Im Jahre 1941, während der Nazizeit, wurde in Deutschland die Kirche Christi, Wissenschafter, zusammen mit vielen anderen Kirchen verboten. Christliche Wissenschafter, Protestanten, Zeugen Jehovas, Mormonen sowie Angehörige verschiedener ethnischer Gruppen waren Verhören und Verfolgungen ausgesetzt. Einige kamen in Arbeits- oder Konzentrationslager. Millionen Juden verloren ihr Leben oder litten furchtbar unter den Grausamkeiten des Nazi-Regimes.
Nach der Befreiung Deutschlands fiel fast die Hälfte des Landes und der Stadt Berlin unter kommunistische Herrschaft. Mit einem Mal entstand eine neue Form der Unterdrückung. 1951 wurde die Christliche Wissenschaft in Ostdeutschland wieder verboten; man erklärte öffentliche Gottesdienste für illegal. Im August 1961 wurde dann innerhalb kürzester Zeit die berüchtigte Mauer gebaut, die Familien und Kirchengemeinden voneinander trennte.
Fast 40 Jahre lang wurden die Christlichen Wissenschafter daran gehindert, öffentliche Gottesdienste abzuhalten und ihre Religion auszuüben. Die Erfahrungen jener Jahre kommen jetzt ans Licht. Sie enthalten eine inspirierende Botschaft für die heutige Kirche — eine Botschaft, die intensiv leuchtet und nur an Bedeutung gewinnen kann.
aus Berlin, einem Beauftragten des Schriftführers Der Mutterkirche und Mitarbeiter der Herold-Redaktion.Wie alt waren Sie, als die Mauer gebaut wurde? Ich ging damals noch nicht lange aufs Gymnasium. Ich habe noch Erinnerungen an die Zeit vor der Mauer und erinnere mich natürlich an die gesamte Zeit, als die Mauer stand.
Welche unmittelbaren Auswirkungen hatte die Mauer auf Ihre Familie und Freunde? Da zwischen meinen Eltern und meinen Großeltern eine sehr enge Bindung bestand, besuchte ich meine Großeltern in Ost-Berlin mindestens zweimal in der Woche. Ich hatte auch viele Freunde in Ost-Berlin, obwohl ich in West-Berlin zur Schule ging. Ich kannte also viele junge Leute meines Alters, die im Osten wohnten.
Was empfanden Ihre Freunde angesichts der Mauer, Herr Seek? Da das alles so schnell geschah, hatten wir keine Gelegenheit mehr, uns zu verständigen. Fast zwei Jahre lang konnte ich nicht mit ihnen sprechen, und sie konnten nicht offen schreiben. Sie schickten nur Postkarten, in denen nicht mehr stand, als daß sie einen bestimmten Ort oder eine Gegend besucht hatten, die ich kannte, und sie bedauerten es, daß wir getrennt waren. Doch das konnten sie nur andeuten.
Mußten Mitglieder Ihrer Familie schwierige Entscheidungen treffen? Oh ja. Meine Großmutter, die Ausüberin der Christlichen Wissenschaft war, hütete zur Zeit des Mauerbaus unsere Wohnung, da meine Eltern und ich auf einer Reise durch die USA waren. Sie mußte sich innerhalb weniger Tage entscheiden, ob sie nach Ost-Berlin und in all die Unsicherheit dort zurückgehen oder in West-Berlin bleiben sollte. Wegen ihrer zahlreichen Patienten im Osten entschloß sie sich, dorthin zurückzukehren.
Sind sie und Ihre Familie als Christliche Wissenschafter dieser Herausforderung anders begegnet als andere es vielleicht getan hätten? Ja. Wir nahmen uns vor, keine Gedanken der Trennung zuzulassen. So strebten wir von Anfang an nach Kommunikation, die auf dem göttlichen Gemüt beruht und unabhängig ist von Dingen wie einem Telefon, das angezapft werden konnte, denn wir wußten, wie gefährlich das war. Doch wir spürten immer eine sehr klare Kommunikation und geistige Führung. Wir fühlten uns nie abgeschnitten. Es herrschte niemals Mangel, nicht einmal in bezug auf notwendige Informationen. Wir fanden immer einen Weg, wie wir einander die Informationen zukommen lassen konnten, die wir brauchten.
