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EINIGE GEDANKEN ÜBER DIE CHRISTLICHE WISSENSCHAFT UND DIE KUNST

Viele Menschen stellen heute fest, daß sie über Fragen im Bereich der Wissenschaft, Theologie, Medizin, sozialen Rechte, Erziehung und Wirtschaftsreform nachdenken müssen. Sie entdecken immer mehr, daß diese Fragen praktische Auswirkungen auf ihr tägliches Leben haben. Die Serie Einige Gedanken über die Christliche Wissenschaft und... betrachtet diese Fragen und andere Themen aus der geistigen und metaphysischen Perspektive der Christlichen Wissenschaft.

Interviews mit vier Künstlern

Aus der April 1990-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


In welchem Verhältnis steht das wissenschaftliche Christentum zur Kunst?

Vier Künstler, die der Christlichen Wissenschaft angehören — ein Pianist, eine Töpferin, eine Radiererin und Malerin und eine Geigerin — sprachen kürzlich mit uns darüber, in welcher Beziehung ihr künstlerisches Wirken zu ihrem Studium der Christlichen Wissenschaft steht. Ihre Antworten sind angefüllt mit Begriffen aus dem Bereich der Kunst; so sprechen sie zum Beispiel von Linie, Harmonie, Gestalt, Rhythmus, Inspiration, Ausgewogenheit, vom Üben und künstlerischen Darbieten. Sie beschreiben ihre Arbeit aber auch mit Begriffen wie Selbstverbesserung, Freude, Möglichkeiten, Dienen, Motivation, Erlösung, Leben, Heilen, Liebe.

Mrs. Eddy schreibt: „Wir alle sind Bildhauer, die an verschiedenartigen Gestalten arbeiten und den Gedanken modeln und meißeln.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 248. Und an anderer Stelle stellt sie fest: „Die größte Kunst der Christlichen Wissenschaft ist, ein Christlicher Wissenschafter zu sein, und um diese Kunst auszuüben, bedarf es mehr als eines Raffaels.“ Vermischte Schriften, S. 375.

Einer der interviewten Musiker drückt es ähnlich aus: „Ich glaube, wir können nur so spielen, wie wir sind... Was die Leute hören, ist in Wirklichkeit das, was wir sind.“ Dieses Grundmotiv läuft wie ein roter Faden durch alle vier Interviews — daß sich ihre Kunst und ihr Leben, ihre Fähigkeiten und ihr Wesen nicht voneinander trennen lassen. Dieser Punkt ist von besonderem Interesse, nicht nur für Künstler, sondern für alle, die sich danach sehnen, eine größere Einheit und einen tieferen Sinn in ihrem Leben und ihrer Arbeit zu sehen.

Wer hätte nicht schon den Wunsch verspürt, wie ein Künstler zu sehen und zu hören — die Welt in einem neuen Licht zu sehen und diese Vision anderen so zu vermitteln, daß sie sich dadurch angesprochen fühlen, sich wandeln, ja sogar geheilt werden? Man muß unwillkürlich an das einzigartige Leben jenes Mannes denken, der mehr Künstler angeregt hat als irgendein anderer — von Bach und seiner Matthäuspassion bis hin zu Rembrandt und seiner Radierung „Christus unter Kranken und Kindern“, von Händels Messias bis hin zu den zahllosen Gedichten, Gemälden, Skulpturen und der unvergleichlichen Prosa des Neuen Testaments. Was wir vielleicht an der Kunst am meisten schätzen, ist, daß sie uns die Augen öffnet und wir in so manchem Augenblick der Inspiration etwas viel klarer sehen. In einem gewissen Sinn hat das Leben Christi Jesu diese Wirkung auf uns; und die Vision, die er uns bietet, ist unübertroffen: „Selig sind, die reinen Herzens sind; denn sie werden Gott schauen.“ Mt 5:8.

