„Und er trug sein Kreuz und ging hinaus zur Stätte... Allda kreuzigten sie ihn.“ Joh. 19:17, 18; Dieses bedeutende Ereignis trug sich an einem gewissen Freitag vor beinahe zweitausend Jahren zu. Und drei Tage später führte es zu etwas weit Wichtigerem — Christi Jesu Auferstehung aus dem Grabe. Er hatte mehrere Male für andere den Tod überwunden. Nun machte er einen weiteren gewaltigen Schritt zur geistigen Himmelfahrt hin. Er begegnete für sich selbst dem Tod und überwand ihn. Er bewies für alle Zeiten die Tatsache, daß der Mensch als die Widerspiegelung des unauslöschbaren Lebens, des ewigen Ich bin, unsterblich ist.
Was man heute im übertragenen Sinne unter dem Kreuztragen versteht — um anderer Leute willen oder zur Erlangung eines höheren Guten bereitwillig einem schwierigen Kurs zu folgen —, darin bestand in Wirklichkeit Jesu Leben während seiner gesamten Laufbahn. Er sagte zu seinen Jüngern: „Will mir jemand nachfolgen, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir.“ Matth. 16:24;
Das erste Ostern war nicht nur ein historisches Ereignis von ganz besonderer Bedeutung, durch das bewiesen wurde, daß die Existenz des Menschen ununterbrochen fortdauert. Es versinnbildlichte auch das Opfer, das wir alle Schritt für Schritt bringen müssen, um die heilende und erneuernde Kraft, die Jesus bekundete, zu erlangen und etwas von der Freude, dem inneren Auftrieb, zu gewinnen, die er uns verhieß. Jeder von uns muß „sein Kreuz auf sich nehmen“, das bedeutet, er muß die materiellen Gedanken und Handlungen, die uns die falsche Annahme anheften, daß der Mensch ein endlicher, von Gott, dem einen unendlichen Leben, getrennter Sterblicher sei, verleugnen und nach und nach ablegen. Wir müssen uns an die wissenschaftliche Tatsache halten, daß der Mensch als die Widerspiegelung des göttlichen Gemüts jetzt vollkommen ist. Mrs. Eddy sagt uns: „Wer das Verständnis der Christlichen Wissenschaft in ihrer eigentlichen Bedeutung erlangt, wird die sofortigen Heilungen vollbringen, deren sie fähig ist; aber dies kann nur geschehen, wenn man das Kreuz auf sich nimmt und Christus im täglichen Leben nachfolgt.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 178;
Forderungen wie die vorangegangenen stimmen vielleicht nicht mit dem gegenwärtigen Trend überein. Der Hedonismus der siebziger Jahre unseres Jahrhunderts lehnt sich gegen Selbstdisziplin und Selbstverleugnung auf. Sie erscheinen dem durch das materielle Sinnenzeugnis hypnotisierten Denken irrational. Unglücklicherweise zieht diese geistige Blindheit viel unnötige Unruhe und die ungezügelte Sinnlichkeit nach sich, die wir überall zu sehen scheinen.
Paulus begegnete in seinen Tagen etwas Ähnlichem, denn er schrieb: „Das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist's eine Gotteskraft.“ 1. Kor. 1:18; Die inspirierten Lehren und die Heiltätigkeit des Apostels riefen mitunter offene Feindseligkeit hervor. Die Forderungen des Kreuzes, die er lehrte und denen er in seinem eigenen Leben so getreu nachkam, reizten das sterbliche oder fleischliche Gemüt. Er sagt uns: „Ich [habe] fünfmal empfangen vierzig Streiche weniger einen; ich bin dreimal mit Ruten geschlagen, einmal gesteinigt.“ 2. Kor. 11:24, 25; Aber dadurch, daß er sich beständig den Forderungen Christi fügte, sich lebhaft der Einheit von Gott und dem Menschen bewußt war, wurde er gestärkt, und er konnte geduldig in seinem mutigen und unvergleichlichen Dienst fortfahren.
Heutzutage wird von wenigen unter uns verlangt, wegen unserer Treue zu Christus, der Wahrheit, körperliche Strafen zu ertragen. Die scheinbare Methode des Bösen ist jetzt heimtückischer. Es versucht uns eine Falle zu stellen und uns in der Materialität gefangenzuhalten, indem es uns entweder vorübergehend in behaglichen Wohlstand versenkt, einen Sinnentraum, in dem jede Marotte erfüllt wird, oder in das genaue Gegenteil, wo unsere Aufmerksamkeit von einem unglücklichen Erlebnis gefesselt wird, von dem negativen Wesen des Schmerzes, des Mangels oder der Sorge.
Hier ist „das Wort vom Kreuz“ in seiner wahren Bedeutung vonnöten. Man muß dem Traum vom Leben in der Materie als einer Illusion entgegentreten und ihn Schritt für Schritt zerstören. Wenn wir eine höhere und beständigere Freude gewinnen möchten, wie Jesus heilen und schließlich den scheinbar unumgänglichen Tod meistern wollen, dann sollten wir die Apathie, Selbstsucht und Sinnlichkeit ablegen, die uns an materielle Begrenztheit fesseln. Mrs. Eddy schreibt: „Den physischen Sinnen kommen die strengen Forderungen der Christlichen Wissenschaft peremptorisch vor; aber die Sterblichen eilen der Erkenntnis entgegen, daß Leben Gott, das Gute, ist und daß das Böse in Wirklichkeit weder im menschlichen noch im göttlichen Haushalt Raum oder Macht hat.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 327;
Die Forderungen der Wahrheit berauben uns nicht unserer Freude. Sie steigern sie. Unsere Beobachtungen sollten uns lehren, daß die hingebungsvollsten Christlichen Wissenschafter die glücklichsten sind. Sie haben etwas von ihrem wahren Selbst und dessen untrennbarem Einssein, dessen untrennbarer Einheit, mit Gott, der all-befriedigenden Seele, entdeckt, und das hat eine dem materiell Gesinnten unbekannte Lebensfreude bewirkt.
Mit anderen Worten, die Last des Kreuzes wird geringer, wenn wir durch stilles, gedankenvolles Studium und beständiges, wissenschaftliches Gebet wiederholt Schimmer von Gottes Allheit und von der Vollkommenheit unseres wahren Seins in und von Ihm erlangen. Mrs. Eddy sagt uns: „Wenn wir uns vergegenwärtigen, daß Leben Geist ist, nie in noch von der Materie, so wird sich dieses Verständnis zur Selbstvollendung erweitern und alles in Gott, dem Guten, finden und keines anderen Bewußtseins bedürfen.“ S. 264.
Die befriedigende, heilende Wahrheit über das Sein des Menschen und seine Einheit mit dem Gemüt zu offenbaren und zu demonstrieren war der Grund für Jesu Mission. Wie für alles Wertvolle, wird für dieses Verständnis ein hoher Preis verlangt. Der Meister zahlte gern diesen Preis, damit wir durch sein Vorbild dieses höhere Gute erkennen und seinen Fußtapfen folgen könnten.
Jesu uneigennütziges Leben und sein scheinbarer Tod am Kreuz waren kein Opfer, das er stellvertretend für andere vollbrachte. Der Meister arbeitete das Problem des Seins aus — vollendete seinen Lauf vom Sinn zur Seele —, vor den Augen seiner Zeitgenossen und als Richtschnur für kommende Generationen. Die Osterzeit sollte uns an das erinnern, was er für uns getan hat und was wir mit unserem Leben tun müssen, um ihm unsere Dankbarkeit zu erweisen.
