Er war sehr niedergeschlagen — einsam, am anderen Ende der Welt, weitab der Zivilisation, von der Familie getrennt, die ihn als Vater brauchte. Und er selber sehnte sich nach Liebe und Geborgenheit in der Familie.
An seinem neuen Arbeitsplatz lief es nicht so gut: eine unerfreuliche Überraschung nach der anderen! Einige Wochen zuvor, als er noch in Europa war, hatte er in dem internationalen Konzern, bei dem er gerade erst als leitender Angestellter der obersten Führungsebene seine Arbeit aufgenommen hatte, eine „Unternehmensintrige“ aufgedeckt. Und nun unterrichteten ihn hier in einem Entwicklungsland seine Buchprüfer, daß seine Angestellten Regierungsbeamte bestochen hatten! Außerdem erfuhr er, daß seine Manager die Rechnungen der Firma nicht beglichen. Vor ihm türmte sich eine Unmenge schwieriger Probleme.
Als dieser Mann aus dem Hotelfenster blickte und ein Bild jahrhundertealter Armut sah, sagte er laut: „O Gott, bin ich niedergeschlagen! Aber wie mutlos müssen erst die da draußen in ihren Hütten sein. Was mache ich nur? Wie soll ich beten? Gib mir doch etwas, woran ich mich klammern kann!“
Auf seinen zahlreichen Geschäftsreisen nahm er immer die Bibel und die Schriften Mrs. Eddys mit. In ihnen fand er viele Wahrheiten, an die er sich klammern konnte Wahrheiten über Gott, den Menschen und die geistige Bedeutung des Lebens. Daher war es nicht außergewöhnlich, daß er sich an einige dieser Wahrheiten erinnerte, als er später in jener Nacht aufwachte. Ganz lebhaft konnte er sich an den erfrischenden Gedanken erinnern, daß der Gott, zu dem er betete, keine weit entfernte Gottheit war, die ihn einsam in einem fernen Land seinem Schicksal überlassen würde. Im Gegenteil, sein Gott war stets gegenwärtig, Er war in dem Augenblick bei ihm und würde es immer sein; „denn Gott ist Liebe“ 1. Joh. 4:8.‚ wie Johannes schrieb.
Der Christliche Wissenschafter schlug Wissenschaft und Gesundheit auf und las folgende Worte Mrs. Eddys: „Liebe, das göttliche Prinzip, ist Vater und Mutter des Weltalls, einschließlich des Menschen“. Wissenschaft und Gesundheit, S. 256. Er erinnerte sich, daß Mrs. Eddy wiederholt erklärt, daß Gott beides ist, Vater und Mutter! Wie könnte ein Gott der Liebe, ja, wie könnte ein Gott, der Liebe ist — unser himmlischer Vater-Mutter Gott —, es zulassen, daß wir entmutigt und ohne Hoffnung sind, wenn wir uns von ganzem Herzen an Ihn wenden?
Zum erstenmal fühlte dieser Mann so richtig die Gegenwart dieser wunderbaren Mutterliebe Gottes! Das verlieh ihm Frieden, Hoffnung und Stärke. Als Christlicher Wissenschafter wußte er, daß er den falschen Anspruch des Irrtums überwinden mußte, er sei ein im Stich gelassener, von Gott getrennter Sterblicher. In Wirklichkeit war er das Kind Gottes, immer eins mit seinem Schöpfer — er stand im Dienst Gottes und hatte göttliche Autorität. Diese geistige Tatsache bedeutete, daß er die nötige Kraft, Inspiration, Fähigkeit und Führung hatte, um seine Aufgabe zu erledigen — solange er in dem war, was seines Vaters ist, und Gottes Liebe und intelligenz zum Ausdruck bringen würde. In jener Nacht und in den darauffolgenden Monaten hielt er an diesen Wahrheiten fest.