Genauigkeit und Disziplin sind für das christlich-wissenschaftliche Verständnis der Wirklichkeit wesentlich. Doch die Künstler, die in den Interviews zu Wort kommen, empfanden nicht, daß ihre Arbeit dadurch gefühllos oder zu starr wurde. Im Gegenteil. In dem Maße, wie sich ihre Ansichten über die geistige Wirklichkeit erweiterten, haben sie an Furchtlosigkeit und Freiheit im Ausdruck, an Freude und Originalität gewonnen. Es folgen Ausschnitte aus den Interviews.

Der Konzertpianist ist in über siebzig Ländern mit fast allen bedeutenden Orchestern der Welt aufgetreten.

Worin besteht für Sie das Verbindende zwischen der Christlichen Wissenschaft und Ihrer künstlerischen Tätigkeit?

Ich wurde einmal gefragt: „Was ist Musik?“ Die Definition, die mir am besten gefällt, steht in Wissenschaft und Gesundheit; Mrs. Eddy schreibt dort: „Musik ist der Rhythmus des Kopfes und des Herzens.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 213. Für mich drückt Musik exemplarisch das Gleichgewicht aus zwischen unserem Wissen und unserem Gefühl. Sie ist der intellektuelle und auch gefühlsbetonte, in Töne gekleidete Ausdruck der gesamten Skala unserer menschlichen Erlebniswelt. Die Christliche Wissenschaft, die ich für den wahren Monotheismus halte, trägt dazu bei, daß wir uns dem einen Gott, der Quelle aller Inspiration und allen schöpferischen Denkens und Erlebens, nahe fühlen und Ihn verstehen. Durch sie verstehen wir besser, was die großen Komponisten inspiriert und motiviert hat. Und sie hilft uns, unsere Motive für eigene Darbietungen zu läutern.

Ich begann mit vier Jahren Klavier zu spielen; und mit sechs trat zum erstenmal öffentlich auf. In gewisser Weise hatte ich es ziemlich leicht. Doch ich erinnere mich, daß ich einmal sehr entmutigt war. Ich wußte einfach nicht, wie ich meinen beruflichen Start finden sollte. Obwohl ich das Studium der Christlichen Wissenschaft immer recht ernst genommen hatte, begann ich doch jetzt erst, ihre Lehren präziser anzuwenden. Ich hatte vor, an einigen internationalen Klavierwettbewerben teilzunehmen, und ich gab mir alle Mühe, mir die geistige Tatsache zu vergegenwärtigen, daß jede Idee in Gottes Universum individuell und einzigartig ist, daß eine Idee Gottes nicht mit einer anderen im Wettstreit liegt. Mir wurde klar, daß ich im Grunde mit nichts anderem in Wettstreit treten konnte als mit meinen eigenen bisherigen Leistungen. Durch diesen Gedanken gewann ich große innere Freiheit.

Ich dachte nicht mehr so sehr daran, den Wettbewerb zu gewinnen, sondern befaßte mich mehr mit den geistigen Tatsachen des Seins, die ich kannte und spürte und an denen ich das Publikum teilhaben lassen wollte.

Zuvor hatte ich bei Wettbewerben immer unter großem Druck gestanden und hatte nicht frei spielen können. Ich bin davon überzeugt, daß ich bei späteren Wettbewerben deshalb erfolgreich war, weil ich ohne Furcht spielen konnte. Natürlich muß man sich diese Inspiration in den folgenden Jahren erhalten. Und das ist nicht so einfach.

Wie hilft Ihnen die Christliche Wissenschaft dabei, musikalische Ideen besser zu verstehen und in dem Stück, das Sie spielen sollen, etwas Frisches und Neues zu entdecken?