Sie sagten, daß Sie regelmäßig zu Ihren Großeltern nach Ost-Berlin fuhren. Ich weiß, daß Sie keine Angst hatten, aber Sie waren damals doch noch recht jung. War das nicht manchmal gefährlich? Ja, man könnte es als gefährlich ansehen, da ich sehr jung war und meine häufigen Fahrten nach Ost-Berlin aus der Sicht der DDR-Staatsorgane, die nur wenigen jungen Leuten die Einreise genehmigten, verdächtig erscheinen konnten. Aber ich betrachtete alles mit kindlicher Unschuld, und dadurch fiel es auch den DDR-Organen leichter, es zu akzeptieren. Und ich fühlte mich immer wie ein Botschafter des reinen Denkens. Ich war überzeugt, daß sie mich nicht aufhalten konnten, da ich aus rechten Motiven handelte und die Absicht, Familienmitglieder zu besuchen, eine sehr gute Absicht war. Die konnte ein so materialistisches Staatswesen nicht durchkreuzen.
Sie mußten auch praktische Vorkehrungen treffen, zum Beispiel durften Sie nicht Ihren eigentlichen Wohnort angeben. Ja, mit Hilfe von Freunden und der West-Berliner Polizei hatte ich einen falschen Paß erhalten, aus dem hervorging, daß ich aus Süddeutschland kam. Deshalb mußte ich den Namen einer dortigen Schule und ein paar Straßennamen kennen, für den Fall, daß ich nach meiner Schule in Bayern gefragt wurde. So mußte ich mir zur Sicherheit ein paar Dinge einprägen.
Es gab eine Reihe von Situationen, bei denen ich nach Einzelheiten gefragt wurde. Einmal bekam ich von der Volkspolizei einen Bogen mit ca. zwanzig Fragen im Quiz-Stil, auf dem ich gefragt wurde, wie die Hauptstadt von Italien heißt oder welches der längste Fluß in Frankreich ist. Zuerst dachte ich: „Na gut, wenn ich die Fragen beantworte, bin ich in fünf Minuten fertig und kann dann meinen Weg fortsetzen.“ Aber da ich mich mit Gott eng verbunden fühlte und gebetet hatte, um zu wissen, was zu tun sei, wurde mir plötzlich klar, daß ich die Fragen nicht beantworten sollte.
Als ich sie überflog, sah ich, daß eine der letzten Fragen lautete: „Wer ist Mary Baker Eddy?“ Alle übrigen Fragen bezogen sich auf etwas anderes. Und auf einmal erkannte ich, daß die anderen Fragen nur die eigentliche Absicht verbergen sollten, nämlich herauszufinden, was ich mit der Christlichen Wissenschaft zu tun hatte und ob ich mich zu dieser Religion bekennen würde. Als ich diese Frage sah, wußte ich, daß es richtig war, gar keine Frage zu beantworten. Ich sagte dem Grenzpolizisten, daß ich den Fragebogen nicht ausfüllen würde; außerdem sei ich hier nicht in der Schule, sondern ginge nur über die Grenze, um Ost-Berlin zu sehen.
Ich wußte nicht, welche Folgen mein Verhalten haben würde, aber ich war davon überzeugt, daß es richtig war, die Antworten auf die Fragen zu verweigern. Daraufhin wurde ich ohne weitere Erläuterungen in einen kleinen Raum gesperrt, wo man mich einige Stunden warten ließ. In dieser Zeit hatte ich Gelegenheit, zu beten und zu verstehen, daß mir nichts geschehen konnte, was ungerecht, unfair oder gefährlich war, da ich mich auf Gottes Fürsorge verlassen konnte. Und ich dachte an die Bibelstelle: „Laß dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“ Röm 12:21. Ich erkannte, daß ich Haß und schlechte Gedanken, die gegen die Menschen aus dem Westen gerichtet waren, überwinden mußte. Ich empfand großen Frieden in dieser Situation. Nach einigen Stunden kam ein Grenzpolizist herein und sagte: „Du kannst jetzt gehen und deine Reise fortsetzen.“ Der Fragebogen wurde nicht mehr erwähnt.
