Die Christen mögen sich nicht immer des zweifachen Aspekts dieser Bitte im Gebet des Herrn bewußt sein. Sie denken vielleicht zuerst daran, daß Gottes Reich — mit seiner Gerechtigkeit und Barmherzigkeit, seiner unparteiischen Rechtschaffenheit und Verleihung alles Guten an jedermann — in der Welt erscheinen müsse. Sie sind sich bewußt, daß das Reich Gottes die Fehler der Menschheit hinsichtlich Gerechtigkeit und die unter den Völkern so offensichtlichen Annahmen von Mangel, sowohl mental als auch materiell, in Qualität als auch in Quantität, berichtigen sollte.
Wenn wir erst einmal diesen Gedanken größere Aufmerksamkeit geschenkt und alle Aussprüche des Meisters der Christen, Christi Jesu, studiert haben, erkennen wir jedoch, daß das Reich Gottes zuerst in unserem Denken erscheinen oder aufgerichtet werden muß, ehe es sich in unserer Umwelt kundtun kann. Wir lernen in der Christlichen Wissenschaft, daß alles, was wir mit den materiellen Sinnen von der sogenannten sichtbaren Welt wahrnehmen und darin erleben, tatsächlich die Kundwerdung dessen ist, was wir oder andere an Gedanken und Empfindungen im Bewußtsein hegen. Wenn wir das Äußere verbessern möchten, müssen wir das Innere verbessern. Der geistige Gedanke oder Inhalt ist die wahre Substanz, die die Form verleiht.
Jesus sagte: „Das Reich Gottes kommt nicht so, daß man’s mit Augen sehen kann; man wird auch nicht sagen: Siehe, hier! oder: da! Denn sehet, das Reich Gottes ist inwendig in euch.“ Luk. 17:20, 21 [Fußnote];
Hier ist unser Ausgangspunkt. Durch die Christliche Wissenschaft beginnen wir den Menschen als das Ebenbild Gottes, als den Ausdruck des göttlichen Gemüts — eine andere Bezeichnung für Gott —, zu sehen und anzuerkennen. Der Mensch bringt Gott, das Gute, ja alles Gute, das es gibt, zum Ausdruck; er trägt das Reich Gottes in sich! Welch ein unermeßlicher Trost für diejenigen, die glauben, das Gute sei ihnen vorenthalten worden oder es mangele ihnen an allen oder einigen der guten Eigenschaften und Fähigkeiten, die sie in anderen sehen!
Wenn wir anerkennen, daß das Reich Gottes inwendig in uns ist, gelangen wir zu der Auffassung, von der Jesus immer wieder sprach, nämlich daß der Mensch der Sohn oder das Kind Gottes und somit Erbe Seines Reiches ist. Da Gott Geist und Sein Reich geistig ist, braucht es zwischen den Söhnen und Töchtern Gottes keinen Streit um das Erbe zu geben, und tatsächlich kann es keinen geben. Das Reich Gottes kann nicht unter seinen Erben verteilt werden, wie menschliche Königreiche einst unter den Söhnen von Königen oder Kaisern aufgeteilt wurden. Das geistige und daher unendliche Wesen des Reiches Gottes ermöglicht es jedem Kind Gottes, seinen vollen Anteil zu erhalten, d. h., es in seiner ganzen Fülle widerzuspiegeln. Die Christliche Wissenschaft erklärt, daß wahrer Besitz geistige Widerspiegelung ist.
Nur wenn wir unsere geistigen Fähigkeiten, die wir von Gott widerspiegeln, demütig anerkennen, machen wir von unserem Erbe Gebrauch. Wenn wir dieses Wissen beständig anwenden, zeigt sich in unserem Leben der andere Aspekt von „Dein Reich komme“ — nämlich seine Wirkungen in unserer sichtbaren Welt um uns her. Mrs. Eddy schreibt in Wissenschaft und Gesundheit: „Die Substanz, das Leben, die Intelligenz, die Wahrheit und Liebe, die die Gottheit bilden, werden von der Schöpfung der Gottheit widergespiegelt; und wenn wir das falsche Zeugnis der körperlichen Sinne den Tatsachen der Wissenschaft unterordnen, werden wir dieses wahre Gleichnis und diese wahre Widerspiegelung überall erblicken.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 516; Jesus drückte es folgendermaßen aus: „Trachtet am ersten nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch solches alles zufallen.“ Matth. 6:33; Wenn wir Gottes Ideen und Eigenschaften in unser Bewußtsein aufnehmen, erleben wir auch deren Wirkungen; man könnte sie die Dinge, die uns „zufallen“, nennen.
Wir könnten das Bewußtsein mit einem Lichtbildprojektor vergleichen. Das Dia, das wir hineinstecken, sehen wir auf der Leinwand. In dieser Analogie stellt die Leinwand die sichtbare Welt dar. Wenn wir ein häßliches Bild eingelegt haben, kämen wir nicht auf die Idee, die Leinwand abzuwischen. Wir würden vielmehr das Dia wechseln.
So ist es auch mit unseren Erfahrungen. Es hilft nichts, Personen und Dinge eigenwillig herumzuschieben, bis sie unseren Wünschen entsprechen. Wir müssen statt dessen unser mentales Bild von unharmonischen, materiellen Sterblichen gegen die unsterblichen, geistigen Ideen Gottes austauschen, die immer schön und gut sind und von Gott, ihrem Prinzip und Schöpfer, harmonisch regiert werden. Wenn wir das tun, wird es gewiß dazu beitragen, daß die notwendigen Veränderungen in unserer sichtbaren Welt eintreten, da Gottes Wille „auf Erden wie im Himmel“ V. 10; geschieht!
Im Handbuch Der Mutterkirche gibt uns Mrs. Eddy das „Tägliche Gebet“, in dem wir demütig auf folgende Weise um Gottes Reich beten: „, Dein Reich komme‘; laß die Herrschaft der göttlichen Wahrheit, des göttlichen Lebens und der göttlichen Liebe in mir aufgerichtet werden und alle Sünde aus mir entfernen; und möge Dein Wort die Liebe der ganzen Menschheit bereichern und sie beherrschen!“ Handb., Art. VIII Abschn. 4;
Wenn wir wirklich spüren, daß unser Denken von geistiger Wahrheit erfüllt ist, können wir Mrs. Eddys geistige Auslegung verstehen: „Dein Reich ist gekommen; Du bist immergegenwärtig.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 16.