Ich glaube, wir können nur so spielen, wie wir sind. Wir können nicht auf die Bühne treten und plötzlich etwas empfinden, was sich nicht schon vorher in uns entwickelt hat. Doch was ist der Augenblick des Auftritts? Besteht er nur aus den ein oder zwei Stunden auf der Bühne? Oder zählt jeder Augenblick eines jeden Tages? Ich war schon immer der Ansicht, daß wir so spielen, wie wir üben. Wir können nicht ungern üben und dann gern spielen. Wir müssen auch gern üben. Die Leute hören in Wirklichkeit, was wir sind. Und ich glaube, das Ideale ist, wenn man auf der Bühne so ist, wie man auch hinter der Bühne ist.

Meines Erachtens hilft uns die Christliche Wissenschaft, Intuitionen zu erkennen und ihnen zu vertrauen. Ich glaube, daß diese Intuitionen, diese Einblicke in die Bedeutung der Musik, unserer Interpretation Autorität verleihen. Wir können nicht einfach einen anderen Interpreten kopieren. Wir können nicht die Darbietung eines anderen Künstlers durch uns wiedererstehen lassen. Wir müssen sozusagen selbst die Darbietung sein.

Heute gibt es weltweit eine ungemein reiche Auswahl an Musik. Ist aber die Norm für musikalische Güte nur eine Frage des Geschmacks? Ich glaube nicht. Ich bin der Ansicht, daß gute Musik das Denken erhebt und uns den tieferen Sinn des Lebens entdecken läßt. Es gibt aber auch Musik, die uns von wahrer Selbsterkenntnis und von der mitunter notwendigen eigenen Berichtigung ablenken möchte. Und ich glaube, daß uns die Christliche Wissenschaft hilft, unser Niveau in jeder Hinsicht zu heben, uns selbst besser zu verstehen und so eine bessere Auswahl zu treffen, selbst hinsichtlich der Musik, die wir spielen oder die wir uns anhören.

Ich möchte gern mit Musik in Verbindung gebracht werden, die ehrlich, voller Erbarmen und voller Menschlichkeit ist. Sie mag gelegentlich unbeschwert sein, sprühend oder humorvoll, doch nie oberflächlich. Musik sollte als eine universelle Sprache allen Menschen helfen, eine klarere und bessere Vorstellung von Brüderschaft zu gewinnen.

Ich glaube, daß in der Musik oft göttliche Attribute zum Ausdruck kommen, wie zum Beispiel Heiligkeit, Geistigkeit und Frieden, und auch menschliche Eigenschaften wie Erbarmen, Herzenswärme und Ausdauer. Doch manchmal drückt sie auch das Ringen der Menschheit aus — das Streben, das Sehnen und das heftige Verlangen des menschlichen Herzens, selbst Schmerz und Traurigkeit.

Die Christliche Wissenschaft sondert uns nicht vom menschlichen Leben ab. Sie hilft uns vielmehr, dieses Leben umzugestalten. Das bedeutet, daß man mitunter mit sich ringen muß, aber ich glaube, daß die Musik sehr wohl die Botschaft vermittelt, daß man an einem Ideal festhalten sollte, selbst wenn es ein Ringen bedeutet.

Manche Leute glauben, man sollte, um in der Musik Heilung zu finden, nur Werke aus bestimmten Epochen oder aus einer gewissen Kategorie spielen oder sich anhören.

Wollen Sie damit sagen, daß die moderne Musik gemieden wird?

Oft hören die Leute nicht so gern die ernste moderne Musik. Dem menschlichen Gemüt gefällt eher das, was es schon kennt, als daß es weiß, was ihm gefällt. Die mangelnde Bereitschaft, sich etwas Ungewohntes anzuhören, kann sehr einengen.

Es gibt heute eine Menge moderner Musik. Höchstwahrscheinlich wird nicht alles davon in den kommenden Jahren noch bekannt sein. Ich glaube, nur die Musik wird weiterhin gespielt werden, die sowohl die intellektuellen wie auch die gefühlsbetonten Elemente unseres Lebens vereinigt. Und das ist im wahrsten Sinne „der Rhythmus des Kopfes und des Herzens”.

