Trifft die Behauptung zu, die von einigen erhoben wird, daß die Entdeckerin der Christlichen Wissenschaft gegen ihren Willen zur Gründung Der Mutterkirche gedrängt wurde, weil ihre Anhänger unablässig nach einer menschlichen Organisation verlangten? Nichts könnte der Wahrheit ferner sein. Siehe Teil 1 dieser Serie in der Aprilausgabe des Herolds. Die Initiative und Demonstration kamen ganz eindeutig von ihr. Aus allem, was sie zu jener Zeit schrieb, geht ihre Freude über die Schritte hervor, die 1892 unternommen wurden, um Die Erste Kirche Christi, Wissenschafter, in Boston zu gründen.
Zwei Monate vor der offiziellen Gründung sagte Mrs. Eddy in einer Mitteilung, daß sie versucht habe, anderen die Ausführungen von Gottes Plan in bezug auf den Kirchenbau zu übertragen, anstatt sich selbst damit zu befassen. Aber diese Beauftragten hätten keinen Erfolg gehabt, und sie erkenne jetzt auch den Grund dafür. Sie waren offenbar nicht fähig, auf Gottes Stimme zu lauschen und ihr zu gehorchen, es sei denn, sie hörten sie durch Mrs. Eddy; daher müsse sie die Aufgabe auf sich nehmen und das Vorhaben bis zum Abschluß leiten. Archiv Der Mutterkirche.
Zwei Wochen nach der Kirchengründung schrieb sie an einen ihrer Schüler: „Alles, was ich im Rahmen der Christlichen Wissenschaft durchführte, jede die Welt oder die Religion betreffende Maßnahme der Belehrung, stützt sich auf einen völlig originellen Plan — denn nicht der Mensch, sondern Gott hat ihn mir nahegelegt.“ Zitiert in Robert Peel, Mary Baker Eddy: The Years of Authority (New York: Holt, Rinehart and Winston, 1977), S. 34. Das sind eindeutige Worte. Sie lassen den Behauptungen jener keinen Raum, die meinen, sie habe Die Mutterkirche nur gegründet, um sich der konventionellen Auffassung ihrer Schüler, die eine religiöse Organisation für notwendig hielten, anzupassen.
Da derartige Behauptungen erst kürzlich erhoben wurden, ist es angebracht, sich daran zu erinnern, daß die Gründung 1866 begann, als Mrs. Eddy ihren ersten Schüler annahm. 1876 folgte die Schaffung der Christlich-Wissenschaftlichen Schülervereinigung; 1879 entstand die Kirche Christi, Wissenschafter, und 1881 die Lehranstalt für Metaphysik in Massachusetts. Selbst als Mrs. Eddy im Jahre 1889 dazu geführt wurde, diese drei Organisationen in der Form, in der sie damals bestanden, aufzulösen, erhielt sie sie in schlichtester Form aufrecht und war bereit, sie aufs neue zu entwickeln, sollte sich das eindeutig als wünschenswert erweisen.
Bei alldem spürte sie, daß Gottes Hand sie führte. Sollte die Christus-Idee in diesem Zeitalter durch eine Institution zum Ausdruck gebracht werden, dann konnte das nur durch eine Mentalität geschehen, die bei jedem Schritt auf die Stimme des Geistes lauschte. Keine persönliche Belastung würde zu groß sein. In den achtziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts hatte Mrs. Eddy ihren Anhängern einmal die Frage gestellt: „Kann eine Mutter ihrem Kind auch nur von einem Bruchteil der Schmerzen sagen, die dem Kind das Dasein gaben?“ Und sie fragte dann weiter: „Ahnen die Kinder unserer Zeit etwas von den schmerzhaften, langen nächtlichen Wehen einer geistigen Mutter, die ihnen die Augen geöffnet hat für das Licht der Christlichen Wissenschaft?“ Vermischte Schriften, S. 253. Beide Fragen beziehen sich gleichermaßen auf die Gründung der Kirche wie auf die Entdeckung der Christlichen Wissenschaft.
