Stellen Sie sich vor, wie gespannt die Jünger Christi Jesu zugehört haben müssen, als ihr Meister sie das Beten lehrte! Sein Gebet „versetzte Berge“: Es tröstete die Leidtragenden, wandelte die Sünder um und erweckte sogar einen Mann zum Leben, der schon vier Tage tot war. Jesus sprach sich ganz spezifisch gegen das bloße Ritual mit den folgenden Worten aus: „Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht viel plappern wie die Heiden ...“ Matth. 6:7.
Die Christliche Wissenschaft wiederholt Jesu Aufforderung an seine Nachfolger, „viel plappern“ nicht mit echtem Beten zu verwechseln. Mary Baker Eddy schreibt in ihrem Buch Rückblick und Einblick in einem Kapitel, in dem sie die Glaubensheilung der Christlichen Wissenschaft gegenüberstellt: „Glaube, der Wahrheit anerkennt, ohne sie zu verstehen, ist im Grunde Blindheit.“ Rückbl., S. 54.
Wie Jesus lehrte und die Christliche Wissenschaft wiederholt, ändert Gebet nicht Gottes Plan, sondern uns — es bringt unser Denken mehr in Einklang mit Gottes Wille. Diese Vorstellung von Gebet entspricht dem grundlegenden Gedanken in dieser Wissenschaft, daß Gott vollständig gut ist und Seinen geliebten Kindern nie etwas Gutes vorenthalten kann.
Aus der Perspektive der Christlichen Wissenschaft betrachtet, erscheint das ganze Thema Gebet in einem neuen Licht. Wir werden von der althergebrachten Annahme frei, daß Gott ein verherrlichtes menschliches Wesen sei, das liebt und haßt. Statt dessen wird Er uns so offenbart, wie die Bibel Ihn in der immer geistiger werdenden Vorstellung zeigt — als der Allmächtige, den Abraham entdeckte; als der „ICH BIN“, die fundamentale Wirklichkeit, die Mose sah; als die göttliche Liebe selbst, wie in einem Brief des Johannes dargelegt ist. Gebet kann uns Gott und unserer eigenen Identität als Seinem Ebenbild näherbringen.
Das wissenschaftliche Verständnis erklärt auch, warum Gebete gelegentlich keine Frucht tragen. Da Gebet das Denken wandeln soll, wird „viel plappern“ niemals genügen. Mrs. Eddy erklärt in Wissenschaft und Gesundheit: „Unsere Unwissenheit über Gott, das göttliche Prinzip, bringt scheinbare Disharmonie hervor, und das richtige Verständnis von Ihm stellt die Harmonie wieder her.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 390.
Menschlich gesehen, bestimmt unser Gedankenzustand unsere Erfahrung. Wenn unser Denken chaotisch, ängstlich, sinnlich ist, steht es weder mit dem Wesen Gottes noch mit unserer geistigen Identität in Einklang — mit unserer wahren Identität, die harmonisch, zufrieden, rein sein muß. Ebenso wie ängstliches Denken zu fürchterlichen Erfahrungen führen kann, so beseitigt die Zerstörung von Angst Disharmonie. Die Bibel erklärt: „Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die völlige Liebe treibt die Furcht aus; denn die Furcht muß vor der Strafe zittern. Wer sich aber fürchtet, der ist nicht völlig in der Liebe.“ 1. Joh. 4:18.
Wir sehen also, daß die Christliche Wissenschaft wiederholt, was die Bibel lehrt: daß Gott gut und von liebevoller Freundlichkeit erfüllt ist; daß Furcht zerstört, nicht geduldet werden muß; daß aufrichtiges Gebet heilt.
Soll das Gebet wirksam sein, muß es den Gedankenzustand eines Menschen wirklich berühren und auf die rechte Weist genügend verändern. Das erklärt die hohen Anforderungen, die in der Bibel an das Gebet gestellt werden, wenn z. B. ein Schreiber des Neuen Testaments darauf hinweist, daß ein „Zweifler“ nicht erwarten sollte, daß er „etwas von dem Herrn empfangen werde“ Jak. 1:7, 8. Gott, die göttliche Liebe, hält nicht mit der Güte Seiner Schöpfung zurück; jedoch nimmt das dualistische Denken eines „Zweiflers“ diese Güte nicht wahr.
Die Christliche Wissenschaft gibt uns eine Reihe von Richtlinien für wirksameres Gebet (insbesondere in dem Kapitel „Gebet“ in Wissenschaft und Gesundheit). Gebet muß zwar spontan, inspirierend sein (ja, diese Begriffe sind an sich schon wichtige Richtlinien), doch können einige grundsätzliche Regeln dazu beitragen, daß wir nicht „viel plappern“, sondern wirklich beten.