Alle großen Komponisten der Vergangenheit wußten über Form, Aufbau und Grundriß Bescheid, aber sie drückten mit ihrer Musik auch Gefühle aus, die allen Menschen überall vertraut sind. Und ich meine, dasselbe muß auch für die Komponisten unserer Zeit gelten.

Bei jedem Musikstück, ganz gleich, aus welcher Epoche, versuche ich mich von dem zu lösen, was man vielleicht die rein traditionelle Interpretation nennen könnte, und lese die Partitur so, als ob sie gestern geschrieben worden wäre, als spielte ich das Stück zum erstenmal. Ich versuche, zu verstehen, was den Komponisten dazu veranlaßt hat, das Stück so zu schreiben, wie er es geschrieben hat, und mir klarzumachen, daß dasselbe göttliche Gemüt, das den Komponisten inspirierte, das Gemüt ist, das wir heute haben; denn ein Grundgedanke des Monotheismus, der Christlichen Wissenschaft, ist der, daß es nur einen unendlichen Gott gibt und daß dieser Gott die Quelle aller unserer Talente ist, aus der für uns alle der „Rhythmus des Kopfes und des Herzens” fließt.

war viele Jahre Töpferin, ehe sie sich ganz der öffentlichen Ausübung der Christlichen Wissenschaft widmete. Sie interessiert sich weiterhin sehr für die Kunst, ein Interesse, das sie mit ihrem Mann, einem Bildhauer, teilt.

In welcher Beziehung steht für Sie die Christliche Wissenschaft zur Kunst im allgemeinen?

Die Christliche Wissenschaft hat einen stabilisierenden Einfluß, weil sie den Egoismus bekämpft. Man wird sich bewußt, daß man diese Arbeit nicht aus sich selber tut, und Temperamentsumschwünge spielen keine so große Rolle mehr. Die Christliche Wissenschaft gibt einem Trost, wenn man nicht so recht vorankommt. Wenn man nicht länger auf das schaut, was nach eigener Ansicht geschehen oder auch nicht geschehen sollte, und statt dessen um Gottes Führung nachsucht, ist das eine große Hilfe. Die Christliche Wissenschaft stärkt unser Vertrauen in die Individualität des Menschen und seinen Daseinszweck, der darin besteht, Gott auszudrücken.

Es ist sehr aufregend, wenn man eine erste Idee von dem hat, was man schaffen oder tun will. Dann folgt die schwierige Aufgabe, sie in eine greifbare Form umzusetzen. Gerade wenn man denkt: „So, jetzt hab ich's geschafft”, muß man sich oftmals noch tiefer in diese Aufgabe hineinknien. Man muß noch weiter vordringen, und es eröffnet sich einem eine völlig neue Dimension, die einem nicht einmal im Traum eingefallen wäre oder über die man bislang noch nicht nachgedacht hatte.

Mein Mann spricht oft von dem langwierigen, einen ganz in Anspruch nehmenden Weg bis zur Fertigstellung einer Skulptur. Man muß die Arbeit lieben, jeden Zentimeter des Weges.

Kunst ist nicht nur etwas, was Künstler, Maler, Tänzer oder Musiker tun. Im Grunde haben wir alle Anteil am Kunstgeschehen, denn wir finden die Elemente der Kunst, wie Ausgewogenheit und Form, überall vor. Sie können in einem Geschäftsbericht Gestalt annehmen. Sie kommen im Wohnraum zum Ausdruck, in der Gestaltung des Heims.

Für viele Menschen ist die ganz moderne Kunst völlig unverständlich. Manchmal konfrontiert sie den Betrachter mit Bildern, mit denen er sich lieber nicht auseinandersetzt. Wie hilft Ihnen die Christliche Wissenschaft, auf die beunruhigenden Elemente in der Kunst einzugehen?

