Im Anschluß an die Besiedlung Kanaans, die von Josua, dem Gefährten und Nachfolger Moses, hervorragend vorbereitet und ausgeführt wurde, mußten Pläne für die Regierung dieser nur lose miteinander verbundenen israelitischen Stämme gemacht werden, denn in ihrer derzeitigen Entwicklungsstufe waren sie noch größtenteils Sippengemeinschaften, die dem Gedächtnis und der Führerschaft ihres Patriarchen Jakob treu blieben.
Als die Israeliten durch die Wüste wanderten, hatte Mose sie ermutigt, aber auch unter Kontrolle gehalten, indem er ihnen ihre grundlegenden Gesetze gab und sie ständig zur Treue gegen ihren Gott ermahnte. Unter Josua sahen sie ihren sehnsüchtigsten Traum vom verheißenen Land Wirklichkeit werden; doch waren sie ihrer Art nach hauptsächlich Nomaden, die noch nicht so weit waren, die Pflichten eingesessener Bürger und einer wohlbegründeten Monarchie zu übernehmen — einer Regierungsform, wie sie später von solch königlichen Herrschern wie Saul, David und Salomon ausgeübt wurde.
Diese ersten Jahre in Kanaan waren Übergangsjahre, die in gewissem Maße eine Zeit der Kolonisation oder, wenn man will, die Jugendjahre Israels darstellten. Als schließlich durch sein Weitergehen Josuas starke Hand von ihnen genommen wurde, zeigte sich in dem Volk, das er so erfolgreich geführt hatte, ein Hang zur Anarchie. „Zu der Zeit war kein König in Israel, und ein jeglicher tat, was ihn recht deuchte“ (Richter 17:6).
Es war etwa zu dieser Zeit in der Geschichte Israels, daß „der Herr Richter auferweckte“ (Richter 2:16), wie es schon zu Beginn des Buches der Richter schriftlich niedergelegt wurde; und was sich „zu der Zeit, da die Richter regierten“ (Ruth 1:1) zutrug, ist für den, der sich mit der hebräischen Geschichte und Religion befaßt, in der Tat von nicht geringer Bedeutung.
Weitere Artikel werden sich mit einigen bedeutenderen der zwölf oder mehr Personen beschäftigen, die in diesem Teil des Alten Testaments mit Richter bezeichnet werden, aber im Augenblick ist es wichtig, die Grundbedeutung des hebräischen Wortes schophetim — oder Richter — zu betrachten.
Diese Personen waren nicht ausgesprochene Richter im heutigen Sinne, also keine juristische Beamte, obwohl von einer von ihnen, „der Prophetin Debora“, berichtet wird, daß sie unter einer Palme wohnte und die Kinder Israel „zu ihr hinauf vor Gericht“ kamen (Richter 4:4, 5). Die Hauptaufgabe dieser aufeinander folgenden Richter bestand darin, die Israeliten zu regieren und zu befreien, das heißt sie von den Gefahren und Demütigungen zu erretten, die eine Folge ihrer allzu offensichtlichen Ausübung des Götzendienstes und ihres Ungehorsams gegen Gott waren. Es wird klar angegeben, daß Gott in Seiner Barmherzigkeit und in Erhörung der Gebete der Hebräer die Richter selbst auserwählte; und uns wird versichert, daß „der Herr mit dem Richter [war]“ (Richter 2:18).
Wenn man die Aufzeichnungen im Buch der Richter der Reihe nach liest, kann man eine sich oft wiederholende Folge von Ereignissen erkennen, die so sehr übereinstimmen, daß sie eine Erklärung erfordern. Dies bedeutet aber in keiner Weise, daß man das Buch übergehen oder seinen historischen Charakter in Zweifel ziehen soll. Es scheint vielmehr, daß die historischen Ereignisse in einem folgerichtigen Plan niedergelegt wurden, um die moralischen und geistigen Lehren, die durch diese immer wiederkehrenden Ereignisse dargestellt wurden, hervorzuheben.
Immer wieder erkennen wir diese Folge: Der Sünde Israels folgt ihre Strafe, die dazu führt, daß Israel zu Gott betet; Er erhört das Gebet und sendet einen Richter oder Befreier, der die Feinde Israels besiegt; dem folgt der Friede. Typische Beispiele für diese aufbauende Folge sind im 3. Kapitel des Buches der Richter zu finden, in dem berichtet wird, wie die Kinder Israel von den Mesopotamiern durch Othniel (siehe Vers 5–11) und von den Moabitern durch Ehud befreit wurden (siehe Vers 12–15 und 27–30).