Sie haben auch andere Erfahrungen gemacht, bei denen erstaunlich deutlich wurde, daß die Wahrheit das Mächtigste war und Sie in der Tat frei machte. Es war mir immer bewußt, daß ich in West-Berlin wie auf einer Insel lebte, die völlig vom kommunistischen Regime umgeben war. Mir war klar, daß dieses materialistische System versuchte, den Menschen Angst zu machen. Wir wußten, daß sogar bei uns im Westen unser Telefon abgehört wurde. Ich merkte, daß mir immer ein Mann folgte, wenn ich morgens zur Schule ging. Ich mußte mit zwei verschiedenen Bussen fahren, und er war jedesmal mit im Bus. Er beobachtete mich, bis ich in der Schule war. Das wiederholte sich mehrere Wochen lang. Ich war ganz sicher, daß es sich bei dem Mann um einen DDR-Spion handelte, dessen Aufgabe es vermutlich war, mir Angst zu machen oder meine Eltern zu verunsichern.
Ich dachte daran, meinen Eltern davon zu erzählen, spürte jedoch den Schutz der göttlichen Liebe und wußte, daß Gott mir sagen würde, wie ich mich in dieser Situation am besten zu verhalten hätte. Mir war aufgefallen, daß der Mann seine Sache recht auffällig machte, und so beobachtete ich ihn täglich bis zu dem Tag, an dem ich wußte, daß ich am nächsten Morgen erst eine Stunde später als sonst zur Schule gehen würde. Plötzlich kam mir ein Gedanke, der mich zu einem ungewöhnlichen Verhalten veranlaßte. Ich drehte mich um, ohne daß ich es mir vorgenommen hatte, ging zu dem Mann hin und sagte: „Ich wollte Ihnen nur sagen, daß ich morgen erst zur zweiten Stunde zur Schule gehe. Sie brauchen hier also nicht um 7.30 Uhr auf mich zu warten.“ Er war so überrascht, daß er kein Wort herausbrachte. Ich merkte, daß er sich ertappt fühlte. Er war so schockiert, daß er wegging und nie wiederkam.
Sie haben, als Sie älter wurden, weiterhin Besuche jenseits der Mauer gemacht. Können Sie kurz schildern, welche Veränderungen Sie dabei an Land und Leuten beobachteten? Es gab zwei Entwicklungen. Die kommunistische Regierung hatte ein ausgeklügeltes System entwickelt, durch das sie versuchte, das Denken der Menschen zu unterdrücken, die Leute zu überwachen und im Sinne des Systems zu beeinflussen und zu erziehen. Andererseits konnte man sehen, daß diese Art der Erziehung und Einflußnahme die Leute nicht befriedigte. Zwischen dem, was öffentlich behauptet wurde, und dem, was die Menschen wirklich dachten, gab es immer große Unterschiede. So entstand eine Kluft zwischen den Behauptungen der Regierung und dem wahren Denken der Leute.
Sie haben sich sehr dafür eingesetzt, daß Christliche Wissenschafter innerhalb des kommunistischen Unterdrük-kungssystems überleben konnten. Welche Form nahm die Unterdrückung für die Christlichen Wissenschafter an? Die Christliche Wissenschaft war seit 1951 in der DDR verboten. Das bedeutete, daß Besitz, Grundstücke und Gebäude beschlagnahmt worden waren; es durften keine öffentlichen Gottesdienste abgehalten werden, und man durfte die Christliche Wissenschaft nicht öffentlich erwähnen.
Wurden Christliche Wissenschafter bestraft, wenn sie sich nicht daran hielten? Es gab einige Gerichtsverfahren, doch da die Menschen wußten, wie streng die Gesetze von den staatlichen Organen gehandhabt wurden, gingen sie im allgemeinen jeder Konfrontation aus dem Weg und übten ihre Religion im stillen aus.
Wie haben Sie versucht, Christlichen Wissenschaftern zu helfen, die auf diese Weise von ihrer Kirche getrennt waren? Ich glaube, das wichtigste war, daß man ihnen half, diese Trennung nicht ohne weiteres anzuerkennen, sie nicht als dauernde und unabänderliche Tatsache anzusehen. Allerdings muß ich sagen, daß die Mauer gerade für Berliner, die sie täglich sehen konnten, sehr beeindruckend war, so daß man sich manchmal fragte, wie wohl eine Änderung der Verhältnisse möglich sei. Aber dadurch, daß ich mich immer auf die geistige Tatsache stützte, daß der Mensch in seiner wahren, gottgeschaffenen Natur frei und unbegrenzt ist, ergaben sich praktische Schritte, durch die ich so gut ich konnte zeigte, daß wir als Kirche eine Familie sind und zusammengehören.