Wenn man der Meinung ist, Kunst sollte nur etwas Angenehmes oder. .. Dekoratives sein, dann kann man natürlich aufgeschreckt werden. Wenn man aber erkennt, daß die Kunst unausweichliche Themen an die Oberfläche bringt, damit sie näher untersucht werden — Aspekte des Lebens, die sehr wohl unangenehm sein können und für die es nicht unbedingt eine einfache Lösung gibt —, so wird einem klar, daß uns die Kunst einen großen Dienst erweist.

Manche engagierte Künstler sagen: „Schaut her, hier ist ein Aspekt, den wir bedenken müssen: wie wir andere Menschen behandeln oder was wir in unserem Leben tun, das nicht gut ist.” Picasso malte „Guernica”, um gegen die Schrecken des Krieges zu protestieren. Sehr beunruhigend. Uns gefällt dieses Bild vielleicht nicht, aber es regt uns zum Nachdenken an. Mrs. Eddy sagt: „Die Zeit für Denker ist gekommen.” Ebd., S. vii.

Hat uns jemand auf etwas aufmerksam gemacht, dann müssen wir den nächsten Schritt tun, und der besteht in der Erkenntnis, daß die erlösenden Eigenschaften der göttlichen Liebe, ihre erlösende Macht, gerade dort gegenwärtig sind. Und wir müssen dann soviel Liebe aufbringen, daß wir darauf eingehen. Wir können uns nicht einfach nur unterhalten, beruhigen und besänftigen lassen und so weiter. Die Kunst stellt Forderungen an uns. Und darin sehe ich den Unterschied zwischen Unterhaltung und Kunst.

Besteht für Sie zwischen Ihren Erfahrungen als Künstlerin und Ihrer Tätigkeit auf dem Gebiet des geistigen Heilens eine Parallele?

Ja. Im Lauschen. Der Dichter, der Bildhauer, der Komponist lauscht darauf, was er sagen soll und wie er es sagen soll. Da jedes Kunstwerk ein Abenteuer ist, etwas, was noch nie zuvor unternommen wurde, befindet sich der Künstler voll innerer Erwartung auf der Suche nach einem neuen Klang, einer neuen Form.

Der Heiler lauscht ebenso erwartungsvoll. Er öffnet sein Denken der unmittelbaren Gegenwart und Macht Gottes und weist die begrenzenden Einflüsterungen des Bösen zurück. Jeder Mensch ist so einzigartig wie ein Gedicht, und jede Heilung ist so, als ob man für diesen Menschen ein Gedicht entdeckte.

Beide — Künstler und Heiler — müssen unbedeutende, begrenzte Interessen den universalen Interessen unterordnen. Wenn uns ein Kunstwerk anspricht, so werden wir nicht so sehr von dem Gemälde, dem Konzert oder dem Ballett berührt, sondern von der bewegenden Kraft, die dahintersteht. Beim Heilen ist diese treibende Kraft der Christus. In Wissenschaft und Gesundheit wird sie wie folgt beschrieben: „Christus ist die wahre Idee, die das Gute verkündet, die göttliche Botschaft von Gott an die Menschen, die zum menschlichen Bewußtsein spricht.” Ebd., S. 332.

Die Radiererin und Malerin studierte Kunst in London und Paris. Ihre Werke befinden sich in zahlreichen privaten und öffentlichen Sammlungen, so zum Beipiel im „British Museum” in London, im „Museum of Modern Art” in New York und im „Museum of Fine Arts” in Boston.

Wie sehen Sie die Beziehung zwischen Christentum und Kunst?

Ich komme immer mehr zu der Erkenntnis, daß wir im letzten Teil des 20. Jahrhunderts die traditionelle Vorstellung aus den Augen verloren haben, daß die Kunst ein Ausdruck der Gnade ist. Von dem Gesichtspunkt aus betrachtet, daß die Kunst ein Ausdruck der Gnade ist, nähert man sich ihr nicht mit dem Gedanken des reinen Geldverdienens oder des persönlichen Erfolgs, sondern man versucht etwas auszudrücken, was einem selbst und der Menschheit viel bedeutet.