Zunächst einmal beruht die Wirksamkeit des Gebets weitgehend auf seiner moralischen Grundlage. Es erscheint schwierig, geistige Wahrheiten zu erkennen, wenn unser Denken mit ungeistigen Einstellungen belastet ist. Wir müssen danach streben, Groll mit Dankbarkeit und Liebe hinwegzuwaschen; Sinnlichkeit mit Reinheit und Hingabe an den Geist zum Schweigen zu bringen; die Demut zu entwickeln, die für Empfänglichkeit charakteristisch ist.
Zweitens muß sich unser Gebet auf die absolute Wirklichkeit konzentrieren — auf das Reich Gottes —, anstatt bei einer rein menschlichen Vorstellung zu verweilen. Selbst beim Bittgebet müssen wir daran denken, daß wir Gott nicht ersuchen, Seine Einstellung uns gegenüber zu ändern; Er liebt uns bereits inniglich! Vielmehr verleihen wir unserem Wunsch Ausdruck, von der absoluten Herrschaft Gottes stärker überzeugt zu sein.
Dies ist ein wichtiger Punkt. Ganz gleich, wie stark wir glauben, daß Gott sich von alleine einschalten und uns heilen werde oder daß „sich schließlich alles zum Besten wenden werde“, so mögen wir dennoch feststellen, daß solche Annahmen Enttäuschungen bereiten. „Wer würde sich vor eine Wandtafel stellen und das Prinzip der Mathematik bitten, das Problem zu lösen?“ lesen wir in Wissenschaft und Gesundheit. „Die Regel besteht bereits, und unsere Aufgabe ist es, die Lösung auszuarbeiten.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 3. Das Bewußtsein von der immergegenwärtigen Herrschaft Gottes und der stets gegenwärtigen Vollkommenheit Seiner Schöpfung heilt.
Drittens muß unser Gebet bejahend sein. Was das Denken erhebt, ist ein konkretes Bewußtsein von Gottes Herrschaft; lediglich die Drohungen des Bösen zu verneinen genügt nicht. Eine Verneinung kann in eine absolute Erklärung gekleidet werden (z. B.: „So etwas wie Krankheit gibt es nicht“); aber die Verneinung allein mag das Denken nicht genügend wandeln, um eine Heilung herbeizuführen, es sei denn, wir heben hervor, was wirklich wahr ist.
Da wir über das Problem, mit dem wir uns auseinandersetzen, wahrscheinlich schon allzugut Bescheid wissen, neigen wir in unserem Gebet dazu, diesem Problem unsere ganze Aufmerksamkeit zu schenken; d. h., wir verneinen, was wir scheinbar sehen, anstatt uns zu bemühen, mehr über Gottes harmonische Schöpfung zu erfahren.
Was sollten wir nun spezifisch bejahen? Um das zu wissen, brauchen wir Unterweisung und Inspiration. Die Bibel, die Schriften Mrs. Eddys, die Lektionspredigten im Vierteljahrsheft der Christlichen Wissenschaft, die Artikel in den Zeitschriften, die Vorträge und der autorisierte Klassenunterricht — sie alle sollen uns über das Wesen und die Allumfassendheit der göttlichen Wirklichkeit unterrichten. Und natürlich ist die Inspiration durch Gottes direkten Einfluß auf unsere Herzen am wichtigsten. Eine solche Inspiration kann nicht auf Formeln beschränkt werden, sondern kommt ganz spontan, wenn wir beten, daß uns mehr und mehr von dem gezeigt werde, was wir erkennen müssen. Um ein Beispiel anzuführen: Anstatt unsere Behandlung nur auf das Verneinen von Krankheit zu beschränken, könnten wir Gottes Wesen erforschen — die Quelle alles Lebens und aller Tätigkeit — sowie Seine Widerspiegelung, die unsere wahre Identität ausmacht.
Und schließlich müssen wir uns natürlich die grundsätzliche Frage stellen: Verändert, läutert und erhebt unser Gebet wirklich unser Denken und Tun? Die aktive Hingabe, die sich aus unserem Gebet ergibt, läßt uns unser Ziel erreichen. Wenn wir nicht nur nach einem Gefühl des Friedens suchen, sondern auch das tatsächliche Verständnis und die wissenschaftliche Herrschaft über das Böse anstreben, werden wir sehen, daß das Reich Gottes wahrlich nahe herbeigekommen ist.
