Mit geistigem Verständnis zu lauschen ist das Ergebnis demütigen Verlangens, der Wachsamkeit und einer forschenden Intelligenz. Diese Art des Lauschens muß täglich gepflegt werden. Sie ist von keinem Geheimnis umgeben. Jeder kann sie erlernen und ausüben.
In einer meiner ersten Stellungen wurde ich einmal zu einem Vorgesetzten gerufen. Ich entsinne mich, wie sehr ich meine Aufmerksamkeit beweisen wollte, so daß ich, als er eine Gedankenpause machte, herausplatzte: „Ich hab’s!“
„Nein, Sie haben’s nicht“, sagte er, „denn ich bin noch nicht fertig!“
Ich wurde mir bewußt, daß ich aufmerksamer zuhören mußte, um einen klareren Begriff von der jeweiligen Angelegenheit zu erlangen. Ich mußte mich fragen: „Habe ich so intensiv zugehört, daß ich genug erfaßt habe?“ Einige Zeit später erkannte ich, daß wahres Erkenntnisvermögen und wahre Urteilskraft ihren Ursprung in Gott und nicht im Gehirn haben.
Unser Meister Christus Jesus übte das innere, geistige Lauschen nicht nur in höchstem Grade aus, er lehrte es. Da seine Jünger ihn fragten, erklärte er ihnen das Gleichnis vom Sämann. Er gab zu verstehen, daß es für einen Jünger nicht ausreichte, zuzuhören, ohne zu verstehen. „Sehet zu, was ihr höret!“ Mark. 4:24. sagte er ihnen später.
Als ich noch einer orthodoxen Kirche angehörte, muß ich bis zu einem gewissen Grade geistig gelauscht haben, denn ich folgte Eingebungen, vor Leseräumen der Christlichen Wissenschaft innezuhalten, und schließlich ging ich hinein und erkundigte mich. Bald stellte ich fest, daß es die heilige Wahrheit war, die ich gesucht hatte. Als Folge davon erkannte ich auch, daß die wahre Kunst des Lauschens eine Tätigkeit ist, zu der der Geist anspornt. Ich erinnerte mich an die Weisheit des Psalmisten: „Wie wird ein junger Mann seinen Weg unsträflich gehen? Wenn er sich hält an deine Worte“ Ps. 119:9. und an die Aufforderung des Herrn, die Jesaja empfing: „Nehmet zu Ohren und höret meine Stimme, merket auf und höret meine Rede.“ Jes. 28:23. Ich erkannte, daß Gottes Stimme eine geistig inspirierte Weisung ist, die für die materiellen Sinne nicht hörbar, aber durch einen bewußten Gebrauch des geistigen Sinnes klar wahrnehmbar ist; und wir alle haben diesen geistigen Sinn.
Die Christliche Wissenschaft macht in bezug auf das Lauschen konkrete Aussagen. Die Verfügbarkeit richtiger Ideen, die uns leiten, ist unbegrenzt. Diese Ideen sind zahlreicher als Radio- oder Fernsehwellen, die eine Vielfalt von Tönen und Bildern übertragen. Ob wir uns dessen bewußt sind oder nicht: Das Bemühen um geistiges Lauschen beginnt mit dem inbrünstigen, demütigen Verlangen, das zu hören, was für jeden von uns am wichtigsten ist. Dieses Verlangen mag sich in der Wahrnehmung von Schönheit und Bedeutung in großartiger Musik zeigen oder in der Ehrfurcht einflößenden Erhabenheit der Natur und des sichtbaren Universums. Worauf sich auch immer unsere Aufmerksamkeit richten mag: Das Lauschen beginnt mit einem wachen Gespür, daß wir auf wunderbare und nützliche Ideen lauschen können. Aber die Kunst des Lauschens muß auf ihr höchstes Niveau gehoben werden — das tatsächliche Erfassen des geistig Guten.
Lassen Sie uns zwei wesentliche Punkte in der Kunst des Lauschens betrachten: wie man den Irrtum zum Schweigen bringt und wie er gegen die Wahrheit ausgetauscht wird.
Streben wir danach, den selbstischen Sinn zum Schweigen zu bringen, verhilft uns das zu dem überaus notwendigen Sieg der Wahrheit in all unseren Belangen. Mrs. Eddy sagte in einer Ansprache in Chikago: „Die Wissenschaft spricht, wenn die Sinne schweigen; und dann triumphiert die immerwährende Wahrheit.“ Vermischte Schriften, S. 100.