Vermutlich sind die meisten Christlichen Wissenschafter mit den bereits veröffentlichten Berichten über die wesentlichen Ereignisse vertraut, die der Gründung der Kirche im Jahre 1892 vorausgingen: Auf Ersuchen unserer Führerin kamen am 29. August zwölf ihrer Schüler zusammen, denen sie am meisten vertraute, und erfuhren, daß Mrs. Eddy einen neuen „Vorstand der Christlichen Wissenschaft“ ernannt hatte; drei Tage später unterzeichneten die Vorstandsmitglieder eine von Mrs. Eddy aufgesetzte Treuhand- und Übertragungsurkunde, die ihnen als „kontinuierlicher Körperschaft“ auferlegte, auf dem ihnen übertragenen Grundstück eine Kirche zu errichten, die The First Church of Christ, Scientist, in Boston,
Die Erste Kirche Christi, Wissenschafter genannt werden sollte, und in ihr regelmäßig Gottesdienste abzuhalten; am 23. September folgten dieselben Schüler, die bereits am 29. August zusammengekommen waren, Mrs. Eddys Ersuchen und erwählten sich selbst und zwanzig weitere Schüler zu den „Ersten Mitgliedern“ der Kirche, wodurch Die Mutterkirche als solche aktiv wurde.
Diese vielen verwirrenden Ereignisse mögen an und für sich nicht eindrucksvoll erscheinen, aber die Möglichkeiten, die sie erschlossen, waren es durchaus. Im Christentum wurden schon immer bescheidene Anfänge gewürdigt. Der Gründer des Christentums verglich sogar das Himmelreich mit „einem Senfkorn ... welches das kleinste ist unter allem Samen; wenn es aber gewachsen ist, so ist es größer als alle Sträucher und wird ein Baum, daß die Vögel unter dem Himmel kommen und wohnen in seinen Zweigen“ Matth. 13:31, 32..
Als die christlich-wissenschaftlichen Kirchen, wo immer sie bestanden, zu Zweigen Der Mutterkirche wurden, begann sich der Charakter ihrer Entwicklung deutlicher zu zeigen. Die Möglichkeit, gleichzeitig Mitglied einer Zweigkirche und Der Mutterkirche zu sein, stärkte die neue Beziehung. Bereits im Oktober 1892 genehmigte Mrs. Eddy, daß ein Brief an die Lehrer der Christlichen Wissenschaft geschickt werde, der sie und ihre qualifizierten Schüler einlud, sich um Mitgliedschaft in der neugebildeten Organisation zu bewerben. Der erste Satz dieses Briefes — offensichtlich der Kern der später formulierten Erklärung des Zwecks der Kirche, die heute auf Seite 19 im Handbuch Der Mutterkirche steht — brachte eine große Hoffnung und ernste Absicht zum Ausdruck: „Die Erste Kirche Christi, Wissenschafter, in Boston, soll sich auf den Felsen Christus gründen, auf Wahrheit und Liebe, und eine universelle Kirche sein, eine kämpfende Kirche, die die triumphierende Kirche widerspiegeln wird.“ Archiv.
Heute, mehr als siebzig Jahre nach Beendigung von Mrs. Eddys Werk als Gründerin, ist die großartige Struktur der Kirche wesentlich deutlicher erkennbar als im Jahre 1892, in dem der Formungsprozeß bei weitem nicht abgeschlossen war. Doch wir müssen jene ersten Schritte noch besser verstehen; ganz besonders heute, wo jene, die Die Mutterkirche gern abschaffen oder in eine örtliche Organisation in Boston verwandeln würden, die Geschichte neu schreibe, indem sie Erklärungen, die Mrs. Eddy in den ersten Jahren abgab, aus ihrem historischen Zusammenhang lösen, um den Anschein zu erwecken, daß sie Die Mutterkirche nur gründete, um ein Zugeständnis an die damals bestehenden Erfordernisse zu machen.
Es wird u. a. argumentiert, daß die Kirche, die 1879 bestand, eine völlig andere gewesen sei als die Kirche von 1892, daß jede einem anderen Zweck diente und beide dazu bestimmt waren, nach einer sehr kurzen Zeit wieder aufgelöst zu werden.
Mrs. Eddy hat selbst darauf hingewiesen, daß die Kirche Christi, Wissenschafter, seit 1879 ununterbrochen besteheBotschaft an Die Mutterkirche für 1900 1:12–19. und unter geistigem Antrieb verschiedene Phasen der Organisation, Neuordnung und Reorganisation durchgemacht habe, bis sie ihre endgültige Struktur als „Die Erste Kirche Christi, Wissenschafter, in Boston“ mit Zweigen in aller Welt erlangte.
Das bedeutet, daß die beiden spezifischen Gründe, die zu der Organisation im Jahre 1879 und zur Reorganisation im Jahre 1892 führten, von denen im Kirchenhandbuch auf Seite 17 und 19 berichtet wird, gleichwertig sind und einander ergänzen. Keine übertrumpft die andere oder macht sie ungültig. Beide sind für die Fortsetzung der Mission der Kirche unentbehrlich, die weder von dem Christentum getrennt werden kann, in dem Mrs. Eddys Entdeckung tief verwurzelt ist, noch von der zunehmenden Anwendung der universalen, wissenschaftlichen Wahrheit, zu der diese Entdeckung führte.