Stimmt es, daß Sie christlich-wissenschaftliche Literatur in die DDR schmuggelten? Ja. In den ersten Jahren war das sehr gefährlich, weil man fast jedesmal seine Kleidung ablegen mußte und durchsucht wurde. Es gab also eine Zeit, in der man nur Postkarten mit einem Bibelvers oder einem Abschnitt aus Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift schicken konnte. Das wurde so umschrieben, daß wir zum Beispiel mitteilten: „Übrigens habe ich etwas sehr Schönes entdeckt, und zwar auf Seite 321...“ Die Empfänger wußten natürlich, daß sich das auf das Lehrbuch der Christlichen Wissenschaft bezog. Oder wir erwähnten eine Bibelstelle, und es war klar, daß es sich dabei um den Segen des vergangenen Sonntagsgottesdienstes handelte.
Und so konnten die Menschen sehen, daß wir an sie dachten und sie liebten. Durch kleine Aktionen dieser Art halfen wir, die Kirche am Leben zu erhalten. In den folgenden Jahren bemühten wir uns, die Angaben der Bibellektionen handschriftlich zu schicken, da gedrucktes Material regelmäßig beschlagnahmt wurde. So schrieben wir die Bibellektionen des kommenden Monats in ganz kleiner Schrift auf einen kleinen Bogen Papier und ermöglichten es so Menschen jenseits der Mauer, die Lektion zu lesen — genau wie wir es in unseren Kirchen taten.
Und später war es dann leichter, religiöse Literatur mitzunehmen? Ja. Wir nahmen Vierteljahrshefte, Herolde und einige gedruckte Vorträge der Christlichen Wissenschaft mit. Wir versteckten sie unter unserer Kleidung und brachten sie den Freunden in Ost-Berlin und in anderen Städten der DDR.
Welche Einstellung hatten Sie in dieser schwierigen Zeit den Russen gegenüber? Ich habe immer jede Art von Propaganda sehr skeptisch betrachtet, ob es nun hieß, die Russen seien die Bösen oder die Kapitalisten hätten etwas gegen den Osten. Ich habe immer danach gestrebt, die wahre Natur des Menschen Gottes zu sehen, und wollte keine Vorurteile hegen. Einmal war verboten, ich auf der Autobahn, einer Transitstrecke, unterwegs. Es war verboten, die drei Transitstrecken, die West-Berlin mit Westdeutschland verbanden, zu verlassen. Als ich dort entlangfuhr, hatte ein russischer Jeep vor mir plötzlich einen Unfall. Für mich war es ganz normal, in solch einem Fall anzuhalten und meine Hilfe anzubieten. Also ging ich zu den Russen hin und stellte fest, daß sie unverletzt waren, ihr Jeep jedoch einen Totalschaden hatte. Obwohl ich wußte, daß jeglicher Kontakt zwischen West-Berlinern und russischen Soldaten verboten war, fragte ich sie, ob sie Hilfe brauchten. Sie sagten, es wäre schön, wenn ich sie zum nächsten Militärlager fahren könnte. Ich sagte: „Das tue ich gern, aber Sie wissen doch, daß ich keine russischen Soldaten mitnehmen und die Transitstrecke nicht verlassen darf.“ Aber der jüngere der beiden Russen sagte: „Bitte, helfen Sie uns.“ Und so tat ich es. Um zum russischen Militärlager zu kommen, mußten wir uns ungefähr fünfzehn Kilometer von der Autobahn entfernen. Auf dem Weg dorthin unterhielten wir uns. Einer von ihnen konnte etwas Englisch, und ich sagte zu ihm: „Was wird wohl Ihr General sagen, wenn er erfährt, daß einer Ihrer schlimmsten Feinde, nämlich jemand aus dem Westen, Sie hierher gefahren hat?“ Er lächelte und sah mich an und sagte: „Nein, nein, kein Feind. Sie sind ein Mensch, und ich bin ein Mensch, und das genügt.“
Das war ein Augenblick wahrer Einheit, ein Schimmer der Erkenntnis unseres wahren, geistigen Ursprungs, der es deutlich machte, daß wir Brüder sind. Er bedankte sich bei mir, und ich setzte meine Reise fort. Als ich am nächsten Tag die Zeitung aufschlug, las ich etwas von einem gefährlichen Zwischenfall. Genau zu der Zeit waren am Tag davor zwei russische Soldaten in dieser Gegend desertiert.
