Schon früh im Leben werden die Menschen gelehrt, das zu tun, was ihnen Segen verspricht. Wir können uns Erlebnisse aus der Kindheit ins Gedächtnis zurückrufen, als uns unsere Mutter oder unser Vater eine nötige Anweisung gab. Vielleicht war es auch eine Tante, die uns mit der zielgerichteten Anerkennung „Du bist ja ein so braves und tapferes Kind!” einen Bonbon in die Hand drückte. Doch gelegentlich regten sich in manchen von uns Wünsche, die unsere Erzieher herausforderten. Eine falsche Stimme versuchte dann, uns einzureden, wir könnten dem Leben mehr abgewinnen, wenn wir das täten, nach dem uns gerade verlangte. In solchen Fällen standen unsere Wünsche und folglich unsere Handlungen nicht im Einklang mit dem, was unsere Erzieher von uns erwarteten.
Auch mir erging es so, und hinterher bereute ich es bitter. Ja, einmal bekam ich als Strafe für schlechtes Benehmen zwei Wochen lang keinen Nachtisch — eine ungeheure Entbehrung für einen Jungen!
Doch nach und nach lernte ich, still zu sein und bereitwilliger auf Gott zu lauschen. Ich folgte zunehmend dem, was eine höhere Ordnung von mir verlangte. Das erklärt in etwa, warum ich schließlich bereit war, die mir angebotene Christliche Wissenschaft anzunehmen. Diese Wissenschaft bringt der Menschheit den von unserem Meister Christus Jesus verheißenen Tröster — den „Geist der Wahrheit“ Joh 14:17., der, wie er sagte, die Welt an all das erinnern werde, was er gelehrt hatte.
Mrs. Eddy schreibt dementsprechend im Lehrbuch der Christlichen Wissenschaft, Wissenschaft und Gesundheit: „Johannes sagt:, Er wird euch einen andern Tröster geben, daß er bei euch sei ewiglich.' Unter diesem Tröster verstehe ich die Göttliche Wissenschaft." Wissenschaft und Gesundheit, S. 55.
Mit solch einem Tröster kann gewiß jeder von uns — Mann, Frau oder Kind — den neuen Tag mit den Worten des Psalmisten begrüßen: „Mein Herz ist bereit, Gott, mein Herz ist bereit, daß ich singe und lobe.“ Ps 57:8. Das wäre mit der entschlossenen inneren Bereitschaft gleichzusetzen, sich den ganzen Tag über wegen Erleuchtung, Kraft und Frieden an Gott zu wenden. Dann würden wir die Sorgen, die wir mit uns herumschleppen — oder besser gesagt, die Prüfungen, denen wir begegnen —, in einem helleren Licht sehen, und sie würden uns zu Erfahrungen führen, die uns bei späteren Gelegenheiten helfen können.
Eine Tatsache, die viele Menschen in ihrem Denken wenig berücksichtigen, ist die der Ganzheit Gottes und Seiner Schöpfung. Gott sieht in einer Angelegenheit stets nur die ganze Wahrheit, weil Er selbst vollkommen ist. Und da der Mensch Sein Bild und Gleichnis ist, kann er nicht anders, als die Ganzheit und Vollkommenheit seines Urbildes widerzuspiegeln.
Halbheiten — durch falsche Beweggründe getrübtes Handeln — lassen sich vermeiden, wenn wir unser Denken der höheren, göttlichen Ordnung widmen. Und kann es etwas Höheres geben als die oberste Instanz, nämlich Gott, das göttliche Gemüt, die Quelle aller Intelligenz, aller Wahrheit und aller Liebe? Wenn unser Denken richtig ist, dann ist alles, was wir von dieser Grundlage aus tun, ebenfalls richtig. Halbheiten werden ausgemerzt, während Unentschlossenheit, die oft durch einen schlecht vertretenen Sachverhalt entsteht, durch gottinspiriertes Denken überwunden wird.
Eine besondere Versuchung, die gelegentlich zu großer Verwirrung geführt hat, ist die Meinung, man solle aufgeben, wenn die Lage zu schwierig wird. Wer unter dieser Annahme leidet, sollte die Bibel zur Hand nehmen und die bitteren Erfahrungen irgendeiner der großen Gestalten in diesem Buch studieren. Welch ein Auf und Ab der Ereignisse mußte z. B. Mose erleben. Nachdem er als angenommener Prinz im Hause des Pharao gelebt hatte, mußte er später die Rolle eines schlichten Schafhirten übernehmen. Sicherlich mußte er lernen, genau auf die Stimme Gottes zu lauschen. Erst dann konnte die ihm innewohnende Bescheidenheit die Demut entfalten, ohne die niemand etwas gottgewollt Großes vollbringen kann.