Ich glaube, zum Christentum gehört das Streben — das Streben, geistige Eigenschaften zu verkörpern, Liebe zu verkörpern, Unschuld, Reinheit, Intelligenz, Freude, Gottähnlichkeit. Das herausragende, das höchste Beispiel hierfür ist das Leben Christi Jesu. Ich glaube, wenn man wirklich danach strebt, diese Eigenschaften, die ihren Ursprung in Gott haben, auszudrücken, dann werden sie ganz natürlich in die eigene Arbeit einfließen.

Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einer sehr guten Freundin unserer Familie, der wundervollen Künstlerin Winifred Nicholson. Sie war eine ausgezeichnete Malerin, und ihre Werke haben eine ganz besonders starke geistige Ausstrahlung. Sie sagte, es gebe nichts Schlimmeres als das Produzieren „geistiger” Kunst. Ein Werk muß wie von selbst entstehen. Es muß aus dem Wesen des Künstlers hervorgehen.

Sie stellen also eine Verbindung her zur Geistigkeit, die in fast jedem Lebensbereich zum Ausdruck kommt.

Genau. Unsere Gedanken über die Welt, über unseren Nächsten, über unsere Familie müssen ein ganzheitliches, nahtloses Gewand bilden. Wir können unser Leben nicht in Fächer unterteilen: eins für die Arbeit, ein anderes für die Familie oder andere zwischenmenschliche Beziehungen usw. Ich glaube, wenn wir erkennen, daß es ein Gemüt gibt, wenn uns klarer wird, daß alles Gute von dieser einen Quelle ausgeht — je besser wir das verstehen, um so mehr Harmonie erleben wir in jedem Bereich unseres Lebens und um so größere Freude haben wir.

Hat aus Ihrer Sicht die Disziplin des Gebets etwas mit dem schöpferischen Prozeß zu tun?

Das glaube ich schon. Das Gebet und das Streben danach, die Gedanken vom eigenen Selbst abzuwenden, wirken sich nachhaltig auf die eigene Arbeit aus. Diese Wirkung kann nur so beschrieben werden, daß wir das, was wir zu tun versuchen, mit größerer Freiheit angehen. Ich fange morgens immer mit Studium und Gebet an, und wenn ich während dieser frühen Morgenstunden größere Klarheit erahne, läuft mir die Arbeit im Studio viel leichter von der Hand. Ich glaube, unsere Beschäftigung mit geistigen Dingen und unsere anderen Tätigkeiten, was immer diese auch sein mögen — ganz bestimmt aber im kreativen Bereich —, unterstützen sich tatsächlich gegenseitig, besonders wenn wir der geistigen Arbeit den Vorrang geben.

Mrs. Eddy spricht von Gestalt, Farbe und Umriß auf geistiger Ebene.. .

Gestalt, Farbe, Umriß, Substanz, ja, all die Eigenschaften und Elemente eines Kunstwerks — man kann sie schon auf gewisse Weise „abstrakt” nennen, aber sie müssen konkret sein. Sie müssen etwas sein, was wir begreifen und verstehen können. Und ich glaube, wir können sie nur deshalb begreifen, weil sie tatsächlich zuerst in uns existieren. Das heißt, wir besitzen bereits die Fähigkeit, sie zu erfassen.

Mir haben Mrs. Eddys Ausführungen über Seele als Synonym für Gott die größten Erkenntnisse über den kreativen Prozeß vermittelt. Wir bringen Seele oft mit Schönheit in Verbindung, aber dann muß man noch einen Schritt weitergehen und sich fragen: Was bedeutet Seele wirklich? Meiner Meinung nach schließt die Beziehung, die zwischen Seele und ihrer Idee, dem Menschen, besteht, die absoluteste und vollkommenste Beziehung von allem ein — die Beziehung der Elemente zu einem Ganzen, die Beziehung der Farben zueinander. Ein Kunstwerk entsteht ganz natürlich aus unserem Ringen, geistig zu wachsen.