In der Zeitung stand, daß jede Ausfahrt dieser Autobahn von der Polizei gesperrt und jede Zufahrtsstraße zu dem Militärlager von der Geheimpolizei kontrolliert worden war. Das alles war genau zu der Zeit geschehen, als ich die Autobahn verlassen hatte und auf einer dieser Straßen fuhr. Aber ich war nicht angehalten worden und hatte keine Polizeiautos gesehen. Das zeigte mir, daß das rechte Motiv, zu helfen und nach dem wirklichen, geistigen Menschen zu streben, ein Schutz war. Das ganze System der Überwachung und Unterdrückung von Menschen war in meinem Fall unwirksam gewesen. Es war für mich weder gefährlich noch bedrohlich gewesen; ich hatte meine Reise ohne Schwierigkeiten fortsetzen können.
Während Sie das erzählten, mußte ich daran denken, daß sich die Situation der Christen, von denen Sie berichten, gar nicht so sehr unterschied von der der ersten Christen, über die wir in der Bibel lesen, die auch unterdrückt wurden. Sie haben in der letzten Zeit sehr aktiv beim Wiederaufbau der zur Zeit des Kommunismus verbotenen christlich-wissenschaftlichen Kirchen im Osten Deutschlands geholfen. Wie war das, als Sie nach dem Fall der Mauer zum ersten Mal in die ehemalige DDR kamen, um dort zu helfen? Ich war vor allem sehr dankbar, einer der ersten Zeugen dieser ersten öffentlichen Gottesdienste der Christlichen Wissenschafter nach fast 40 Jahren Unterdrückung durch Nazis und Kommunisten zu sein. Und ich fühlte mich ihnen sehr verbunden, da ich viel in diesem Teil Deutschlands herumgekommen war, so viele Freunde dort hatte und wußte, daß sie alle dafür gebetet hatten, wieder öffentliche Gottesdienste abhalten zu können. Ich konnte sehen, wie wirksam Gebet ist. Ich sah die Freude und empfand es als eine großartige Leistung, daß sie jahrzehntelang so viel Geduld, Demut und Hingabe zum Ausdruck gebracht hatten.
Und mir fiel auch auf, daß zwischen Christlichen Wissenschaftern in Ost und West eine sehr große Einheit besteht.
Herr Seek, wodurch wurde die Kirche in der DDR am Leben erhalten? Die Mauer verhinderte Kontakte nach außen, es gab systematische Unterdrückung, und es wurde Atheismus gelehrt. Es gab Strafen und Vergeltungsmaßnahmen, und dennoch erlosch die Kirchentätigkeit nicht. Was war Ihrer Meinung nach die Ursache dafür? Ich denke, das hat mit der grundlegenden Tatsache zu tun, daß man Gedanken nicht verhindern kann. Die Liebe zu Gott wird den Menschen nicht auf künstliche Weise eingepflanzt, sondern entspricht dem reinen, echten und ursprünglichen Verhalten des Menschen. Außerdem ist die Liebe zu Gott und die Liebe zur Christlichen Wissenschaft gänzlich unabhängig von politischen Systemen oder wirtschaftlichen Verhältnissen.
Könnte man sagen, daß Sie das, was viele Menschen Glauben nennen, als praktische Realität erlebten? Ja durchaus, es war etwas ganz Reales. Man hörte von Menschen, die durch Gebet geheilt worden waren und die die Hoffnung nie sinken ließen, sondern es freudig erwarteten, wieder öffentliche Gottesdienste abhalten zu können. Ich weiß von vielen Fällen, wo alles ganz anders verlief, als von der kommunistischen Regierung erwartet wurde, weil sich die Menschen an Gott wandten. Und so sind all die Veränderungen, die ich in der DDR und dann auch in den anderen osteuropäischen Ländern sah, für mich der Beweis, daß dieses Gesetz angewandt werden kann, egal, wie gewaltsam, wie raffiniert oder wie radikal die politische Regierung vorgeht.
