Moderne Lebensweisen und die sogenannte neue Moral haben viele unbedachtsame Menschen dazu verleitet, Wege zu erproben, die mit den christlichen Wertvorstellungen nicht übereinstimmen. Wer von diesen Wertvorstellungen abweicht, stellt wahrscheinlich fest, daß seine vermeintlich neuentdeckten Freiheiten keinesfalls befreiend sind. Die unmoralischen Situationen hinterlassen in ihm ein Gefühl der Unreinheit, und er sehnt sich nach der Reinheit, die er kannte, als er einen anderen Lebenswandel führte.
Dieses Verlangen, rein zu sein, ist der erste große Schritt zur Lauterkeit und Unschuld der wahren Natur des Menschen. Obgleich vielleicht noch viele andere Schritte folgen müssen, gibt dieses erste Sehnen nach moralischer Freiheit dem ehrlichen Herzen die Gewißheit, daß es schließlich Erlösung finden wird.
Jesus hatte für die Menschen seiner Zeit die gleiche Botschaft, die die Christliche Wissenschaft den Suchenden unserer Zeit darbietet. Er sagte: „Es sei denn, daß jemand von neuem geboren werde, so kann er das Reich Gottes nicht sehen.“ Nikodemus forderte den Meister mit der Frage heraus: „Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist? Kann er auch wiederum in seiner Mutter Leib gehen und geboren werden?“ Jesus antwortete: „Es sei denn, daß jemand geboren werde aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen.“ Joh. 3:3–5.
Wir mögen heute eine ähnliche Herausforderung hören: „Aber der Fehler ist gemacht! Ich bin nicht mehr unschuldig; wie kann dieser Makel je ausgelöscht werden?“ Wenn die Wiedergeburt eine gegenwärtige Möglichkeit ist — und Jesus wußte, daß sie es ist —, dann werden wir durch das Erleben dieser Wiedergeburt von allen Unreinheiten frei. Ehe jedoch eine Geburt vonstatten gehen kann, muß es eine Empfängnis geben. Empfängnis geht immer einer Geburt voraus, und die Wiedergeburt ist keine Ausnahme. Unser Streben nach Wiedergeburt schließt notwendigerweise ein tiefes Bedürfnis nach einem geistigen Begriff von uns selbst ein. Wir müssen uns bewußt werden, daß wir in Gott, Geist, existieren und als das vollkommene Kind unseres Vater-Mutter Gottes, des Geistes, immerdar rein und unschuldig sind.
Gott hat keinen Menschen geschaffen, der von seinem ursprünglichen Status der Reinheit und geistigen Unschuld abfallen könnte. Gott erschafft den Menschen zu Seinem Ebenbild, und Er liebt Seine Schöpfung. Es würde niemals dem Wesen der schöpferischen göttlichen Liebe entsprechen, ihr geliebtes Kind mit zerstörerischer Sünde in Versuchung zu führen. Die Christliche Wissenschaft offenbart die sündlose Natur des Menschen und vernichtet für immer die Illusion eines von Gott getrennten Lebens — eines Lebens, das befleckt und unrein werden könnte.
Gerade dort, wo die Welt einen sündigen Sterblichen sieht, ist das wahre Selbst eines jeden einzelnen, ist Gottes vollkommene Schöpfung. Es gibt nicht zwei Ideen, mit denen man sich auseinandersetzen muß — den Sünder und das vollkommene Wesen —, es gibt nur eine Idee, den vollkommenen Menschen Gottes. Nur durch die Linse der Materialität sehen wir ein verzerrtes Bild von uns, das wir erneuern müssen. Und die Materialität ist es, die berichtigt werden muß.
Durch einen richtigen Begriff von Gott gewinnen wir eine richtige Auffassung vom Menschen. Dann werden wir verstehen, daß diese richtige Auffassung die einzige ist, die wir von uns haben können. Wir erkennen ganz klar die Unwirklichkeit dieser falschen Anschauung vom Menschen als einem sündigen Sterblichen, den man täuschen und seiner ursprünglichen Unschuld und Reinheit berauben kann.
Mrs. Eddy sagt: „Die Wiedergeburt ist nicht das Werk eines Augenblicks. Sie beginnt mit Augenblicken und dauert durch die Jahre fort.“ Vermischte Schriften, S. 15. So ist es auch mit der geistigen Empfängnis, die der Wiedergeburt vorausgeht. Sie schreitet Hand in Hand mit der Wiedergeburt; sie „beginnt mit Augenblicken und dauert durch die Jahre fort“. Diese Entfaltung höherer Anschauungen über unser wahres Selbst — in Wirklichkeit ein Teil der Wiedergeburt — ist kein einmaliges Erlebnis, sondern geht ständig vor sich.
Jesus sagte, die Wiedergeburt bestehe darin, „daß jemand geboren werde aus Wasser und Geist“. Wasser bedeutet Reinigung und Reinlichkeit, und Geist reinigt alle, die sich von materiellen zu geistigen Auffassungen wenden. Das Reine vom Unreinen zu trennen, das ist die beständige Arbeit der Wiedergeburt. Wer sich selbst als das reine Bild Gottes sieht und erkennt, daß er es schon immer war, ganz gleich, welche Nebenwege er ging, kann beweisen, daß er von aller Unreinheit des Denkens und Handelns frei ist. Mrs. Eddy sagt: „Die Läuterung oder wiederholte Taufe durch Geist entfaltet Schritt für Schritt das Urbild des vollkommenen Menschen und löscht das Zeichen des Tieres aus.“ Ebd., S. 18.
