Wenn wir Armut als ein Gefühl der Begrenzung definieren, ist es möglich, daß die wohlhabenden Leute dieser Welt genauso arm sind wie jene, die wir gewöhnlich für benachteiligt halten. In einem Artikel der Zeitschrift McCall's sagt Harvey Cox: „Am Wohlstand ist nichts auszusetzen, wenn wir ihn auch ehrlich für andere wünschen. Das Traurige ist, wir glauben immer noch nicht, daß die übrige Welt zu Wohlstand gelangen könnte, es sei denn auf Kosten unseres eigenen Lebensstandards. Wir haben eine Mentalität des Mangels. Wir horten also unsere Reichtümer und blicken argwöhnisch auf die, von denen wir meinen, daß sie ihre Last der Armut erleichtern wollen.“ McCall's, Januar 1968, S. 119;
Die Jünger Christi Jesu hatten „eine Mentalität des Mangels“, als sie vor das Problem gestellt wurden, fünftausend Menschen zu speisen, aber nur fünf Brote und zwei Fische zur Verfügung hatten. Zu teilen, was sie hatten, würde bedeutet haben, daß sie praktisch alle nichts zu essen gehabt hätten. Aber Jesu Mentalität war eins mit dem göttlichen Gemut, Gott. Er hatte nicht die Absicht, die Speise aufzuteilen, sondern wollte sie vervielfachen. „Und sie aßen alle und wurden satt und hoben auf, was übrigblieb von Brocken, zwölf Körbe voll.“ Matth. 14:20;
Für Jesus war Substanz geistig, nicht materiell. Gemüt war Substanz, und die Idee oder Substanz von Nahrung war nicht in den materiellen Broten und Fischen, sondern in dem göttlichen Gemüt. Substanz in irgendeiner Form zu haben bedeutete, das zu haben, was immer in irgendeiner Weise mental vervielfacht wurde, wie Ideen vervielfacht werden, und zwar nicht durch die Machenschaften des menschlichen Intellekts, sondern durch das göttliche Verständnis, das Jesus als das einzig wirkliche Bewußtsein des Menschen erkannte und akzeptierte. Dieses Verständnis war und ist eine Eigenschaft des Gemüts, der göttlichen Liebe. Der vom Gemüt bewirkte Vorgang der mentalen Vermehrung ist sein offenbar gewordenes Verständnis von der göttlichen Liebe. Zurückhalten hat nie etwas mit göttlichem Verständnis zu tun; wenn wir also das Gute, das wir haben, zurückhalten, dann widerspricht das dem Wesen des Gemüts. Unsere Substanz zu horten bedeutet, sie zu begrenzen und somit mißzuverstehen — sie nur der Annahme nach zu haben, sie aber in Wirklichkeit überhaupt nicht zu haben.
Ist dies nicht richtungweisend für die Arbeit, die zur Überwindung der weltweiten Probleme der Armut getan werden muß? Den Menschen steht genug Intelligenz zur Verfügung, Wege zu finden, um den Armen in der Welt das zu bringen, was sie brauchen, damit sie nicht hungern müssen und für sich ein zufriedenstellendes Maß an dem Guten verwirklicht sehen können, das diese Erde für einen jeden hervorbringen kann. Aber ehe nicht das Gemüt, das die Quelle jener Intelligenz ist, als die göttliche Liebe erkannt wird, werden diejenigen, die handeln wollen, sich fürchten, etwas zu unternehmen. Und solange die Menschen bewußt oder unbewußt von Furcht beherrscht werden, werden sie versäumen, die ihnen zur Verfügung stehende Intelligenz zu gebrauchen, und ihre Untätigkeit mit der Meinung rechtfertigen, daß es für dieses Problem keine wirklichen Lösungen gebe.
Der erste Schritt zur Lösung von Armut ist das Überwinden der Furcht. Furcht und die Annahme, daß die Materie Substanz sei, sind ein und dasselbe. Die Furcht und die Annahme, daß eine Anhäufung materieller Dinge Reichtum ausmache, sind ein und dasselbe. Die Furcht und der mangelnde Wunsch, die Bedürfnisse der anderen ebenso gestillt zu sehen wie die eigenen, sind ein und dasselbe. Solche Furcht kann überwunden werden, wenn wir verstehen lernen, daß das göttliche Gemüt, und nicht die Materie, Substanz ist, daß das Anerkennen und Widerspiegeln der göttlichen Liebe Reichtum ist, nicht die Anhäufung von Materie, daß Leben selbst Liebe ist und daß diese Liebe darin erkannt werden kann, daß sie durch die Anwendung der göttlichen Intelligenz, des göttlichen Verständnisses, die Nöte der ganzen Welt stillt.
Wenn wir verstehen, daß Leben Liebe ist, dann wissen wir, daß wir die Eigenschaften des Lebens — Vitalität, Freude, Vollständigkeit, wirklichen Reichtum — nur dann haben, wenn wir in unserem menschlichen Leben Liebe aktiv zum Ausdruck bringen. Wenn wir zu verstehen beginnen, was wahres Leben und wahrer Reichtum sind, haben wir das Verlangen, allen Menschen Wohlstand zu bringen. In dem Bewußtsein, daß Leben Liebe ist, können die Dinge, die für ein Leben der Genüge notwendig sind, nicht aufgeteilt werden. Was wirklich ist, kann nicht gehortet werden. Alle müssen daran teilhaben, und wer andere an seiner Substanz teilhaben läßt, teilt sie nicht auf, sondern vervielfacht sie.
Die Christliche WissenschaftChristian Science; sprich: kr'istjən s'aiəns. erklärt diese Vervielfachung als das Enthüllen der Wahrheit über den Menschen als die Idee des Gemüts, die allezeit von der göttlichen Liebe versorgt wird. Jesus demonstrierte diese Wahrheit, und durch die Wissenschaft des jederzeit erhörten Gebets, die er lehrte, können wir dies heute demonstrieren. Mary Baker Eddy hat uns in dem Lehrbuch der Christlichen Wissenschaft, Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift, ein Kapitel über das Thema Gebet gegeben. Auf der ersten Seite schreibt sie: „Verlangen ist Gebet; und kein Verlust kann uns daraus erwachsen, daß wir Gott unsere Wünsche anheimstellen, damit sie gemodelt und geläutert werden möchten, ehe sie in Worten und Taten Gestalt annehmen.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 1.
Wenn wir wirklich die weltweiten Probleme der Armut lösen wollen, dann haben wir hier die Antwort für die „Mentalität des Mangels“. Wer könnte sich fürchten, für andere Gutes zu wünschen, wenn er weiß, daß er Gott seine Wünsche anheimstellen kann und daß durch dieses Anheimstellen nichts verlorengeht? Dem Studium dieses Verlangens, das Gebet ist, nachzugehen und es in die Praxis umzusetzen ist der Weg, durch intelligentes und praktisches Handeln die unendliche Fürsorge Gottes, des Gemüts, für alle Seine Kinder zu enthüllen.
