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Vertrauen in die Sinne — oder in Gott?

Aus der November 1994-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Es War Anfang März 1945, kurz vor Ende des letzten Weltkrieges. Meine Mutter befand sich mit uns drei kleinen Kindern auf einem kleinen Dampfer, der eigentlich nur ein Ausflugsdampfer war, auf der vom Sturm aufgewühlten Ostsee. Man hatte uns gesagt, dies würde nun das letzte Schiff sein, bevor die feindlichen Armeen diese Gegend erreichten. Und man hatte hinzugefügt, daß die Aussicht, heil durchzukommen, sehr gering sei, da die zwei vorherigen, viel größeren Schiffe, eines mit dreitausend Flüchtlingen an Bord, auf Minen gelaufen und untergegangen waren.

Aber es gab für uns einfach keinen anderen Ausweg. Wir waren schon die ganze Nacht zu Fuß unterwegs gewesen, hatten erst die feindlichen, dann die eigenen Linien gekreuzt, und dieses Schiff war nun die einzige und letzte Möglichkeit, dem unmittelbaren Kriegsgeschehen zu entkommen.

Das Schiff war überfüllt, vor allem mit Frauen und elternlosen Kindern. Die Menschen waren voll Angst und Ungewißheit. Als das Schiff aus dem kleinen schützenden Hafen in die wilde Ostsee ausgelaufen war, geschah etwas, das ich nie vergessen werde. Wir Kinder vertrugen das Auf und Ab des Dampfers im Sturm nicht und hingen dauernd über Bord. Da sah ich plötzlich meine Mutter, wie sie, an die Kajüte gelehnt, dastand und laut Kirchenlieder sang, eins nach dem anderen. Und auf einmal sang sie einen Vers, der mich als kleines Mädchen aufhorchen ließ. Er stammte aus einem Lied von Mary Baker Eddy mit dem Titel „Christus meine Zuflucht“ und lautete:

Und auf der Erde sturmbewegtem Meere
Ich sehe Christus wandeln dort,
Und sieh’, er naht sich mir, und voller Milde
Spricht er zu mir sein göttlich Wort.Liederbuch der Christlichen Wissenschaft, Nr. 253 (dieser Vers stammt aus einer älteren Übersetzung, nach der meine Mutter das Lied an jenem Abend sang).

Ich schaute intensiv hinaus aufs wilde Meer, dann zurück zu meiner Mutter, dann wieder in dieselbe Richtung, in die sie aufs Meer schaute, und fragte mich verwundert, wo denn Mutti dort den Christus sehen konnte. Ich war sicher, daß sie etwas sah, was ich nicht wahrnehmen konnte.

Nach mehreren Stunden auf See bei Windstärke acht erreichten wir ruhigere Gewässer im Stettiner Haff, das heute zu Polen gehört, und kamen alle sicher an Land.

Ungefähr sechs Monate später war unsere Familie immer noch nicht zur Ruhe gekommen, wir waren immer noch auf der Suche nach meinem Vater und einem Zuhause. Wir saßen mit vielen anderen Flüchtlingen in der Bahnhofshalle einer großen mitteldeutschen Stadt. Wir konnten nicht weiter, weil keine Züge fuhren. Die Brükken waren alle gesprengt worden.

Mitten in diese anscheinend so hoffnungslose Situation hinein sagte mein Bruder plötzlich zu meiner Mutter: „Dies scheint eine große Stadt zu sein. Vielleicht gibt es hier eine Blindenschule. Und vielleicht kennt man dort unseren Papi.“ Es erwies sich, daß dies ein Engelsgedanke war. Mein Vater war Blindenlehrer — und, ja!, es gab dort so eine Schule, und man kannte meinen Vater. Man nahm uns auf, und wir hatten wieder ein Heim. Ich kann mich noch erinnern, wie meine Mutter vor Dankbarkeit weinte. Und dort fand uns einige Monate später auch mein Vater.

„Glück gehabt?“ Nein, so kann ich diese Erlebnisse überhaupt nicht nennen. Denn als ich älter wurde und selber begann, mich bewußt mit Gott zu beschäftigen und Seine Gegenwart und Liebe zu erleben, lernte ich verstehen, was uns damals geleitet und beschützt hatte.