Schon das bloße menschliche Hören wird durch eine zunehmende Flut ablenkender Töne und hypnotischer Überladenheit in unseren Städten unmöglich. Doch ist die physische Ablenkung gering im Vergleich zu der raffinierteren und weitaus heimtückischeren Ablenkung durch verführerische Suggestionen, die uns von den heilenden Ideen der Seele fortlocken wollen.
Die Welt möchte uns ständig mit ihrem Wirbel um Belanglosigkeiten von der Bedeutung und dem Wert unsterblicher Gedanken und Ideen ablenken. Sie hat kein Interesse an göttlichen Gedanken. Mit Gleichgültigkeit ignoriert sie sie. Die Christliche Wissenschaft befähigt uns jedoch, auf die göttlichen Gedanken zu lauschen, um falsche Einflüsterungen und Versuchungen zum Schweigen zu bringen. Wir sind somit einzigartig ausgerüstet, den raffinierten Herausforderungen einer Belagerung durch Lügen und Halbwahrheiten entgegenzutreten, die alle unsere Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen wollen. Um zu hören, was der Heilige Geist sagt, müssen wir unsere gottgegebene innere Ruhe wiedergewinnen, wie es wohl Johannes getan haben muß als er auf die Insel Patmos verbannt wurde.
Jesus veranschaulichte und demonstrierte den unschätzbaren Wert geistiger Ideen. Sie müssen mit dem geistigen Sinn wahrgenommen oder gehört werden. Mrs. Eddy schreibt: „Die Metaphysik löst Dinge in Gedanken auf und tauscht die Dinge des Sinnes gegen die Ideen der Seele ein.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 269. Wir müssen die weltliche oder menschliche Vorstellung von uns gegen das geistige Ideal austauschen. Auf diese Weise folgen wir bewußt Christus, der Wahrheit, allein durch unseren Seelen-Sinn, der von unserem wahren Selbst untrennbar ist.
Wir brauchen niemals stümperhafte Lauscher zu sein, die sich einreden lassen, sie könnten Schund nicht von Kostbarkeiten unterscheiden. Wir werden erkennen, daß die Kunst des geistigen Lauschens auch einschließt, das Rechte so sehr zu lieben, daß wir beständig danach Ausschau halten und das Böse in Frage stellen und entlarven, bis es aus unserem Bewußtsein schwindet. Kurzum, wir lernen das Gute so intensiv zu lieben und zu akzeptieren, daß wir ganz natürlich alles Widerliche und Falsche zurückweisen.
Der entgegengesetzte Vorgang, nämlich das Falsche zu suchen und die Eingebungen des Guten zum Schweigen zu bringen, ist Egoismus. Er mag als Selbstgerechtigkeit zum Ausdruck kommen, die zu Schmach führt. Nur wenige haben tatsächlich den Wunsch, diesen Weg zu gehen. Die meisten wollen davor bewahrt werden. Niemand braucht das Opfer falscher Erziehung zu werden. Es ist natürlich, das Rechte zu lieben und sein Gegenteil, das Böse, zu verwerfen.
Jesus wußte um die Heiligkeit eines ewigen Verlangens, zu lauschen und der Wahrheit zu folgen. Wir lesen über ihn im Brief an die Hebräer: „Du hast geliebt die Gerechtigkeit und gehaßt die Ungerechtigkeit; darum hat dich, o Gott, gesalbt dein Gott mit dem Öl der Freude wie keinen andern neben dir.“ Hebr. 1:9.
In dem Maße, wie wir die Kunst des geistigen Lauschens erlernen, werden auch wir gesalbt und gesegnet. Wir werden uns selbst besser verstehen lernen. Wahres Lauschen rührt gleichzeitig von einer verbesserten Selbsterkenntnis her, einer besseren Auffassung von Demut, einem höheren Begriff von Liebe zum wahren Selbst des Menschen.
Wir werden den besseren Gebrauch unseres geistigen Sinnes schätzen. Neue Fertigkeit und neues Geschick werden unser Lauschen und Wahrnehmen kennzeichnen. Wir werden nicht länger stümperhafte Lauscher sein. Wir werden anfangen, unseren eigenen erstickten Hilferuf zu hören — sei er auch unter einer Lawine falschen Verlangens begraben.
Wie können wir am besten das Sehnen der Welt wiedererwecken, damit sie auf solche Ideen lauscht, die befriedigen, glücklich machen und heilen? Indem wir selbst die Kunst des Lauschens besser ausüben und beweisen, daß uns die mannigfaltigen Ablenkungen unserer Umgebung nicht von dem „stillen sanften Sausen“ des Christus fernhalten können. Wir werden die christliche Kunst des Lauschens in uns lebendig halten, um dem unartikulierten Schrei menschlicher Not gerecht zu werden.