Mit anderen Worten, hinter der sichtbaren Entwicklung der Kirche liegt die ausschlaggebende Einheit von Christentum und Wissenschaft, die in Wissenschaft und Gesundheit so treffend beschrieben wird: „Das Christentum Christi ist die Kette des wissenschaftlichen Seins, das zu allen Zeiten wiedererscheint, sich in seiner unverkennbaren Übereinstimmung mit der Heiligen Schrift behauptet und alle Zeiten in dem Plan Gottes vereinigt.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 271.
Die Christen meinen, die täglichen Ereignisse, die sich in Jesu beispielhaftem Leben zutrugen, gehörten zu Gottes großem Plan — und zwar seine Reisen, Gespräche, Heilungen, ebenso wie seine Kreuzigung, Auferstehung und Himmelfahrt. In gleicher Weise waren all die praktischen Einzelheiten, die mit der Schaffung Der Mutterkirche zusammenhingen, Teil dieser Christlichen Wissenschaft, die sich Mrs. Eddy nach und nach erschloß. Sie lernte von ihren Taten. Einige der weltlichsten Aufgaben, die ihr die Umstände aufzwangen, brachten ihr gerade die Inspiration, die die Kirche ihrem Ziel näher brachte, nämlich „die Welt von Sünde und Tod [zu] heilen und [zu] erlösen“ Handb., S. 19. — nicht nur den einzelnen Christlichen Wissenschafter oder selbst das eigene Gemeinwesen, sondern die Welt.
Im Jahre 1892 z. B. galt Mrs. Eddys Aufmerksamkeit weitgehend der ihres Erachtens dringenden Notwendigkeit, ihre Kirchenbeamten in Boston dazu anzuspornen, in Bostons Back-Bay-Bezirk ein Kirchengebäude zu errichten, das Die Mutterkirche für die Öffentlichkeit sichtbar machen würde. Dieses anscheinend lokale Problem führte zu einem der wichtigsten organisatorischen Aspekte der entstehenden Kirche: zur Anerkennung der gesetzlichen Vollmacht des Vorstandes, mit dem Bau der Kirche zu beginnen, während die Mitgliedschaft als solche ein nicht eingetragener religiöser Zusammenschluß blieb; das ebnete den Weg, zu einem späteren Zeitpunkt die Verwaltung durch die Kirchengemeinde aufzugeben, die bei einer weltweiten Mitgliedschaft völlig ungeeignet gewesen wäre.
Während Mrs. Eddy anscheinend von den Einzelheiten des Augenblicks völlig beansprucht wurde, folgte sie auf ihrem Weg voran keinem vorgefaßten Plan, sondern geistiger Intuition. Es ist zu bewundern, daß der Oberste Gerichtshof von Massachusetts dies im Jahre 1924 in einem Beschluß anerkannte, in dem übrigens auch die Bedeutung der Tatsache bestätigt wurde, daß Mrs. Eddy einen neuen Vorstand einsetzte, bevor sie die neue Mitgliedschaft organisierte. In dem Beschluß heißt es u. a.:
„Ihre Ansichten machten 1892 offensichtlich einen Wandel durch, entwickelten und entfalteten sich. Zu der Zeit hatte sie die genaue Form der kirchlichen Organisation noch nicht endgültig festgelegt, die in ihren Augen am besten geeignet war, die Aufgabe, die eine Kirche ihrer Ansicht nach hatte, zu erfüllen. Sie studierte diese Frage, war aber noch nicht zu einem Entschluß gekommen. Sie wollte ein Grundstück stiften, auf dem ein Kirchengebäude errichtet werden sollte. Sie gab eine eindeutige Erklärung ab, daß die in ihrer Übertragungsurkunde vom 1. September 1892 genannten Treuhänder in Übereinstimmung mit den Bedingungen eines damals gültigen Statuts, das sich auf religiöse Vereinigungen bezog, eine Körperschaft bilden und die Bezeichnung, Vorstand der Christlichen Wissenschaft‘ führen sollten.“ Dittemore v. Dickey, 249 Mass. 95, 144 NE 57 (1924).