Ich erkannte, daß das Verhalten meiner Mutter nicht auf verzweifeltem Hoffen oder blindem Gottvertrauen beruhte. Aus ihrer eigenen Erfahrung wußte sie, daß Gott eine immer wirkende und immer gegenwärtige Macht ist. Das Wirken Gottes ist keine „Glückssache“ und kein Zufall, sondern beruht auf göttlichem Gesetz. Gottes liebevolles und heilendes Sein ist eine absolute geistige Tatsache, die jeder Mensch kennenlernen und erleben kann.

Es war dieses Wissen um einen liebevollen Gott, der Seine Kinder leitet und beschützt, das meiner Mutter das Vertrauen und die Zuversicht gab, immer wieder eine Lösung zu erwarten. Und diese Einstellung teilte sich natürlich auch uns Kindern mit.

Ich lernte immer besser verstehen, daß der Mensch geistig ist und daß die göttliche Schöpfung nicht das ist, was ich mit den fünf Sinnen wahrnehme. Die Augen können nur wahrnehmen, was materiell begreifbar ist. Der französische Schriftsteller Antoine de Saint-Exupéry schrieb in seinem Buch Der kleine Prinz: „Man sieht nur mit dem Herzen gut; das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“ Für mich bedeutet dies, daß Dinge wie Liebe, Spontaneität, Demut, Geduld, Kraft usw. nicht mit den Augen wahrnehmbar sind. Was man sehen kann, sind die Wirkungen dieser von Gott kommenden Eigenschaften.

Das Wirken Gottes ist keine „Glückssache“ und kein Zufall, sondern beruht auf göttlichem Gesetz.

Ich weiß heute, daß das, was wir damals erlebten, ein Beweis der Wirksamkeit von Gebet ist. Meine Mutter hatte durch die Christliche Wissenschaft eine neue Art zu beten kennengelernt. Sie hatte vor allem Gott als Liebe kennengelernt, der Seine Kinder und Seine ganze geistige Schöpfung liebt und immerdar erhält.

Sie hatte auch gelernt und erlebt, daß diese erhaltende Liebe Gottes keine Zufallsangelegenheit, keine willkürliche Maßnahme ist. Vielmehr ist die Liebe Gottes eine feststehende Tatsache, denn Gott ist unendliches Prinzip, wie Mary Baker Eddy, die Gründerin der Christlichen Wissenschaft, erklärt. Daher kann man sich auf Gott, Seine Macht und Immergegenwart absolut verlassen.

Später erzählte uns meine Mutter, daß mein Bruder, der der älteste von uns ist, während der ganzen Nacht, bevor wir das Schiff erreichten, als wir oberhalb der Dünen entlang der Ostsee und dann später durch die Fronten der verfeindeten Armeen hindurchgehen mußten, ununterbrochen das Gebet des Herrn vor sich hingebetet habe. Ganz offensichtlich hatte er bereits begriffen, daß in diesem Gebet der Schlüssel zu Kraft, Hoffnung und vor allem zu Lösungen enthalten ist. Denn später war er es ja auch gewesen, dem die Idee mit der Blindenschule kam zu einem Zeitpunkt, als eine Lösung dringend gebraucht wurde!

Weil ich in meinem eigenen Leben immer wieder Gottes Wirken erlebt habe, ist bei mir die Gewißheit ständig gewachsen, daß es eine ewige, geistige Macht des Guten gibt, die harmonisierend, heilend und stärkend in unserem Leben wirkt.

Was ich durch das Studium der Christlichen Wissenschaft immer mehr begreife, ist, daß ich meine Erwartungen und meine Vision erweitern und über die begrenzte Wahrnehmung der physischen Sinne hinauslenken muß. Sonst stoße ich dauernd an Grenzen und werde das Opfer von Täuschungen. So habe ich viele Male erlebt, daß ich mich nicht beeindrucken zu lassen brauche von dem, was sich meinen Augen und Ohren darbietet. Das Zeugnis der physischen Sinne stößt immer an irgendwelche Grenzen und endet dann manchmal in Angst, Enttäuschung und Zweifel. Wenn ich mich aber von diesem Bild abwende und mein Denken im Gebet zu Gott erhebe, dann kann ich immer deutlicher den geistigen, heilen, liebenswerten und vollkommenen Menschen erkennen, wie ihn Gott erschaffen hat. Und das bringt Heilung.

