Als ich mich in meinen Teenjahren für das Fotografieren zu interessieren begann, erbot sich mir ein Nachbar, mich darin zu beraten. Eines Sommernachmittags rannte ich nach einem Gewitterschauer aus dem Haus, um einen ungewöhnlich leuchtenden, vollen Regenbogen auf Film einzufangen. Mein Nachbar war auch da. Wir verglichen unsere Kameraeinstellungen. Ich war überrascht, daß seine ganz anders waren als das, was ich erwartet hatte. So fragte ich ihn, was für einen Film er eingelegt habe. „Nun ja“, sagte er nach verlegenem Schweigen, „ich benutze einen Schwarzweißfilm.“ Im Gegensatz zu einem Fotoamateur, der mit allen Kniffen arbeitet und das vielleicht geplant hätte, war es bei meinem Nachbarn einfach Vergeßlichkeit!
Zur Zeit nähern sich viele Menschen auf der Welt geistigen Werten und der geistigen Wirklichkeit wie jener Nachbar mit dem Schwarzweißfilm. Das Ergebnis ist von dem allgemeinen Grau einer materiellen Daseinsauffassung wohl nur schwer zu unterscheiden!
Es ist so, wie es der große schwedische Staatsmann und einer der ersten Generalsekretäre der Vereinten Nationen, Dag Hammarskjöld, in seinem Buch Markings schreibt: „Gott stirbt nicht an dem Tag, an dem wir aufhören, an eine persönliche Gottheit zu glauben, doch sterben wir an dem Tag, an dem unser Leben nicht mehr von dem steten, sich täglich erneuernden Glanz eines Wunders erhellt wird, dessen Ursprung alle Vernunft übersteigt.“ Markings (New York: Alfred A. Knopf, 1965), S. 56.
Wenn wir uns mit dem armseligen Wissen des sterblichen Daseins vollgepfropft haben und wir nur mit ihm bestimmen, was Gott und was Wirklichkeit ist, werden wir wohl den Glanz der geistigen Dinge kaum erblicken. Die geistige Wirklichkeit ist jedoch nach wie vor gegenwärtig und wirksam. Wir sind es, die sich ihr auf eine andere Weise nähern müssen, um uns ihrer bewußt zu werden. Wenn das Herz bereit ist, öffnet der Geist des Christus das Denken, das dann erkennt und empfängt, was schon da ist.
Mary Baker Eddy — sie machte die geistige Entdeckung, die als Christliche Wissenschaft bekannt ist — beschreibt das Wesen des weltlichen Denkens, das die geistige Wahrnehmung ausschließen möchte, folgendermaßen: „Falsche realistische Ansichten untergraben die Wissenschaft vom Prinzip und der Idee; sie machen die Gottheit unwirklich und unbegreiflich, sei es nun als Gemüt oder als Materie; aber Wahrheit rettet Vernunft und Unsterblichkeit und enthüllt dem geistigen Sinn, der von geistigen, nicht materiellen Dingen Zeugnis gibt, die wahre Natur Gottes und des Weltalls.“ Vermischte Schriften, S. 218.
Der falsche Realismus präsentiert sich uns oft so lange als erste und einzige Wahl in menschlichen Angelegenheiten, bis wir gelernt haben, uns an die göttliche Wahrheit und ihre Macht zu wenden, und sie uns eine ganz andere Möglichkeit zeigt. Dann erfassen wir nach und nach den Unterschied zwischen angeblichem Realismus, der sich auf eine menschliche Einschätzung der Umstände gründet, und geistiger Realität. Wir lernen, uns einem höheren Realismus zuzuwenden — dem Realismus der stets gegenwärtigen Güte Gottes.
Gerade diese Lektion lernten junge Eltern, die Christliche Wissenschafter waren. Ihre Kinder waren an Krupp erkrankt. Als sich dieses Krankheitsbild zum erstenmal zeigte, waren sie sehr beunruhigt. Doch sie hatten erfahren, daß sie sich auf Gebet verlassen konnten — auf das Gebet, das ganz entschieden von der Bejahung der immer wirksamen, gegenwärtigen Wirklichkeit Gottes und der sich daraus ergebenden Unwirklichkeit alles dessen ausgeht, was Ihm unähnlich ist. Dieses Gebet brachte eine sichtliche Besserung, ohne daß irgendwelche Medikamente verabreicht oder andere materielle Maßnahmen ergriffen wurden.
