Nach meiner Zwischenprüfung bezog ich voller Hoffnung, Idealismus und Optimismus eine andere Hochschule, sah mich aber plötzlich größeren Herausforderungen gegenüber als je zuvor. Ich war jetzt beinahe fünftausend Kilometer von zu Hause entfernt. Die Seminare, aber auch der Wettbewerb untereinander waren wesentlich härter als in den ersten Studienjahren. Ich hatte zwar ein Vollstipendium, doch mußte ich für meine Wohnung und meinen Unterhalt einer Teilzeitbeschäftigung nachgehen. Bald drängte sich mir die Frage auf, ob ich mit diesem Schritt gottverliehener Weisheit gefolgt war.
Zum Glück gab es an der Universität eine Christlich-Wissenschaftliche Hochschulvereinigung. Ich bin überzeugt, daß ich meinen Erfolg an der Hochschule letztlich der Mitgliedschaft in ihr verdanke. Die Hochschulvereinigung ist in der Tat ein Arm Der Mutterkirche im Universitätsbereich — ein Arm, auf den man sich wirklich stützen kann.
In unseren wöchentlichen Versammlungen erhellten die inspirierenden Lesungen aus der Bibel und Wissenschaft und Gesundheit von Mary Baker Eddy, dem Lehrbuch der Christlichen Wissenschaft, sehr oft Fragen, die besonders für Studenten von Belang sind. Einige Versammlungen sind mir noch sehr lebhaft in Erinnerung. So wurde z. B. auf einer das Problem von Zeit und Zeitdruck aufgegriffen. Die Lesung verdeutlichte, daß Zeit grundsätzlich ein mentales Konzept ist und daß uns die Tage in dem Maße geistiges Wachstum und geistigen Fortschritt bringen, wie wir unseren Begriff von sinnvoller Aktivität vergeistigen. Während der Zeugnisperiode der Versammlung berichteten die Mitglieder über ihre Erfahrungen und erläuterten, wie sie sich von den Begrenzungen der Zeit lösten, indem sie klarer verstanden, daß Gott dem Menschen unendliche Fähigkeiten verleiht, etwas zu leisten und Erfüllung zu erlangen. Als ich diese geistigen Wahrheiten auf meine Erfahrung anwandte, ging ich viel planmäßiger an meine Aufgaben und Seminararbeiten heran. Ich schloß einige noch „unvollständige“ Arbeiten ab und war mit meinem Arbeitspensum auf dem laufenden.
Ein anderes Thema, das bei unseren Versammlungen oft im Mittelpunkt stand, war Intelligenz. Menschliche, materiell definierte Vorstellungen von Intelligenz beherrschten — wie an den meisten Hochschulen — das Denken an unserer Universität. Die Ergebnisse der Eignungstests und der sogenannte IQ galten als Gradmesser unserer Intelligenz. Ich hatte mich eigentlich immer für „gescheit“ gehalten, doch empfand ich nun den Konkurrenzdruck und die Anforderungen der Hochschule als so drückend, daß mein Stolz auf eine persönliche Intelligenz, die sich auf das Gehirn stützt, völlig unangemessen war. So sog ich Lesungen über göttliches Gemüt und Intelligenz buchstäblich auf, und ich begann, das Gelernte anzuwenden. Die Erkenntnis, daß die göttliche Intelligenz allmächtig, allgegenwärtig und allwissend ist, war für mich besonders während der Vorbereitung auf Examen und während der Examen selbst äußerst hilfreich. Ich werde nie vergessen, wie ein anderes Mitglied die Anwendung folgenden Bibelverses in einer Zeugnisversammlung schilderte: „Verlaß dich auf den Herrn von ganzem Herzen, und verlaß dich nicht auf deinen Verstand, sondern gedenke an ihn in allen deinen Wegen, so wird er dich recht führen.“ Spr. 3:5, 6.
Geistiges Wahrnehmungsvermögen, durch Gebet gepflegt, kann der Studienzeit die unfehlbare Richtung des göttlichen Gemüts geben und reine Vermutungen und Verwirrtheit durch Organisation und Genauigkeit ersetzen. Göttliche Intelligenz sorgt für geistige Erleuchtung und ersetzt Dunkelheit und Zweifel durch Wahrnehmung, Verständnis und Scharfsinn. Wie Sie sich vorstellen können, betete und arbeitete ich mit diesen Wahrheiten und erzielte bessere Prüfungsergebnisse.
