Ein Freund Von mir wohnt an einem Fluß, der jeden Winter zufriert. Das Eis wird so dick, daß man mit einem Lastwagen darüberfahren könnte. Wenn dann die Frühlingssonne die Erde langsam erwärmt, bekommt auch das Eis ihre Kraft zu spüren. Äußerlich scheint sich nichts zu verändern. Schaut man aber genauer hin, dann sieht man, daß die Eisdecke von feinen Rissen durchzogen ist.
Als dieser Freund einmal an einem Vorfrühlingstag am Flußufer stand, hörte er plötzlich lautes Knallen wie von Explosionen. Der Eisgang setzte ein. Innerhalb von Minuten geriet der ganze breite Fluß in Bewegung. Die Eisdecke, die fast einen halben Meter dick war, bäumte sich mit unvorstellbarer Gewalt empor und zerbrach. Riesige Eisschollen begannen sich flußabwärts zu schieben, krachten gegeneinander und bohrten sich an manchen Stellen tief in die Uferböschung. Mein Freund mußte höher hinaufklettern, um sich in Sicherheit zu bringen. Erstaunlicherweise war der Fluß nach eineinhalb Stunden fast frei. Das undurchdringliche Eis war verschwunden; nur ein paar große Brocken lagen hier und da am Ufer. Und obgleich der Fluß Hochwasser führte, floß er ruhig dahin.
Nicht immer geht das Tauen im Frühling so schnell und so dramatisch vor sich wie hier, aber es kommt. Allmählich taut das Eis und verschwindet.
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