Dennoch trat der Zustand mehrmals wieder auf. Jedesmal wollte der falsche Realismus Befürchtungen und Gedanken an eine lange schwierige Nacht suggerieren. Und jedesmal brachte die entschlossene Hinwendung des Denkens zu Gott schließlich das innige, heilende Gefühl Seiner Fürsorge zurück. Die körperliche Besserung folgte kurz darauf. Aber erst als sich das Problem bei einem Kind eines Nachts zuspitzte, trat die Änderung im Denken ein, die zur vollständigen Heilung führte.
„Realistisch“ gesehen, war die Lage damals so kritisch, daß die geistige Gewißheit nicht hinausgeschoben und nur langsam wiedererlangt werden konnte. Was not tat, waren das unmittelbare Wissen, daß Gott den Menschen und Seine ganze Schöpfung vollkommen erhält, und der Beweis dieser Tatsache in der menschlichen Erfahrung.
Deshalb mußten die Eltern aufhören, die Symptome, die der körperliche Augenschein aufwies, „realistisch“ einzuschätzen, und sich von ganzem Herzen Gott als dem in jeder Hinsicht Wirklichen und Gegenwärtigen zuwenden. Das taten sie, und sie stellten fest, daß die Gegenwart der göttlichen Liebe die Furcht hinwegnahm und die drückende Last der Krankheit beseitigte. Die Symptome klangen ab, das Kind atmete normal. Es war geheilt und schlief ruhig die Nacht hindurch. Die Krankheit trat nie wieder auf.
Die Eltern zogen aus dieser Erfahrung Lehren, die ihnen halfen, sich und andere zu heilen. Unter anderem lernten sie, daß die Disharmonie sich länger hinzieht, wenn wir dem Realismus der Disharmonie, die uns die materiellen Sinne darbieten, vertrauen. Tatsächlich ist ein derartiges Vertrauen die eigentliche Ursache der Disharmonie. Wir müssen unbedingt besser verstehen, daß Gott, Geist, und nicht die Materie, in jedem Falle die Wirklichkeit bildet. Mrs. Eddy bemerkt dazu in Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift, dem Buch, das sie schrieb, um ihre geistige Entdeckung mit anderen zu teilen: „Wir müssen tief in die Wirklichkeit hineinschauen, anstatt nur den äußeren Sinn der Dinge anzunehmen.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 129.
Wie Dag Hammarskjöld und viele andere geistig gesinnte Männer und Frauen intuitiv erkannten, können wir Gott nicht dadurch finden, daß wir in die falsche Richtung schauen. Gott kann nicht in einer materiellen Daseinsauffassung gefunden werden; noch ist Er der Schöpfer einer materiellen Welt und ihrer Übel. Er wird mit dem geistigen Sinn gefunden. Die Bibel beschreibt echte geistige Erfahrung wie folgt: „Und das ist die Botschaft, die wir von ihm gehört haben und euch verkündigen, daß Gott Licht ist und in ihm ist keine Finsternis.“ 1. Joh. 1:5.
Wir können der Spekulation ein Ende setzen, daß die Materie und das Böse wirklich und von Gott geschaffen sein müssen. Die Christliche Wissenschaft bricht die Macht dieser hypnotischen Annahme und zeigt, daß wir einen Fehler begehen, wenn wir glauben, das Böse sei wirklich oder komme von Gott.
Gott ist der Ursprung des Glanzes und des Wunders, das wir manchmal in der menschlichen Erfahrung erblicken. Deshalb können wir nicht mehr von Gott erkennen, wenn wir von dem ausgehen, was sogar nach der normalen menschlichen Intelligenz mit einem unendlich guten Gott völlig unvereinbar ist, der ja allein der Maßstab für die Wirklichkeit ist.
„Die Wissenschaft“, schreibt Mrs. Eddy, „ist das Prisma der Wahrheit, das ihre Strahlen bricht und die Farbtöne der Gottheit ans Licht bringt.“ Rückblick und Einblick, S. 35. Wir werden Gott finden, wenn wir — statt in das menschliche Denken, das erwartungslos und grau geworden ist — in dieses strahlende und vollkommene Gute hineinschauen. Und wenn wir Ihn klarer erkennen, werden wir uns deutlicher des Spektrums, der Substanz und der Güte Seiner Schöpfung bewußt und sehen sie. Eine derartige Wirklichkeit ersetzt rein menschliche Anschauungen und bringt das göttliche Heilen in die menschliche Erfahrung.