Als er die Christliche Wissenschaft weiterstudierte, wurde er mehr von Hoffnung getragen als von Entmutigung belastet. Er erinnerte sich an etwas, was ihm Jahre zuvor gesagt worden war, daß nämlich Entmutigung die stärkste Waffe des Irrtums sei. Er befaßte sich eingehend mit der folgenden hilfreichen Erklärung aus Wissenschaft und Gesundheit: „Die Menschen sind konsequent, die wachen und beten, die laufen können, und nicht matt werden, ... wandeln‘ können, und nicht müde werden‘, die das Gute schnell erringen und ihre Stellung behaupten oder die es langsam erlangen und sich nicht entmutigen lassen.“ Und Mrs. Eddy fügt hinzu: „Wenn wir geduldig auf Gott harren und die Wahrheit in rechtschaffener Weise suchen, dann lenkt Er unseren Pfad“. Ebd., S. 254.
Für diesen Geschäftsmann war es ein Trost, daß er all diese Probleme nicht an einem Tag durch Gebet zu lösen brauchte, sondern daß er — wenn notwendig — die Lösung „langsam erlangen“ konnte und „sich nicht entmutigen [zu] lassen“ brauchte. Die Heilung ging auch tatsächlich nicht so schnell vonstatten. Der Fortschritt kam schrittweise, und zwar in dem Maße, wie er auf Gottes Weisung wartete und mit sich selbst mehr Geduld hatte. Immer wieder wandte er sich an die Bibel, in der er großen Trost fand, wie z. B. in Jesajas machtvoller Erklärung: „Männer werden müde und matt, und Jünglinge straucheln und fallen; aber die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, daß sie auffahren mit Flügeln wie Adler, daß sie laufen und nicht matt werden, daß sei wandeln und nicht müde werden“. Jes. 40:30, 31.
Durch Studium und Anwendung lernte er nach und nach, was es wirklich bedeutet, Geduld zu üben — daß es nichts mit weicher Unentschlossenheit zu tun hat, nichts mit blinder Resignation oder dem Versuch, Mißerfolge zu entschuldigen, oder mit passivem Warten. Wahre Geduld ist eine tätige Eigenschaft, mit der wir Gottes Macht und Gegenwart beweisen können. Sie stellt an uns die geistige Forderung, nicht dem Irrtum nachzugeben, sondern trotz materieller Schwierigkeiten voranzuschreiten.
Wahre Geduld führt zu konkreten Resultaten, wenn wir die „Wahrheit in rechtschaffener Weise suchen“. Jakobus sagte: „Die Geduld aber soll ihr Werk tun bis ans Ende, auf daß ihr seid vollkommen und ohne Tadel und kein Mangel an euch sei“. Jak. 1:4.
Jener leitende Angestellte konnte während der folgenden sechs Monate die Wahrheiten anwenden, die er studierte, und er bewältigte jedes größere Problem, vor dem er stand — auch die „Unternehmensintrige“, die Bestechung, die fälligen Verbindlichkeiten und die Trennung von seiner Familie. Noch ehe ein Jahr um war, wurde er aus diesem Arbeitsbereich herausgenommen und mit neuen Aufgaben in seiner Heimat betraut, wo seine Talente mehr gefragt waren und wo er sich wieder daheim und in der Kirche voll betätigen konnte.
Ein Bekannter sagte einmal zu mir: „Ein schwieriges Problem durch Gebet lösen zu lernen ist mitunter, wie wenn man das Wasserskifahren erlernt. Man sitzt, bis über beide Ohren‘ im Wasser und weiß nicht so recht, was man machen soll. Aber man hat ein paar Bretter unter den Füßen, ein Seil, an dem man sich festhalten kann, und ein Motorboot, das einen zieht. Plötzlich fährt das Boot an. Man spürt einen kräftigen Ruck am Seil und ringsherum schäumt das Wasser. Was macht man dann? Läßt man das Seil los? Nein. Man vertraut, hält am Seil fest, und es zieht einen an die Oberfläche! Schon ist man auf dem Wasser und gleitet im strahlenden Sonnenschein dahin, solange man das Seil nicht losläßt.“
Welch hilfreicher Gedanke! Unsere Aufgabe ist es — und so schwierig ist es nun nicht, — nicht loszulassen, der Entmutigung nicht nachzugeben, sondern am Ball zu bleiben — geistig durchzuhalten.
