Erst als meine Kinder erwachsen und verheiratet waren, erlebte ich, was ich als mein erstes richtiges Osterfest betrachte. Ich kann mich daran erinnern, wie ich als Kind auf den Schoß meiner Mutter kletterte und Tränen der Traurigkeit vergoß bei dem Gedanken, daß der liebevollste Mensch auf Erden gekreuzigt worden war. Es schien so ungerecht.
Meine Mutter drückte mich an sich und erklärte mir, daß das nicht die ganze Osterbotschaft sei. In der Christlichen Wissenschaft sehen wir zu dem auferstandenen Christus auf und freuen uns, daß Jesus auf eine den Menschen verständliche Weise bewies, daß das Leben nicht in der Materie oder im Körper ist, sondern in Gott.
Es half mir, das zu hören, aber trotzdem schlich sich jedesmal, wenn die Osterzeit nahte, eine gewisse Traurigkeit ein. Der Durchbruch kam, als ich einmal mit einem physischen Problem kämpfte, das mir das Gehen erschwerte. Mein Mann und ich hatten geplant, am Ostersonntag zur Kirche zu gehen und anschließend liebe Freunde zu besuchen. Ich freute mich auf diese beiden schönen Ereignisse.
In der Nacht vorher fand ich keinen Schlaf. Um ungefähr vier Uhr morgens stand ich auf und studierte die Bibellektion Aus dem Vierteljahrsheft der Christlichen Wissenschaft., die später an jenem Morgen in der Kirche gelesen wurde. Zweifel, ob ich überhaupt in die Kirche gehen, geschweige denn unsere Freunde besuchen könne, versuchten sich in mein Denken zu drängen. Und es kostete mich wirklich Mühe, diese Zweifel zurückzuweisen.
Tief im Innern wußte ich, daß der physische Zustand und die Schmerzen nicht von Gott stammten. Es waren Täuschungen — ohne Grundlage und ohne Ursache. Aber als ich zu studieren versuchte, schienen die heilenden Botschaften auf den Seiten vor mir nur Worte zu sein. Dennoch las ich weiter. Ich wußte: Wenn der Wunsch da ist, die Wahrheit zu verstehen, tut sich einem der Weg auf, das göttliche Gesetz des Heilens zu erkennen. Dieser Wunsch ist Gebet. Schließlich durchbrach ein Satz aus der Bibel die Düsterkeit: „Seid stille und erkennet, daß ich Gott bin!“ Ps 46:11.
Eine einfache Botschaft wie diese ist manchmal — besonders wenn der Körper der Mittelpunkt sein will — gerade das, was wir am meisten brauchen. Als ich still wurde, kam mir die Idee, all die Dinge aufzuzählen, für die ich dankbar war. Ich begann langsam, aber wie das Licht der Morgendämmerung, das die Dunkelheit draußen vertrieb, kam ich in Fahrt. Es gab so vieles, wofür ich dankbar sein konnte! Und mit der aufgehenden Sonne dämmerte mir der höchste Anlaß: die Auferstehung!
Dankbarkeit bereitete den Weg, aber die Heilung kam mit der Erkenntnis, daß die Auferstehung, deren wir gedenken, von der ganzen Menschheit erfahren werden muß. Dazu zählte auch ich! Das Beispiel, das Christus Jesus durch seine Kreuzigung und Auferstehung gab, war sowohl eine lehrreiche Lektion als auch die Verheißung, daß wir selber fähig sind, uns über jede Vorstellung zu erheben, daß Materie oder Tod wirklich sei. Dieselbe heilende Kraft der Wahrheit und Liebe, die Jesus aus dem Grab befreite — der belastenden, falschen Vorstellung, daß das Leben von der Materie geschaffen und beherrscht werde —, war jetzt gegenwärtig, um mich von jeder Einschränkung hinsichtlich Bewegung, Freude, Nützlichkeit oder geistigen Wachstums zu befreien.
Bislang hatte ich die Auferstehung immer nur als Symbol dafür betrachtet, daß das Denken zu einem geistigeren Verständnis von Gott als Leben emporgehoben wird — etwas, was Christus Jesus getan hatte, um zu beweisen, daß es getan werden konnte, Indem ich jetzt die Verbindung zu meinem eigenen Leben herstellte, wurde die Auferstehung für mich zu einer neuen Realität.
Es mag hilfreich sein, wenn wir uns immer wieder fragen: Versuche ich einfach, als Trittbrettfahrer an Jesu Demonstration des ewigen Lebens teilzunehmen? Oder lerne ich daraus, und folge ich heute Jesu Lehren? Die Wahrheit, daß Gott und der Mensch untrennbar sind, führt unser Denken zurück zu der einen und einzigen Quelle und Voraussetzung der Existenz — zu Gott, dem göttlichen Leben. In dem Maße, wie wir diese fundamentale Wahrheit anerkennen und ihr gemäß leben, löst sich die Lüge auf, daß Leben und Intelligenz in der Materie sind, und der Weg wird geebnet für unser stetiges, geistiges Wachstum.
