Vor einigen Jahren machte der Lehrer eines Kommunikationsseminars, an dem ich teilnahm, eine für mich damals überraschende Aussage. Er sagte, wir sollten unser Glück nie von den Erwartungen abhängig machen, die wir an das Verhalten anderer stellen. Es sei besser, sich mit dem eigenen Verhalten auseinanderzusetzen. Darüber nämlich hätten wir Kontrolle!
Als Christlicher Wissenschafter war ich von der Weisheit dieses Ratschlags beeindruckt. Mir kam sofort die biblische Ermahnung „Schaffet, daß ihr selig werdet, mit Furcht und Zittern” Phil 2:12. in den Sinn, oder wie es nach der King-James-Bibel heißt: „Arbeitet eure eigene Erlösung aus”. Wenn ich annähme, mein Glück beruhe auf den Handlungen anderer, dann bräche ich das Erste Gebot. Ich würde mich der eigenen Verantwortung entziehen und mich in fremde Angelegenheiten einmischen.
„Du sollst keine anderen Götter haben neben mir [Gott]” 2. Mose 20:3., heißt es in dem Gebot. Diese einfache Direktive schließt den ganzen Bereich menschlichen Denkens und Verhaltens ein. Wenn wir glauben, wir könnten nur glücklich sein, wenn andere sich so verhalten, wie wir es wünschen, dann machen wir uns in bezug auf unser Wohlergehen von einer Person abhängig — von etwas anderem als Gott. Wenn sich das Verhalten dieser Person ändert und sich unseren Erwartungen anpaßt, haben wir ein falsches (und vorübergehendes) Glücksgefühl; wenn das Verhalten aber unseren Vorstellungen nicht länger entspricht, fühlen wir uns unseres Glücks beraubt. Und doch ist Gott die ständige Quelle alles Guten für uns.
Zu erwarten, daß es irgend etwas Gutes gibt, das nicht von Gott herstammt, heißt zu glauben, daß Seine ewige Allmacht eingeschränkt worden ist oder werden kann. In Wirklichkeit gibt es keinen Moment, in dem uns nicht Seine ewige Güte zuteil wird. Um dieses Gute zu erfahren, müssen wir allerdings aufhören, es in Dingen und Menschen zu suchen, und müssen es aus seiner unendlichen Quelle, Gott — der göttlichen Wahrheit und Liebe — entgegennehmen.
Wenn wir Glück von einer Person erwarten und sie ihr Verhalten tatsächlich unseren Wünschen entsprechend ändert, könnten wir bald wieder unzufrieden werden und uns neuerliche Änderungen wünschen. Wir mögen sogar stolz darauf sein, daß wir diese Änderung bewirkt haben, und anfangen zu glauben, daß wir andere dominieren oder ihr Verhalten bestimmen könnten. Wenn wir solche Gedanken beherbergen, setzen wir uns in der Tat mit Gott gleich und brechen das mosaische Gebot auf eine weitere Art. „Glück ist geistig, aus Wahrheit und Liebe geboren” Wissenschaft und Gesundheit, S. 57., schreibt Mrs. Eddy in Wissenschaft und Gesundheit. Glück aus einer sterblichen Quelle gewinnen zu wollen ist ein Fehler.
Paulus’ Ermahnung, daß wir unsere eigene Erlösung ausarbeiten sollen, bedeutet nicht, daß wir eine egoistische Haltung einnehmen, sondern daß wir die Verantwortung für unser Denken und Handeln übernehmen sollen. Und aufgrund unserer wahren Beziehung zu Gott als Seinem geistigen Kind — der Beziehung zwischen dem göttlichen Gemüt und seiner geistigen Idee, dem Menschen — sind wir in der Lage, dies freudig zu tun. Die Einflüsterung, daß das Glück sich unserer Kontrolle entziehe oder durch die Handlungen anderer eingeschränkt werden könne, würde bloßes Wunschdenken an die Stelle von Gebet setzen. Kaum etwas hat weniger mit wahrem Gebet zu tun.
Hegen wir Gedanken wie „Wenn er sich doch nur entschuldigen würde. . .” oder „Wenn sie doch wenigstens mit dem Rauchen aufhören würde. . .” oder „Wenn er mir nur geben würde, was mir zusteht. . ., dann wäre ich zufrieden“? Dann beten wir nicht. Wir beten den einen Gott nicht an und ehren Ihn nicht. Wir vergessen, unsere eigene Erlösung auszuarbeiten und schieben die Schuld für unseren Mangel an Frieden einem anderen in die Schuhe. Das ist egoistisch und verstrickt uns in ein Denken und Handeln, das das gerade Gegenteil von dem ist, was Christus Jesus gelehrt hat. „Wenn Selbstsucht dem Wohlwollen Raum gegeben hat”, schreibt Mrs. Eddy, „werden wir unseren Nächsten selbstlos betrachten und die segnen, die uns fluchen; wir werden jedoch dieser großen Pflicht niemals gerecht werden, wenn wir bloß um deren Erfüllung bitten.” Ebd., S. 9.