Was geschieht aber, wenn wir uns von ganzem Herzen nach der Reinheit des Geistes sehnen und dennoch das Gefühl haben, in den alten Wegen festgefahren zu sein? Einige Menschen geben die Hoffnung auf, jemals wieder rein zu sein. Doch dies rührt größtenteils von einer falschen Anschauung über sich selbst her, die das Böse, dem man sich unterworfen hat, als einen unerläßlichen Teil der Identität des Menschen akzeptiert. Das Böse ist niemals ein Teil des Menschen. Falsches Denken sowie die daraus resultierenden falschen Handlungen sind nur unpersönliche Suggestionen, die keine wirkliche Macht besitzen. Wir müssen uns weigern, zu glauben, daß sie irgend etwas mit uns zu tun haben. Wir können erkennen, daß unreine Einflüsterungen nicht aus unserem eigenen Denken kommen, sondern das Produkt des arglistigen sterblichen Gemüts sind. Da wir die Widerspiegelung Gottes sind, können wir nur reine, dem göttlichen Gemüt entspringende Gedanken haben.
Es ist äußerst wichtig, die falsche Annahme zu durchschauen, daß böse Gedanken einen wesentlichen Bestandteil unseres Bewußtseins darstellten. Nur wenn wir das tun, befreien wir uns von Selbstverdammung. Solange noch in unserem Denken eine Spur von Selbstvorwürfen vorhanden ist, haben wir die neue geistige „Empfängnis“ des Selbst, die mit der Wiedergeburt verbunden ist, nicht völlig verstanden. Dies ist keinesfalls eine nachlässige Haltung der Sünde gegenüber. Aus den Schriften Mrs. Eddys geht ganz klar hervor, daß die Sünde als Sünde erkannt und zutiefst bereut werden muß, ehe die Sterblichen wiedergeboren werden können. Aber die Fähigkeit, die Sünde zu erkennen, sie zu bereuen und sie für immer hinter sich zu bringen, nimmt zu, wenn wir zu der Tatsache erwachen, daß die Sünde ja niemals zu uns gehörte.
Als Paulus die Notwendigkeit seiner Wiedergeburt erkannte, mußte er sich ohne Zweifel mit neuen Augen gesehen haben. Wir können uns vorstellen, welchen Mut es erforderte, nicht auf die eigene Vergangenheit zurückzublicken und sich von ihr entmutigen zu lassen. Er sagte selbst: „Ich vergesse, was dahinten ist, und strecke mich nach dem, was da vorne ist, und jage nach dem vorgesteckten Ziel, nach dem Kleinod der himmlischen Berufung Gottes in Christus Jesus.“ Phil. 3:13, 14. Hätte Paulus über frühere Fehler nachgegrübelt, dann hätte er zweifellos bei den sehr dringenden Forderungen seiner neuen Aufgabe versagt — er hätte seine einzigartige Rolle bei der Gründung der frühen christlichen Kirche nicht spielen können.
In der Tat, ein Begriff vom wirklichen Menschen geht Hand in Hand mit der Wiedergeburt. Mrs. Eddy schreibt: „Diese geistige Geburt eröffnet dem entzückten Verständnis einen viel höheren und heiligeren Begriff von der Allerhabenheit des Geistes und vom Menschen als Seinem Ebenbild, wodurch der Mensch die göttliche Kraft widerspiegelt, die Kranken zu heilen.“ Verm., S. 17.
Das sterbliche Gemüt möchte, daß wir über Fehler nachgrübeln und glauben, die Ehrlichkeit verlange es von uns, jemandem zu erzählen, wer wir einmal waren. Wenn es wirklich erforderlich ist, ein Versagen zuzugeben, können wir das, was notwendig ist, ohne Furcht vor Repressalien oder Verurteilung tun. Doch das Bedürfnis, anderen über unsere Fehler zu erzählen, ist oft nichts anderes als Zügellosigkeit. Man braucht eine dunkle Vergangenheit genausowenig wieder hervorzuholen, wie man sich die greulichen Symptome einer Krankheit vor Augen hält.
In dem Maße, wie ein neuer Begriff in uns aufdämmert und wir die Wiedergeburt erleben, erkennen wir immer klarer das neue Selbst — unser einzig wahres Selbst —, das christusgleich und rein seinen Mittelpunkt in Gott hat. Die Versuchung, in einen früheren Fehler zu verfallen, ist dann verschwunden, denn wir erkennen, daß er tatsächlich nicht wirklicher ist als ein böser Traum.
Wie wunderbar ist es doch, makellos, rein und unschuldig zu sein! Dies wird, ungeachtet unserer Vergangenheit, zu einer gegenwärtigen Möglichkeit, und zwar durch das Verständnis von Gott und dem Menschen, das die Christliche Wissenschaft uns vermittelt.