Ich dachte außerdem darüber nach, daß die Auferstehung auch individuell ist. Obwohl die Apostel Zeugen von Jesu Kreuzigung und Auferstehung waren, mußten sie doch ihre eigene Arbeit tun, geradeso wie wir sie zu tun haben. Und jene drei Tage im Grabe waren nicht passiv. Sicherlich betete unser Erlöser und überwand die letzten sterblichen Lehren und Annahmen, die mit seiner Kreuzigung und dem scheinbaren Tod zu tun hatten. Indem Jesus sich an seinen Vater-Mutter Gott wandte, seinen Ursprung des Lebens, und allein mit Ihm arbeitete, bereitete er sich auf seine endgültige Erhebung über alle Materialität und Sterblichkeit vor und bewies so, daß die Auferstehung ein fortlaufender Prozeß für uns alle ist.
Auferstehung erfolgt, wenn wir in Gedanken an der Wahrheit über unser Sein festhalten — an der Realität unseres vollkommenen, geistigen Lebens hier und jetzt. Durch mein eigenes Erlebnis erkannte ich schließlich die Unvermeidlichkeit dessen, was in jenen letzten Tagen geschah, die Jesus auf der Erde verbrachte. Das Lehrbuch der Christlichen Wissenschaft, Wissenschaft und Gesundheit von Mary Baker Eddy, beschreibt es folgendermaßen: „Die christliche Erfahrung lehrt den Glauben an das Rechte und die Verwerfung des Unrechten. Sie heißt uns in Zeiten der Verfolgung ernstlicher arbeiten, weil dann unsere Arbeit nötiger ist.“Wissenschaft und Gesundheit, S. 29.
Der fleischliche, sterbliche Gedanke, der Christus verfolgte und ihm Widerstand leistete, stellte praktisch jedes Unrecht zur Schau, das in der menschlichen Erfahrung bekannt ist — von Haß und Ungerechtigkeit bis zu physischen Schmerzen. Ohne Jesu entscheidenden Sieg über all das hätten seine Jünger nicht die heilende Wahrheit in seinen Lehren mit ihrem eigenen Leben in Verbindung bringen können. Sei benötigten diese Brücken, und Christus Jesus gab sie seinen Jüngern und uns — ja, der ganzen Menschheit.
Welch einen Liebesdienst erwies uns der Heiland, indem er zeigte, daß jede Art und jedes Stadium der sterblichen Behauptung über den von Gott erschaffenen Menschen und über Gottes Universum unwirklich und machtlos ist. Christus Jesus lehrte und bewies, daß ein liebevoller Gott die populären Götzen von gestern und heute — Sünde, Krankheit und Tod — weder schafft noch unterstützt. Hätten diese irgendeinen göttlichen Rückhalt oder eine Verbindung zu Gott, dann hätte Sein geliebter Sohn sie niemals heilen können.
„Den Glauben an das Rechte und die Verwerfung des Unrechten“ gewinnt man nicht so leicht, wenn die materiellen Sinne fortwährend Bilder der Sterblichkeit und Unvollkommenheit an uns vorüberziehen lassen. Wir müssen daher arbeiten, wie Jesus es tat. Wie packen wir nun das Problem der Auferstehung an — dieses Emporheben der Gedanken im geistigen Verständnis und die Anerkennung unserer gottgegebenen Herrschaft?
Der Pastor der Christlichen Wissenschaft — die Bibel und Wissenschaft und Gesundheit — ist eine unentbehrliche Hilfe. Das tägliche, systematische Studium dieser Bücher vermittelt uns die Wahrheit des Seins; es offenbart uns, was richtig ist; es gibt uns das nötige Vertrauen und löst den Glauben an das Unrechte auf. Sachverständige zur Aufdeckung von Fälschungen studieren die Originale, um erkennen zu können, was nicht authentisch ist. So müssen auch wir uns auf unserer geistigen Reise vorwärts auf die göttliche Wirklichkeit konzentrieren — auf das, was Gott schafft, auf den geistigen Menschen, der gut und vollkommen ist. Wenn wir das tun, werden wir das Gott Unähnliche und das Unwirkliche erkennen und es aufgeben können und dadurch mehr Harmonie in die menschliche Erfahrung bringen.
In dem Kapitel „Fußtapfen der Wahrheit“ in Wissenschaft und Gesundheit gibt Mrs. Eddy uns die folgende Ermutigung: „Wenn wir geduldig auf Gott harren und die Wahrheit in rechtschaffener Weise suchen, dann lenkt Er unseren Pfad. Die unvollkommenen Sterblichen erfassen das Endziel der geistigen Vollkommenheit nur langsam; aber richtig anfangen und in dem Ringen um die Demonstration des großen Problems des Seins ausharren heißt viel vollbringen.“ Ebd., S. 254. Die Auferstehung ist offensichtlich ein Prozeß, der schrittweise vor sich geht. Aber wie wichtig ist es doch, den ersten Schritt zu tun — und dann weiterzugehen!
Mein „erstes Osterfest“ dauert an und ebenso meine Auferstehung. Die physische Heilung trat ein, so daß ich an jenem Ostersonntag zur Kirche gehen und unsere Freunde besuchen Konnte. Und mehr noch: Die „österliche Traurigkeit“ ist nie wieder aufgetreten. Jedesmal wenn wir irgendeine Form des falschen Anspruchs von Leben in der Materie durchbrechen und einen Schimmer von der geistigen Wirklichkeit erhaschen, haben wir einen weiteren wichtigen Schritt getan. Und jeder Schritt ist eine Art Auferstehung; er bringt uns der endgültigen Erhebung über alle materiellen Annahmen und Bedingungen immer näher.