Wie sieht es jetzt aus? Gibt es unter den Gruppen von Christlichen Wissenschaftern eine Erneuerung? Meiner Meinung nach gibt es viel Fortschritt dadurch, daß all die Erfahrungen dieser Christlichen Wissenschafter jetzt in die Kirchenarbeit einfließen. Aber das wichtigste ist wohl, daß es nie einen Mangel an Verständnis und Geistigkeit gegeben hat. Insofern hatten die Menschen alles, was sie brauchten, um Gott folgen zu können. Der einzige Unterschied bestand in dem äußeren Rahmen ihrer Arbeit. Es gab keine Kirchengebäude, keine die Sache fördernden äußeren Umstände, doch ihr Verständnis davon, was wahre Kirche bedeutet, war für sie immer eine lebendige Tatsache.
Ich teile diese Erkenntnis manchmal gern mit unseren Freunden in westlichen Ländern — Ländern, in denen wir all die bequemen Hilfsmittel haben. Am wichtigsten ist es, die wahre Natur der Kirche als Ausdruck göttlicher Wahrheit und Liebe zu verstehen. Sie war für die Menschen im Osten immer etwas sehr Reales; sie war in ihrem Denken lebendig. Man konnte es spüren, wenn zwei oder drei von ihnen zu Hause zusammenkamen. Dann herrschte immer eine sehr heilige Atmosphäre, die wirklich das symbolisierte, was Kirche ist.
Was könnten Christliche Wissenschafter, die solche Erfahrungen gemacht haben, Kirchenbesuchern in anderen Ländern vielleicht sagen? Ich weiß, daß sie tief dankbar sind, weil die Gebete von Menschen überall auf der Welt dazu beigetragen haben, daß sich die Verhältnisse dort änderten. Sie wissen, daß Gebet das einzige ist, auf das man sich voll verlassen kann, und sehen sich darin mit allen vereint, die beten.
Für uns ist es sicherlich gut, daran zu denken, daß wir nicht einfach deshalb, weil wir seit vielen Jahren in einer Kirche mitgearbeitet und dabei auch manches auf die Beine gestellt haben, anderen überlegen sind, denen eine Kirchenorganisation vorenthalten worden war. Wir alle haben dieselbe Quelle; wir wenden uns an Gott, und wir alle müssen Ihm gehorsam sein. Was die Menschen aus den östlichen Ländern uns geben können, sind die vielen Erfahrungen, die sie aufgrund ihres Mutes und ihres reinen geistigen Verständnisses gemacht haben. Das brauchen wir notwendig, um Herausforderungen überwinden zu können. Es ist ein beiderseitiges Lernen und keine Einbahnstraße, die von Westen nach Osten führt. Wir sollten uns öffnen und auf das achtgeben, was in jenen schwierigen Jahren bewiesen und demonstriert wurde.
Im menschlichen Leben gibt es Unterdrückung in mancherlei Form. Werden diese Erfahrungen vielleicht immer wertvoller für den Fortschritt der Menschheit werden, anstatt wieder in der Vergangenheit zu versinken? Ich glaube, wir müssen uns immer wieder von persönlichen Meinungen, persönlichen Einflüssen und Ansichten abwenden, um hören zu können, was Gott zu uns sagt. Wir sollten verstehen, daß Gott die höchste Quelle der Wahrheit ist, und wir sollten nach der göttlichen Wahrheit streben, anstatt uns auf weltliche Autoritäten und Meinungen zu stützen. Jede Form der Unterdrückung hat immer etwas mit persönlichem, menschlichem Beherrschenwollen zu tun. Wenn wir uns von Begrenzungen und Unterdrückung abwenden und zu Gott hinwenden, werden wir verstehen, daß die göttliche Liebe wirklich regiert, und je eher wir diese Tatsache anerkennen, desto besser können wir praktische Hilfe leisten, wenn politische oder wirtschaftliche Verhältnisse oder irgendein System die Menschen unterdrückt und begrenzt.