Ich glaube, je mehr man sich mit der Christlichen Wissenschaft befaßt, um so mehr nimmt man die Welt vom Standpunkt der Ideen wahr, und das bringt sofort eine ungeheure Befreiung — sowohl für die Richtung der Kunst wie für die Freude an der Kunst, denn man ordnet die darstellende Kunst und die abstrakte Kunst nicht in Kategorien ein. Beide weisen auf Ideen hin. Und das Wort Idee wird bedeutungsreicher, wenn es im christlich-wissenschaftlichen Zusammenhang benutzt wird. Die Idee wird durch und durch eine ganz konkrete Größe, und eine Idee kann Farbe, Gestalt, ja all die Eigenschaften annehmen, die man mit Kunst in Verbindung bringt.

Wenn ich mit meiner Arbeit an einem Bild nicht vorankomme, finde ich den Gedanken, der uns in der Christlichen Wissenschaft gelehrt wird, sehr hilfreich, nämlich daß Ideen nicht fragmentarisch sind. Ideen sind vollständig. Wenn man also ringt, weil ein Werk noch fragmentarisch zu sein scheint, und man dann über die Tatsache nachdenkt, daß eine Idee vollständig ist, hält man zunächst inne und lauscht. Ich habe immer wieder festgestellt, daß dann das vollständige Konzept deutlich wird, es im Denken auftaucht, und, wenn man so will, es vollständig gekleidet ist. Und das Großartige ist, daß man nicht aufgibt.

Könnte man somit vielleicht sagen, daß Vergeistigung des Denkens ebenso mit Kunstverständnis wie mit dem Schaffen eines Kunstwerks zu tun hat?

Ganz bestimmt, denn ich glaube, daß uns die Vergeistigung des Denkens über materielle Kategorien hinausführt. Gerade das macht uns ja innerlich so wunderbar frei. Man sieht die Dinge vom Standpunkt der Ideen aus, und wir schätzen dann vielleicht den Beitrag des einzelnen auch höher ein.

ist zweite Geigerin im „Boston Symphony Orchestra” und gehört dem Lehrkörper der „New England Conservatory of Music Preparatory School” an. Sie ist schon viele Jahre in einer Zweigkirche tätig, insbesondere in der Sonntagsschule und im Musikkomitee.

Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen der Religion und Ihrer eigenen künstlerischen Tätigkeit?

Man sagt immer, daß Musik eine universelle Sprache sei, und davon bin ich überzeugt. Ich glaube, sie ist eher eine Sprache des Geistes als der Materie. Viele große Komponisten des 16., 17., 18. und 19. Jahrhunderts haben anerkannt, daß Gott die Quelle ihrer Inspiration war. An das Ende ihrer Kompositionen schrieben sie gewöhnlich „Laus Deo”, was soviel bedeutet wie „Gelobt sei Gott”. Beethoven tat es, auch Brahms. Mozart beschreibt die Inspiration als etwas, was über sein Fassungsvermögen weit hinausging. Wenn sich der Interpret diese geschichtlichen Tatsachen vor Augen hält, ist ihm klar, daß er sich um Inspiration an Gott wenden muß, damit er das interpretieren kann, was der Komponist vernommen hat.

Hat es jemals zwischen Ihrem Engagement als Christliche Wissenschafterin und Ihrer künstlerischen Tätigkeit Spannungen gegeben?

Eigentlich nicht. Ich finde, daß meine künstlerische Entwicklung parallel zu meiner Entwicklung als Christlich Wissenschafterin verläuft und daß mir meine künstlerische Arbeit durch die Christliche Wissenschaft viel leichter fällt, ja, bisweilen mühelos ist. Und darin liegt die Freude. Es ist interessant, wie beides miteinander zusammenhängt. Wie Sie wissen, sagt man, daß man das Geigenspiel üben muß; auch in der Christlichen Wissenschaft „üben” wir. Da besteht ein wichtiger Zusammenhang.