Die Hochschulvereinigung spielte auch bei der Festigung des moralischen Standpunkts in sexuellen Fragen eine große Rolle. Die laxen Normen der Gesellschaft in sexueller Moral können Studenten durchaus in Versuchung führen oder unsicher machen — sie fragen sich vielleicht: „Jeder tut es doch, warum eigentlich nicht ich oder wir?“
Während meines ersten Semesters an dieser neuen Hochschule schlief meine unverheiratete Zimmergenossin mit ihrem Freund in unserer gemeinsamen Wohnung. Ich sprach mit dem Berater der Hochschulvereinigung darüber. Seine Antwort war: „Eine Rose gehört nicht in ein Zwiebelfeld.“ Für mich hieß das, daß ich mich an die christliche Moral halten und eine moralisch anstößige Umgebung verlassen sollte, was ich auch tat.
Durch derartige moralische Unterstützung kann die Hochschulvereinigung den Studenten helfen, die geistigen Gründe für die Bewahrung sexueller Reinheit zu verstehen, die Treue gegenüber Wahrheit und Liebe aufrechtzuerhalten und sich Keuschheit als voreheliche Norm zu bewahren.
Wenn der Student die Kontrolle des Geistes über den Körper versteht und demonstriert, so wie Jesus es tat, kann er u. a. seine Freiheit von Alkohol und Drogen, aber auch von sexueller Versuchung bewahren. Es war interessant, daß zwei Studentinnen, die unserer Hochschulvereinigung angehörten, in die Endausscheidung für die Wahl zur „Universitätskönigin“ gekommen waren und eine der beiden sogar Siegerin wurde. Offensichtlich hatte es ihrer Popularität keinerlei Abbruch getan, daß sie an einer christlich-wissenschaftlichen Norm der Moral festgehalten hatten, noch war ihr Ausdruck der schönen Eigenschaften der Seele dadurch behindert worden.
Wie sieht es aber aus, wenn man weit von zu Hause entfernt ist und sich nach Zuneigung und Freundschaft sehnt? Die Hochschulvereinigung bringt Menschen mit ähnlichen geistigen Werten zusammen und ermutigt sie, sich gegenseitig zu stärken. Sie vermittelt ein Gefühl der Zusammengehörigkeit und gegenseitiger Unterstützung. Das tägliche Studium der Bibellektion im Vierteljahrsheft der Christlichen Wissenschaft half mir, spezifische Stellen in der Bibel und in Wissenschaft und Gesundheit zu finden, die mir eine klare Vorstellung von Zufriedenheit und Vollständigkeit gaben und das Gefühl der Einsamkeit auslöschten. Außerdem schloß ich wunderbare und bleibende Freundschaften mit anderen Mitgliedern unserer HV.
Wer den Schutz und die Unterstützung einer Hochschulvereinigung erfahren hat, empfindet tiefe Dankbarkeit dafür, daß Mrs. Eddy diese Einrichtung im Handbuch Der Mutterkirche verankert hat. Wie meine Erfahrung belegt, stärken die Hochschulvereinigungen den einzelnen Christlichen Wissenschafter ganz beträchtlich und helfen ihm bei den besonderen Problemen an der Universität. Das ist aber nicht alles. Obwohl der Hauptzweck der Hochschulvereinigungen darin besteht, den einzelnen Studenten zu stützen, so wäre doch das allein eine ziemlich begrenzte Aufgabe. Wenn wir uns die Definition von Kirche in Wissenschaft und Gesundheit vergegenwärtigen, sehen wir, daß die Hochschulvereinigung, die ja im Universitätsbereich die Kirche repräsentiert, unbedingt dazu beitragen sollte, das Denken an der Universität zu heben und zu verbessern. Das Lehrbuch der Christlichen Wissenschaft definiert Kirche folgendermaßen: „Der Bau der Wahrheit und Liebe; alles, was auf dem göttlichen Prinzip beruht und von ihm ausgeht.
Die Kirche ist diejenige Einrichtung, die den Beweis ihrer Nützlichkeit erbringt und die das Menschengeschlecht hebt, das schlafende Verständnis aus materiellen Annahmen zum Erfassen geistiger Ideen und zur Demonstration der göttlichen Wissenschaft erweckt und dadurch Teufel oder Irrtum austreibt und die Kranken heilt.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 583.
