Ich Wuchs In einem Elternhaus auf, in dem viel Unfriede herrschte. Meine Mutter, die sich ernsthaft mit der Christlichen Wissenschaft befaßte, bemühte sich zwar ständig, christliche Eigenschaften wie Vertrauen, Tugendhaftigkeit, Geduld und Nächstenliebe zum Ausdruck zu bringen. Mein Vater aber verursachte großes Herzeleid in unserer Familie durch sein unberechenbares Verhalten; er war dem Alkohol verfallen und trank oft übermäßig.
Den größten Teil meiner Jugend bangte mir vor jedem neuen Tag. Zu der Angst gesellten sich oft Scham und Verachtung. Nach dem Tod meiner Mutter mußten mein kleiner Sohn und ich bei meinem Vater im Elternhaus wohnen. Obwohl das Trinken nachgelassen hatte, waren bei mir dennoch, wie man es heute bezeichnen würde, „seelische Narben" davon zurückgeblieben, daß mein Vater Alkoholiker gewesen war. Überdies war mein Vater nun oft mit einer jungen Frau zusammen, von deren Existenz wir schon lange vor dem Tod meiner Mutter gewußt hatten.
Die Umstände der Vergangenheit und Gegenwart bedrückten mich sehr. Ständig machten mir die Gefühle, die ich gegen meinen Vater hegte, zu schaffen, denn sie stimmten nicht immer mit dem überein, was ich durch mein Studium der Christlichen Wissenschaft über Gott und den Menschen lernte. Als die Jahre vergingen, erlebte ich manchmal Zeiten geistiger Inspiration, die mir großen inneren Frieden brachten. Doch damit war es vorbei, sobald mein Vater wieder sinnlos über die Stränge schlug.
Vor einigen Jahren konnte ich einige Aktivitäten aufgeben, um mich ganz darauf zu konzentrieren, Gott und meine eigene geistige Identität besser zu verstehen. Mein suchendes Gebet wurde durch die Gebete einer hingebungsvollen Ausüberin der Christlichen Wissenschaft unterstützt.
Es war unbedingt notwendig, daß ich meine Vorstellung von mir als Sterbliche, die schwer unter den Auswirkungen dieser emotionalen Mißhandlung zu leiden schien, gegen das Verständnis meiner ursprünglichen, unberührten, unschuldigen geistigen Individualität eintauschte. Dazu war die unablässige Bereitschaft erforderlich, beharrlich falsche Vorstellungen über den Menschen abzulegen und mein Denken auf die eine gute, schöpferische Intelligenz des Universums, das göttliche Gemüt, auszurichten.
Die innere Befreiung begann, als mir bewußt wurde, daß das, was in meinen Augen wie ein absichtlicher Versuch ausgesehen hatte, unsere Familie zu spalten, nicht auf böswilliger Absicht beruhte. Großes Mitgefühl erfüllte mich, und ich sah ganz klar, daß dieses ganze Szenarium nur auf Unwissenheit zurückzuführen war — auf die Unwissenheit über das echte Selbst des Menschen. Mein Vater und ich waren in Wirklichkeit immer durch die unbeirrbare Liebe unseres gemeinsamen Vater-Mutter Gottes verbunden gewesen.
Von da an wußte ich, daß keiner von uns beiden an die unintelligenten Behauptungen des materiellen Denkens — Erblichkeit, Minderwertigkeit, Schamgefühl — gekettet zu sein brauchte. Ich erfaßte bis zu einem gewissen Grade etwas von der folgenden tiefgehenden Erklärung unserer Führerin Mary Baker Eddy in den Vermischten Schriften: „Es wäre eine grausame Ungerechtigkeit, wenn ein unschuldiges Kind als lebenslänglich Leidender geboren würde, weil seine Eltern gefehlt oder gesündigt haben. Die Wissenschaft verwirft den Menschen als Schöpfer und entfaltet die ewigen Harmonien des einzig lebendigen und wahren Ursprungs, Gottes." Gebet und Studium haben mir dazu verholfen, daß ich meinen geliebten Vater jetzt mit ehrlichem, aufrichtigem Herzen umarmen und mit ihm sprechen kann.
Einige Monate später stellte ich fest, daß ich mich im Gegensatz zu früher nicht mehr unbehaglich fühlte, wenn ich bei geselligen Zusammenkünften mit meinem Vater und seiner Gefährtin zusammentraf. Nach einem mit vielen Familienunternehmungen angefüllten Wochenende kam mir der Gedanke: „Könntest du ihnen die Füße waschen — sie lieben, wie es uns Christus Jesus gelehrt hat?" Ohne Zögern konnte ich diese Frage bejahen.
Mit tiefster Demut berichte ich hier von dieser Erfahrung, denn nur die Immergegenwart der göttlichen Macht hat mein Denken so grundlegend umwandeln können. Und diese Macht steht der ganzen Menschheit zur Verfügung durch die wissenschaftlichen Regeln des Christentums, wie sie Mary Baker Eddy offenbart worden sind. Ich möchte von Herzen meiner lieben Mutter danken, die meine geistige Erziehung unermüdlich unterstützt hat, sowie den Lehrern in der christlich-wissenschaftlichen Sonntagsschule, die mir selbstlos den Weg gewiesen haben. Sehr dankbar bin ich auch für den großen Segen, der mir durch den Klassenunterricht in der Christlichen Wissenschaft zuteil geworden ist. Jeden Tag sage ich — und das oft: „Ich danke Dir, Vater-Mutter Gott." Und ich sage das aus tiefstem Herzen.