.“ Message to The Mother Church for 1902, S. 8; Weiter unten fügt sie hinzu: „Geistige Liebe läßt dem Menschen bewußt werden, daß Gott sein Vater ist, und das Bewußtsein von Gott als Liebe gibt dem Menschen Macht mit unaussprechlichem Fortschritt.“ S. 9;
Die geistige Liebe ist machtvoll, weil sie die Liebe unseres göttlichen Vaters zu seinen Kindern demonstriert, eine Liebe, die die Liebe menschlicher Eltern weit übersteigt, wie treu und tief diese auch sein mag. Jesus sagte: „So nun ihr, die ihr doch arg seid, könnt dennoch euren Kindern gute Gaben geben, wieviel mehr wird euer Vater im Himmel Gutes geben denen, die ihn bitten.“ Matth. 7:11;
Die Gaben Gottes schließen Vollkommenheit, absolute Reinheit und ewiges Leben ein. Gottes Liebe zu Seinen Sprößlingen wandelt sich niemals. Sie umgibt sie, stützt sie, veranlaßt sie zu ihren Unternehmungen, führt ihnen die Menschen zu, die sie brauchen, bestimmt für sie die Entfaltung des Guten. Gottes Liebe bewirkt, daß sich Seine Sprößlinge unaufhörlich der Atmosphäre des Friedens bewußt sind, die Sein Reich erfüllt. Dieses Reich nun, das unversehrt und von dem materiellen, sterblichen Daseinsbegriff getrennt ist, sucht der christlich-wissenschaftliche Heiler dem Verständnis seiner Patienten durch Liebe nahezubringen.
Jesus erläuterte die Liebe, durch die sich Macht offenbart, als er sagte: „Niemand hat größere Liebe denn die, daß er sein Leben läßt für seine Freunde.“ John 15:13; Hier wird Selbstaufopferung gefordert, das Aufgeben des falschen Ich-Begriffs, damit die wirkliche, gottgesegnete Selbstheit, die gottähnlich — Gottes Gleichnis — ist, offenbart werden möge. Die physischen Sinne, die das sterbliche Ich ausmachen, müssen geleugnet und ihre begrenzten und oft unharmonischen Begriffe wissenschaftlich verneint werden. Das materielle Gemüt, das Bewußtsein von der Materie und der Glaube an sie, ist der Lügner — wie Jesus den Teufel nannte. Wenn die materiellen Sinne mir erzählen, daß ein Patient ein kranker, törichter oder sündiger Sterblicher sei, und ich annehme, was diese Sinne schildern, dann bin ich in dem Verhältnis der Lügner. Wenn ich diese Sinne abweise und mich wirklich des geistigen Sinnes bediene, um den wahren Begriff von diesem Menschen zu schauen, repräsentiere ich die Liebe. Dann heilt meine geistige Schau von dem Menschen, wie die Liebe ihn gestaltet, den Patienten, den ich vor mir habe — und dies tun heißt die Macht der Liebe Gottes individuell ausdrücken.
Jeder falsche Begriff, der sich den physischen Sinnen darbietet, sollte als Wissenschaftliche Herausforderung betrachtet werden, als eine Lüge, die durch Liebe berichtigt werden muß. Man kann nicht einen anderen geistig lieben, während man an einem falschen Begriff von ihm festhält. Man kann stets für andere „sein Leben [lassen]“ — den materiellen Sinn aufgeben, der unser eigener zu sein scheint, es aber nicht ist.
Die Augenblicke, in denen wir unseren falschen Begriff vom Leben fallenlassen, sollten zu Stunden und Jahren, ja zur ständigen Gegenwart werden. Und es wird so sein, wenn wir uns nicht länger von dem Lügner täuschen lassen und nur um das wissen, was wahr ist.
Es bedarf reiner Hingabe, auf der Tatsache zu bestehen, daß Gott den Menschen liebt und ihn vollkommen macht. Aber es bedarf noch größerer Hingabe, die Unwirklichkeit des bösen sogenannten Gemüts zu beweisen, das behauptet, durch aggressive Suggestion die Illusion vom Fleisch und die Annahme, daß Leben, Intelligenz, Substanz und Empfindung in diesem Fleisch vorhanden seien, hervorzubringen.
Für den Christlichen Wissenschafter ist es offenkundig, daß sich seine Bemühungen, die Opfer der Krankheit, des Schmerzes, der Entartung oder Mißgestaltung zu befreien, darauf richten müssen, der Wirksamkeit des sterblichen Gemüts oder der „Feindschaft wider Gott“ Röm. 8:7;, wie Paulus das Böse bezeichnet, ein Ende zu machen. Nur die Wirksamkeit der Liebe, die die göttliche Liebe widerspiegelt, hat die Macht, böse mentale Tätigkeit zu unterbinden und sie der Fähigkeit zu berauben, die Illusionen heraufzubeschwören, unter denen die Menschheit leidet. Eine solche Liebe beweist Macht über zerstörende Tätigkeit, während bloße persönliche Vernarrtheit, ohne ein Element des Göttlichen, hilflos ist. Die Macht zu heilen wird dem Wissenschafter in dem Grade zuteil, wie er sich der Reinheit befleißigt, die nur Vollkommenheit sieht. Reinheit und Liebe sind untrennbar in der Wissenschaft des Seins.
Mrs. Eddy schreibt: „Die Liebe ist fest, unveränderlich, mitfühlend, selbstaufopfernd, unaussprechlich gütig; ja, sie legt alles auf den Altar und trägt wortlos und allein alle Lasten, duldet jede Widrigkeit und hält alle Verletzung aus, um der andern und um des Himmelreichs willen.“ Vermischte Schriften, S. 312.