Für Fast Jeden von uns kommt einmal die Zeit, wo wir unser Elternhaus verlassen — und das ist Herausforderung und Chance zugleich. Vor uns liegt das Abenteuer: Wir dürfen unsere eigenen Entscheidungen treffen und unseren persönlichen Lebensstil finden. Aber zugleich haben wir vielleicht das unbehagliche Gefühl, daß wir unseren sicheren Halt verloren haben. Es kann beunruhigend sein, wenn man Familie, Freunde und ein vertrautes Zuhause verlassen muß.
Meine Freundin Amy war noch nicht einmal aus der Schule — sie war erst in der achten Klasse, als sie ihr Heim in Großbritannien verließ, um auf ein Internat in den Vereinigten Staaten zu gehen. Sie hatte ein sehr enges Verhältnis zu ihrer Mutter, ihrem Vater und ihrer kleinen Schwester. Es war zwar ihre eigene Entscheidung gewesen, nach Amerika zu gehen, aber in den ersten Tagen an der neuen Schule hatte sie doch großes Heimweh.
Ihre Klasse begann das Schuljahr mit einer Fahrt in ein Zeltlager, damit die Schüler Gelegenheit hatten, sich besser kennenzulernen, bevor das Lernen begann. Amy machte es Spaß, neue Freundschaften zu schließen, in Höhlen herumzukraxeln oder sich auf einer Seilschaukel weit über den See hinauszuschwingen.
Alle Schüler in Amys Schule besuchten die Sonntagsschule der Christlichen Wissenschaft, und sie bemühten sich, das, was sie dort über Gott lernten, bei ihren täglichen Aktivitäten anzuwenden. Jeden Morgen lasen die Mädchen in Amys Zelt gemeinsam die Bibellektion aus dem Vierteljahrsheft der Christlichen Wissenschaft. Amy gefielen die Gedanken in der Lektion sehr. Ein Satz aus der Lektion jener Woche, der sich ihr besonders einprägte, war aus der Bibel: „Was kein Auge gesehen hat und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz gekommen ist, was Gott bereitet hat denen, die ihn lieben. Uns aber hat es Gott offenbart durch seinen Geist; denn der Geist erforscht alle Dinge, auch die Tiefen der Gottheit.“ 1. Kor 2:9, 10. Amy verstand das so, daß nicht die fünf körperlichen Sinne uns all das Gute deutlich machen, das Gott uns gibt, sondern der geistige Sinn.
Eines Tages fühlte sich Amy nach der Mittagsruhe schwach und schwindelig. Sie sagte es der Betreuerin, und diese ging mit ihr zur Ausüberin der Christlichen Wissenschaft, die mit ins Lager gekommen war, um den Kindern durch Gebet zu helfen, wenn sie es brauchten.
Die Ausüberin umarmte Amy liebevoll und versicherte ihr, daß ihr Vater-Mutter Gott hier bei ihr sei und sie mit Harmonie und Vollkommenheit umgebe. Sie erzählten sich gegenseitig, wie dankbar sie für Gottes Güte waren. Amy sagte der Ausüberin auch, wie dankbar sie für ihre Familie war. Und sie erzählte ihr von ein paar wundervollen Heilungen, die sie erlebt hatte. Während sie über Gott sprach, wurde ihr bewußt, wie nahe sie sich ihrer Familie fühlte, wenn sie sich Gott nahe fühlte. Und sie merkte auch, wie nahe sie sich allen ihren neuen Freunden und dieser netten Frau, die ihr half, fühlte, wenn sie sich Gott nahe wußte. Es wurde ihr klar, daß diese Nähe zu Gott ihr wahres Zuhause war und daß sie dieses Heim niemals wirklich verlassen konnte. Sie konnte niemals von der Liebe getrennt werden, denn Gott ist Liebe, und Er ist überall. Sie war sicher und behütet und würde es immer sein — wie könnte sie also jemals in der Fremde sein?
Bald fühlte sich Amy viel besser. Die Schwäche und das Schwindelgefühl waren verschwunden, und sie und die Ausüberin beschlossen spazierenzugehen. Sie schlenderten hinunter zum Bootssteg und paddelten mit einem Kanu hinaus bis zur Reifenbrücke — das waren viele alte Autoreifen, die an einer schmalen Stelle des Sees von einem Kabel herab an Seilen über dem Wasser hingen. Amy zeigte ihrer neuen Freundin, wie man sich wie ein Affe von einem Reifen zum anderen schwingen konnte. Der Trick dabei war, daß man, um ohne nasse Füße über das Wasser zu kommen, immer einen Reifen loslassen und nach dem nächsten greifen mußte. Und so ähnlich ist es, wenn man von zu Hause fort ist: Man muß bereit sein, nach dem Neuen zu greifen, wenn das auch manchmal gar nicht so einfach ist.
Auf dem Weg zurück zum Lager bemühte sich Amy, keine Angst zu haben bei dem Gedanken, allein in ihr Zelt zurückkehren zu müssen. Sie fragte sich, ob sie nun wieder mit den anderen mithalten konnte. Sie und die Ausüberin beteten gemeinsam weiter. Nach dem Abendessen fühlte sich Amy wohl genug, um mit den anderen Kindern eine Orientierungsveranstaltung mitzumachen, und später ging sie zum Square Dance.
Am nächsten Tag besuchte Amy die Ausüberin, um sich für die Hilfe zu bedanken und ihr zu sagen, daß sie sich nicht mehr scheu und ängstlich fühlte. Sie hatte ihren Fotoapparat dabei und knipste ein Bild von ihrer neuen Freundin zur Erinnerung an die Lektion, die sie gelernt hatte: Wenn wir wissen, daß wir eins mit Gott sind, dann fühlen wir uns immer zu Hause und denen nahe, die wir lieben. Ja, wir sind wirklich niemals in der Fremde.