Sehen Sie eine Beziehung zwischen dem Heilen und der Kunst?

Nun, vielleicht sollte ich einen Vorfall erwähnen, der sich vor einigen Jahren an dem Tag ereignete, als ich beim „Boston Symphony Orchestra” vorspielten sollte. Ich hatte gerade das Studium der Bibellektion Im Vierteljahrsheft der Christlichen Wissenschaft. beendet und war in meinem Studio, um mich auf der Geige einzuspielen. Ich hatte die Übungen sehr sorgfältig geplant; den ganzen Vormittag über und bis in den Nachmittag hinein wollte ich immer schwierigere Stücke spielen, ehe ich zum Vorspielen ging. Und nun klingelte das Telefon. Es meldete sich eine meiner Sonntagsschülerinnen. Unter Tränen sagte sie mir, sie habe körperliche Beschwerden. Sie bat mich, für sie zu beten. Im ersten Moment dachte ich: „Aber nein, das geht nicht — ausgerechnet heute!” Aber sie brauchte sofort Hilfe. Und so sagte ich schnell: „Natürlich werde ich für dich beten.” Und das tat ich dann auch.

Ich empfand sehr viel Liebe für dieses Mädchen. Und als ich für sie betete, wurde mir plötzlich klar,daß die Arbeit, die ich für sie tat, auch mir galt. Das rüttelte mich doch ziemlich wach, denn ich hatte dabei überhaupt nicht an mich gedacht. Es gab dem Ganzen so viel Auftrieb, daß ich an jenem Nachmittag, als ich zum Vorspiel fuhr, das Gefühl hatte, auf Wolken zu schweben. Mein Violinspiel war von Selbstlosigkeit und Freude getragen. So viel Freiheit kam darin zum Ausdruck. Es zeigte sich keine Furcht, keins der üblichen Symptome der Anspannung oder des Lampenfiebers.

Diese Schülerin hatte angerufen und Hilfe erwartet. Und ich dachte einfach: „Wenn ich ihr helfen kann, dann werde ich es auch tun.” Sie war schnell geheilt. Darin wird für mich etwas sehr Kostbares deutlich über die Beziehung zwischen inspirierter musikalischer Darbietung und Heilung.

Ich glaube, in der Kunst sind die Eigenschaften der Seele von höchster Bedeutung. Doch bisweilen erscheinen sie uns sehr materialisiert, als Person, Sinnlichkeit usw. Das Schöne an diesem Erlebnis war: Die Sinne der Seele hatten wirklich die Oberhand, und die materiellen Sinne waren völlig zum Schweigen gebracht worden.

Was halten Sie von der Auffassung, daß zum Musizieren Begabung gehört, daß einige diese Begabung haben, andere aber nicht?

Meine Beobachtung ist die, daß der eine oder andere schneller den Rhythmus oder die richtige Tonhöhe erkennt als andere. Aber es ist für mich immer wieder faszinierend, was dabei herauskommt, wenn man ein Kind liebevoll unterrichtet. Es ist erstaunlich, was mit Liebe erreicht werden kann. Die Schüler erfassen so die Grundelemente der Musik um einiges schneller als vielleicht unter anderen Umständen. Der Lehrer hat da eine ganz wichtige Aufgabe. Ganz entscheidend ist, was der Lehrer sieht — ob er ein Kind mit Begrenzungen oder ohne Begrenzungen sieht.

Im Unterricht versuche ich schon früh herauszufinden, welcher Religion der Schüler angehört, und ist er religiös gebunden, so baue ich darauf auf. Ich erkläre dem Schüler: „Das ist ein Geschenk, das dir Gott gegeben hat, du mußt es entwickeln und es Ihm mit Dank zurückgeben.”

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