Eins steht fest: Jedem von uns fällt irgendeinmal eine sehr schwierige Lebensaufgabe zu. Wäre es nicht lächerlich, dann zu zaudern oder „auszusteigen“, wo doch ein Ausharren gerade das ist, was uns zu einer festfundierten Freude führen wird? Durch die im Kampf erprobte und gewonnene neue Lebensauffassung wächst in uns die Überzeugung, daß Gott uns nie im Stich läßt. Wie die Heilige Schrift uns lehrt, ist Gott das universale Gute, der Inbegriff alles Guten, und Seine Güte steht uns allen immer zur Verfügung. Diese Güte erschöpft sich nicht dadurch, daß wir sie anwenden, denn sie ist von rein geistiger Natur, von unvergänglicher Substanz. Sie ist unendlich, weil Gott stets derselbe ist — heute, morgen und in alle Ewigkeit.
Wenn wir jedoch Gottes Wirken kontinuierlich erleben wollen, ist es sehr wichtig, daß wir uns von niemandem beirren oder falsch beeinflussen lassen. Wir müssen uns außerdem vorsehen, daß wir unseren Alltag und die Zusammenarbeit mit unseren Mitmenschen nicht von eigenwilligen Regungen beeinflussen lassen. Wir müssen beten und unsere Wünsche läutern, wenn wir die uns von Gott verliehene Freiheit von Furcht demonstrieren wollen.
Kein Mensch gleicht aufs Haar dem anderen, und daher muß unser Weg, wenn wir Gottes Führung folgen, genau auf uns — individuell — zugeschnitten sein; wenn wir ständig wachsam und gehorsam sind, kann er nicht durch Mißverständnisse oder eine falsche Auffassung vom Menschen unserem Blick entschwinden. In Wirklichkeit ist jeder von uns Gottes Idee. Gott läßt uns nicht mit unseren Aufgaben oder Sorgen allein. Er ist stets bei uns, ja Er ist unser Vater und unsere Mutter.
Meine Eltern hatten z. B. beschlossen, daß ich Mechaniker werden sollte, und da sie einen starken Einfluß auf mich ausübten, willigte ich ein. Doch nur dann und wann waren meine Leistungen in diesem an sich interessanten Beruf ausgesprochen gut. Es lag nicht nur daran, daß es mich tief im Innern nach etwas anderem verlangte, sondern ich sah mich als Mechaniker auch oft fehl am Platze, und so wurde mein Leiden manchmal unerträglich.
Dann aber begann für mich eine neue, glücklichere Zeit. Man hatte mir ungefähr ein halbes Jahr lang von der Christlichen Wissenschaft und ihrer praktischen Anwendung erzählt, und ich entschloß mich, sie gründlich zu untersuchen. Das tat ich willig, mit offenem Herzen, denn ich hatte lange Zeit geahnt, daß es in bezug auf Gott, auf das Leben, auf die Liebe eine reine Wahrheit geben mußte. Bald war ich von dieser reinsten christlichen Lehre so eingenommen, daß ich jede frei Stunde auf ihr Studium verwandte.
Schließlich gelang es mir, mit der geistigen Unterstützung eines Ausübers der Christlichen Wissenschaft im Theater Fuß zu fassen. Ich fand zuerst im Schauspiel und dann im Opernchor zum ersten Mal in meinem Leben volle Befriedigung und die reinste Freude am Kreativen.
Sehr dankbar war ich auch, als ich schließlich für Solistenkonzerte in Deutschland und in der Schweiz engagiert wurde. Durch meine Liebe zur Musik und zu allem, was im menschlichen Leben edel und gut ist, wurde ich mir der grenzenlosen Güte Gottes mehr bewußt. Ich hatte das Gefühl, an der Pforte der Unendlichkeit, der Ganzheit Gottes, angeklopft zu haben und eingelassen worden zu sein. Nun konnte ich wie nie zuvor auch anderen Menschen helfen.
Friedrich von Bodelschwingh soll gesagt haben: „Es ist unmöglich, daß ein Mensch in die Sonne schaut, ohne daß sein Antlitz hell wird.“ Genausogut läßt sich sagen: „Es ist möglich, ein klareres Bewußtsein zu erlangen, sobald man anfängt, das göttliche Gemüt zu verstehen und das göttliche Prinzip als Basis für alle seine Unternehmungen zu wählen.“
Sollte es uns jemals schwerfallen, dies zu tun, so können wir uns vertrauensvoll an Gott wenden, Seine Güte anerkennen und Heilung erwarten. Dann werden wir von neuem mit dem Psalmisten singen: „Mein Herz ist bereit, Gott, mein Herz ist bereit, daß ich singe und lobe.“