Jeder von uns kann das erleben! Mit jedem Erlebnis — also mit jedem Beweis — wächst die Gewißheit, daß es bei Gott immer eine Antwort, eine Lösung, eine Heilung gibt. Denn Gott ist kein willkürlicher, launischer, sterblicher Machthaber. Gott ist unendlicher Geist; Er ist Liebe und Wahrheit, wie die Bibel sagt. Ihm können wir von ganzem Herzen vertrauen.

In der Bibel finden sich viele Berichte über Menschen, die sich in äußerst schwierigen und gefährlichen Situationen von dem materiellen Bild oder Zustand ab- und zu Gott hinwandten. Am eindrucksvollsten hat dies unser Meister Christus Jesus gezeigt.

Ein Ereignis, das mir sehr viel bedeutet, wird im Markusevangelium beschrieben. Jesus befand sich mit seinen Jüngern im Boot auf einem See. Markus erzählt: „Und es erhob sich ein großer Windwirbel, und die Wellen schlugen in das Boot, so daß das Boot schon voll wurde.“ Jesus „war hinten im Boot und schlief auf einem Kissen. Und sie weckten ihn auf und sprachen zu ihm: Meister, fragst du nichts danach, daß wir umkommen? Und er stand auf und bedrohte den Wind und sprach zu dem Meer: Schweig und verstumme! Und der Wind legte sich, und es entstand eine große Stille. Und er sprach zu ihnen: Was seid ihr so furchtsam? Habt ihr noch keinen Glauben?“ Mk 4:37–40.

Während seine Freunde und Schüler verzweifelt gegen Wind und Wellen ankämpften, lag Jesus einfach „hinten im Boot und schlief auf einem Kissen“. War Jesus sorglos oder gleichgültig? Ganz bestimmt nicht! Denn als er geweckt wurde, machte er dem Toben der Elemente sofort ein Ende.

Sein Schlaf war nicht ein Schlaf der Gedankenlosigkeit, sondern des friedevollen Ruhens im Vertrauen auf Gott. Er muß von seiner eigenen Sicherheit und der seiner Freunde völlig überzeugt gewesen sein. Das, was seine Augen sahen und seine Ohren hörten — die riesigen Wellen und den lauten Sturm —, beeindruckte ihn überhaupt nicht. Er muß sich seiner Einheit mit seinem liebenden Vater so völlig bewußt gewesen sein, daß er durch das wilde Theater der Elemente hindurchsehen konnte.

Das ist etwas, was für jeden gilt, nicht nur für Jesus: Allein die göttliche Macht ist echte Macht. Sie ist die einzig wirklich stärkende, heilende, Frieden bringende und ewige Macht, weil sie von Gott, dem göttlichen Prinzip, kommt. Nur sie kann dauerhafte, harmonische Tätigkeit garantieren.

Wenn wir diese göttliche Macht und unsere eigene Beziehung zu ihr besser verstehen, werden wir ihr immer mehr vertrauen und uns auf ihr liebevolles, intelligentes Wirken verlassen. Wir werden dann lernen, über das materielle Erscheinungsbild hinauszusehen und die geistige Substanz, die wahre Schönheit und Individualität wahrzunehmen. Wir werden lernen, über das Tosen der materiellen Elemente hinaus auf die geistige Harmonie und Macht zu hören. Wir werden die Freude und Liebe, die Macht und Zartheit erfahren, die von Gott kommen und nie abnehmen, sondern sich immer mehr entfalten und unser Leben heller und zufriedener machen. Mary Baker Eddy schreibt in Wissenschaft und Gesundheit: „Der materielle Sinn entfaltet die Tatsachen des Daseins nicht; der geistige Sinn dagegen hebt das menschliche Bewußtsein zur ewigen Wahrheit empor.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 95.

Wir brauchen uns nicht mehr von dem erschrecken zu lassen, was die physischen Sinne wahrnehmen, weil wir lernen, unsere Erwartungen von dem Materiellen hinweg zum Dauerhaften und Unzerstörbaren, zum ewigen, harmonischen, göttlichen Prinzip, Liebe, zu wenden.

Alle gute Gabe und
alle vollkommene Gabe
kommt von oben herab,
von dem Vater des Lichts,
bei dem keine Veränderung ist
noch Wechsel des Lichts
und der Finsternis.

Jakobus 1:17

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