Und schließlich führt uns der Wunsch, daß andere ihr Verhalten ändern mögen, oft dazu zu versuchen, diese Änderung herbeizuführen. Wir betteln und schmollen. Wir verhängen Sanktionen. Wir unterlassen es nicht nur, unsere eigene Erlösung auszuarbeiten, sondern wir unternehmen es auch noch, die eines anderen auszuarbeiten! Wenn es sich bei dem Betreffenden, den wir ändern wollen, um eins von unseren Kindern handelt, glauben wir uns oft im Recht, weil wir uns übertrieben für es verantwortlich fühlen. Aber es ist Gott, nicht wir, der Vater und Mutter des Menschen ist. Unsere Aufgabe ist es, unsere Kinder liebevoll zu lehren, wie sie auf Gott vertrauen und zwischen Gut und Böse unterscheiden können, und dabei müssen wir von egoistischen Motiven frei sein.
Das eigenwille Verlangen, daß andere ihr Verhalten ändern sollten, und der eigenwillige Versuch, die Handlungen anderer mit Worten oder im stillen zu beeinflussen, ist unzweifelhaft falsch. Ein solches Verhalten verletzt nicht nur die Privatsphäre eines anderen Menschen; es will uns auch glauben machen, der andere sei nicht wirklich das geistige Bild unseres Schöpfers, des einen Vater-Mutter Gottes. Mrs. Eddy schreibt: „Eine Ausnahme von der altbewährten Regel:, Kümmere dich um deine eigenen Angelegenheiten‘ ist selten.” Vermischte Schriften, S. 283.
Was tun wir also, wenn wir Gott unähnliches Benehmen bei jemandem feststellen? Ignorieren wir es? Sind wir hartherzig wie Kain, der fragte: „Soll ich meines Bruders Hüter sein?“ 1. Mose 4:9. Nein! Wir müssen um die Demut beten, wahrhaft lieben zu können und in dem Verständnis zu wachsen, daß wir und jeder andere Gottes vollkommenes, geistiges Kind ist. Diese Arbeit hat ihren Lohn. Denn indem wir unser Denken mit der göttlichen Liebe in Übereinstimmung bringen, überlassen wir die Herrschaft Gott, dem göttlichen Prinzip, und das Ergebnis ist unausweichlich Heilung und Glück.
Vor einigen Jahren bemerkte ich, daß ich einem Vorgesetzten gegenüber feindselige Empfindungen hegte. Es schien mir, als ob er mich und meine Gutmütigkeit ausnutzte, um ein größeres Projekt, mit dem ich beschäftigt war, zu Fall zu bringen. Ich war der Meinung, daß ich nichts Unrechtes getan hatte und daß mein Projekt sinnvoll war, aber nur Erfolg haben könnte, wenn er seine Haltung ändern und seine Bemühungen, meine Arbeit zu diskreditieren, aufgeben würde. Obwohl die Aussicht, daß er sich ändern würde, sehr gering war, schien das meine einzige Hoffnung zu sein.
Nachdem einige Monate vergangen waren, ohne daß eine Besserung eingetreten wäre, begannen andere, mich auf die Situation anzusprechen. Bei diesen Gesprächen bemerkte ich, daß ich diesen Mann vieler Dinge beschuldigte. Als ich wieder einmal in meinem Büro saß und über die Angelegenheit nachgrübelte, hörte ich mich diese Anschuldigungen wiederholen und wurde mir bewußt, wieviel Groll ich gegen ihn hegte. Ich gründete mein Glück auf das Verhalten eines anderen! Ich begann, die Sache von einem christlich-wissenschaftlichen Standpunkt aus zu durchdenken. Als ich meine Gedanken darauf richtete, meine eigene Erlösung auszuarbeiten — den Groll in meinem Denken zu heilen —, und erkannte, daß die einzige Quelle meines Glücks Gott war und daß daher der Erfolg des Projekts allein in Gottes Hand lag, war ich schnell von den negativen Empfindungen geheilt.
Fast augenblicklich bot sich mir die Gelegenheit, diesem Vorgesetzten in einer anderen Angelegenheit zu helfen. Obwohl er diese und einige weitere Versuche zur Kooperation zurückwies, gab ich, ermutigt durch die Heilung, die ich erlebt hatte, nicht auf. In einem Zeitraum von mehreren Monaten hörte das ursprüngliche Problem einfach auf zu existieren, und neue gemeinsame Projekte traten an die Stelle der alten. Es entwickelte sich ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen uns und ein gegenseitiges Gefühl der Wertschätzung für die beruflichen Leistungen des anderen.
Was ich aus dieser Erfahrung gelernt habe, segnet mich und die, die mit mir leben und arbeiten, noch immer. Mrs. Eddy schreibt in ihrem Buch Rückblick und Einblick: „Nicht selten werden die Opfer, die wir für andere gebracht haben, mit Neid, Undankbarkeit und Feindschaft erwidert, die ins Herz treffen und seine Güte zu lähmen drohen. .. Die klare Erkenntnis, daß die Bilder des menschlichen Glücks in stetem Wandel begriffen und die sterblichen Erwartungen trügerisch sind — eine Erkenntnis, wie sie mich zuerst zu den Füßen der Christlichen Wissenschaft führte —, scheint auf jeder Stufe des Fortschritts erforderlich zu sein.” Rückbl., S. 80. Glück ist göttlich. Unsere Aufgabe ist es, auf dieser Basis aufrichtig und demütig danach zu streben.