Mrs. Eddy würdigte dieses Statut des Staates Massachusetts; aber nichts weist darauf hin, daß sie in ihm mehr sah als das praktischste Mittel, ihr nächstes Ziel zu erreichen. Sie war bereit gewesen, eine neue Gründungsurkunde zu beantragen oder irgendeinen anderen Rechtsweg zu nutzen, der es ihren Kirchenbeamten ermöglicht hätte, mit dem Bau des Kirchengebäudes zu beginnen, für das es, wie sie wußte, jetzt an der Zeit war. Aber sie hielt es auch für äußerst wichtig, daß die Hand des menschlichen Rechts möglichst leicht auf der neuen Kirchenorganisation ruhen würde, und das besagte Statut erfüllte diese Bedingung vortrefflich. Siebzig Jahre später wurde durch die Änderung eines einzelnen Wortes im Text dieses Gesetzes die einzige Beschränkung aufgehoben, die es der Wahl eines neuen Mitglieds willkürlich auferlegt hatte, wenn im Vorstand eine freigewordene Position zu besetzen war; damit wurde das letzte Hindernis beseitigt, das Mrs. Eddys Wunsch im Wege gestanden hatte, eine wahrhaft universelle Kirche zu schaffen. „Das Handbuch und die universelle Kirche“, Herold, August 1977, S. 329.
Einige Christliche Wissenschafter finden diese Änderung eines Statuts beunruhigend, das Mrs. Eddy, wie sie meinen, in allen Einzelheiten für inspiriert hielt. Aber Mrs. Eddy hatte immer eine praktische Einstellung zum menschlichen Gesetz; sie respektierte und nutzte es, soweit es das Wirken des göttlichen Gesetzes unterstützte; aber sie begrüßte jede Änderung, die willkürliche Einschränkungen der religiösen Freiheit beseitigte. Als sie 1892 über einige der Rechtsschwierigkeiten schrieb, denen sie in Verbindung mit dem Besitz des Grundstücks in Boston begegnet war, auf dem das Kirchengebäude errichtet werden sollte, erklärte sie die metaphysische Grundlage, auf der das ganze Projekt ruhen mußte:
„Das Fundament, auf dem unsere Kirche gebaut werden sollte, mußte dem Zugriff gesetzlicher Macht entzogen und nun in die Arme der göttlichen Liebe zurückgelegt werden, auf daß wir nicht erfunden würden als die wider Gott streiten.“ Verm., S. 140.
All das ist für die gesamte Frage des Kirchenbaus von größerer Bedeutung. Es war bezeichnend für Mrs. Eddys geistigen Radikalismus, daß sie die Grundsteinlegung für das Gebäude Der Mutterkirche nutzte, um ihre Anhänger daran zu erinnern, daß eine Kirchenorganisation vergänglich — sowie menschlich gesehen unentbehrlich — ist. In ihrer Ansprache für die bescheidene Feier, die anläßlich der Grundsteinlegung gehalten wurde, sagte sie: „Zur Zeit ist, mehr als irgendeine andere Einrichtung, die Kirche der Zement der Gesellschaft, und sie sollte das Bollwerk bürgerlicher und religiöser Freiheit sein. Aber die Zeit wird kommen, da das religiöse Element oder die Kirche Christi allein im Herzen der Menschen bestehen wird und keiner Organisation bedarf, um sich auszudrücken. Bis dahin scheint die jetzige Form der Frömmigkeit so notwendig zu sein, um ihren Geist zu bekunden, wie die Individualität, um Seele und Substanz auszudrücken.“ Ebd., S. 144.
Nirgendwo zeigte sich diese Form der Frömmigkeit offensichtlicher als in Mrs. Eddys eigener Demonstration der geistigen Weisheit bei der Schaffung der Kirche, die sie ihren Anhängern hinterließ. In den letzten achtzehn Jahren ihres Lebens gab sie diesem „Kind“ der von ihr empfangenen Offenbarung unendlich viel Liebe und widmete sich ihm mit Gedanken, Gebeten und eingehender Fürsorge. Ihr Werk als Gründerin darf heute ebensowenig verworfen oder übersehen werden wie ihre Mission als Entdeckerin der Christlichen Wissenschaft. Demjenigen, der glaubt, ein Christlicher Wissenschafter zu sein, während er sich von der Vorstellung einer organisierten „Mutter“-Kirche abwendet, mag Christi Jesu Klage eine sanfte Mahnung sein: „Jerusalem, Jerusalem ... Wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen, wie eine Henne versammelt ihre Küchlein unter ihre Flügel; und ihr habt nicht gewollt!“ Matth. 23:37.
Im nächsten Monat: Die Struktur Der Mutterkirche