Die Universität ist ein Marktplatz für Ideen. Wie kann der wachsame Student unterscheiden zwischen dem, was schädlich ist, und dem, was seinen intellektuellen und geistigen Fortschritt fördert?
Häufig sind Seminare über Naturwissenschaften, Philosophie und Psychologie fester Bestandteil der geisteswissenschaftlichen Studiengänge. Und viele dieser Kurse mögen eine durch und durch materielle, biologische Vorstellung vom Menschen und vom Leben verbreiten. Die Inspiration und gegenseitige geistige Unterstützung, die man auf den Versammlungen der Hochschulvereinigung spürt, zusammen mit dem systematischen Studium der christlich-wissenschaftlichen Bibellektionen geben einem einen Maßstab, mit dem der wiese Christliche Wissenschafter das Falsche vom Wahren, das Erdichtete von der Wahrheit und die Spreu vom Weizen trennen kann. Mrs. Eddy schreibt: „Akademische Bildung rechter Art ist vonnöten. Beobachtung, Erfindung, Studium und schöpferisches Denken erweitern den Horizont; sie sollten dazu beitragen, daß das sterbliche Gemüt über sich selbst hinauswächst, über alles, was sterblich ist.“ Und sie fährt fort: „Die verworrene Sinnwidrigkeit der Gelehrsamkeit ist es, die wir beklagen — das bloße Dogma, die spekulative Theorie und die widerlichen Romane.“ Ebd., S. 195.
Hier erfüllt Mrs. Eddys Weitblick, in dem sie Vorträge über die Christliche Wissenschaft an den Hochschulen vorsah, eine wunderbare Mission. Das Kirchenhandbuch legt fest: „Auf eine Einladung hin kann ein Mitglied des Vortragsrates für besagte Universitäts- oder Hochschulvereinigung einen Vortrag halten.“ Handb., Art. XXIII Abschn. 8. Diese Bestimmung gibt der Hochschulvereinigung die Gelegenheit, im Universitätsbereich (sofern das die Statuten der Hochschule zulassen) einen Vortrag zu halten, der Antworten auf den wissenschaftlichen Materialismus und Atheismus gibt, die in der akademischen Welt so weit verbreitet sind.
Ein Vortrag an der Universität hebt das allgemeine Denken über solche Themenbereiche wie die Naturwissenschaften, die geistige Natur des Menschen und des Universums sowie über Christi Jesu wissenschaftliche Heilmethode. In diesem Sinne trägt die im Kirchenhandbuch festgelegte Bestimmung über Vorträge an den Universitäten dazu bei, daß sich folgende Worte unserer Führerin im Lehrbuch über die Christliche Wissenschaft erfüllen: „Man räume der Christlichen Wissenschaft den Platz in unseren Lehranstalten ein, den jetzt die scholastische Theologie und Physiologie innehaben, und sie wird Krankheit und Sünde in kürzerer Zeit ausrotten, als die alten zu ihrer Unterdrückung ersonnenen Systeme zur eigenen Begründung und Verbreitung bedurft haben.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 141.
Dadurch, daß auch Mitglieder des Lehrkörpers, Dozenten und Graduierte Mitglied einer Hochschulvereinigung sein können, trägt jeder auf den verschiedensten Ebenen der akademischen Gemeinschaft dazu bei, das Bewußtsein auf christusgleiche Weise zu durchsäuern und das Denken an der Universität zu vergeistigen. Und natürlich hat die HV einen geistig aufrüttelnden und stärkenden Effekt auf das Lehrpersonal und die Berater, wenn sie die Christliche Wissenschaft im Hochschulbereich hingebungsvoller und selbstloser unterstützen. Die Bestimmungen über Vorträge an der Hochschule und über die Beteiligung der Mitglieder des Lehrkörpers und der Graduierten bieten der Hochschulvereinigung auf zweifache Weise die große Möglichkeit, sich der gesamten akademischen Gemeinschaft anzunehmen und die Gedanken der Christlichen Wissenschaft auf dem Marktplatz der Universität mit anderen zu teilen.
Die Christlich-Wissenschaftliche Hochschulvereinigung erfüllt eine einzigartige Aufgabe, wenn es gilt, den Studenten geistig, intellektuell und moralisch zu stärken. Aber genauso wichtig ist es, daß sie innerhalb der Hochschule den Arm der Kirche bildet und einem die Möglichkeit gibt, das Denken zu heben und der akademischen Gemeinschaft das christliche Heilen nahezubringen.
