Im Louvre In Paris hängt ein großes Gemälde von Rembrandt, das einen Rabbiner zeigt. Das Bild gehört nicht zu den berühmten Rembrandts, in Aufbau und Komposition ist es nach meinem Empfinden nicht überragend. Und doch habe ich lange Zeit davor gestanden. Es brachte eine tiefere Saite des Empfindens und Bewußtseins in mir zum Klingen, als mache sich eine kreative Kraft fühlbar.
Kunst — sei es Musik, Poesie, Malerei oder irgendeine andere Kunstform — kann uns den Schimmer einer Offenbarung bringen. Sie kann uns zur Erkenntnis einer tieferen Wahrheit führen. Kreativität hat also mit Einsichten zu tun!
Wenn uns das einmal klar geworden ist, können wir begreifen, wie Kreativität durch das Studium und die Anwendung der göttlichen Metaphysik entwickelt werden kann. In Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift regt uns Mary Baker Eddy, die Entdeckerin und Gründerin der Christlichen WissenschaftChristian Science (kr´istjen s´aiens), mit folgenden Gedanken zum Nachdenken über geistige Wahrnehmung an: „Wenn die Sterblichen richtigere Anschauungen über Gott und den Menschen erlangen, werden zahllose Dinge der Schöpfung, die bis dahin unsichtbar waren, sichtbar werden.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 264.
Gott ist die Quelle aller Kreativität. Und darum empfinden wir Kreativität auch immer als etwas ganz Besonderes. Wir spüren, daß eine Gedankendimension existiert, die etwas eindeutig anderes ist als die begrenzte menschliche Wahrnehmung. Und das ist ein Grund, warum Kunst so stark auf die Menschen wirkt.
Ich saß vor einer weißen Leinwand und betete. Plötzlich erfüllte mich das klare Wissen, was und wie ich malen sollte.
Die Christliche Wissenschaft öffnet die Tür zu dem in uns liegenden Potential an Kreativität, indem sie offenbart, daß wahre Kreativität rein geistig ist. Kreativität ist eine Eigenschaft des göttlichen Gemüts, die vom Menschen — dem Ebenbild des Gemüts — widergespiegelt wird. Sie ist kein persönliches Talent. Diese Auffassung von Kreativität befreit uns von den erlernten, einengenden Theorien über Kunst und von den begrenzten Perspektiven der Gesellschaft. Sie befreit uns auch von falschen Vorstellungen — der Annahme zum Beispiel, unsere Kreativität befinde sich in einem dauernden Auf und Ab oder es könne uns an Inspiration fehlen.
Seit Beginn der Menschheitsgeschichte haben Künstler festgestellt, daß sie sich von den Begrenzungen des menschlichen Denkens freimachen müssen, um schöpferische Freiheit zu erlangen. Wahre Kreativität steht eindeutig außerhalb der Berechnungen menschlicher Logik und Analyse — sie ist einzig und allein das Ergebnis geistiger Intuition. Intuitive Künstler wissen das und „räumen sich selbst aus dem Weg”, bevor sie mit einem Werk beginnen. Und darum wissen auch so viele kreative Menschen um den großen Wert der Kontemplation.
Leonardo da Vinci zum Beispiel suspendierte Pigmente in Wasser und spritzte dieses Gemisch an die Wand. Dann setzte er sich ruhig hin und beobachtete, welche Formen und Farbtöne sich ergeben hatten, und dachte darüber nach. Dabei, so sagte er, seien ihm alle seine schöpferischen Ideen — einschließlich der Erfindungen — gekommen. El Greco saß buchstäblich tagelang vor seiner Leinwand, ohne auch nur einmal den Pinsel zu heben. Albert Einstein sagte, die besten Ideen seien ihm durch Intuition gekommen. „Viele Leute denken, der Fortschritt des Menschengeschlechts beruhe auf Erfahrung und Kritik", bemerkte Einstein, „aber ich sage, daß wahres Wissen nur durch eine Philosophie der Deduktion erlangt werden kann. Denn Intuition verbessert die Welt. ... Intuition, nicht der Intellekt, ist das, Sesam öffne dich' für einen selbst." William Hermanns, Einstein and the Poet (Brookline Village, Massachusetts: Branden Press, Inc., 1983).
Diese Menschen rangen nicht um Inspiration, sie entdeckten einfach, daß die Ideen spontan auf jede nur mögliche Weise kommen, wenn das Denken empfänglich ist. Gott, das göttliche Gemüt, drückt sich spontan aus, ohne menschliches Dazutun.
Natürlich hat nicht alle Kontemplation mit geistiger Intuition oder echter Kunst zu tun. Was man Kunst nennt, ist oft mehr das Ergebnis eines materialistischen menschlichen Gemüts als der Inspiration, die vom göttlichen Gemüt kommt. Aber durch die Anwendung der göttlichen Metaphysik, durch Gebet, hat der Künstler die Möglichkeit, bewußt teilzuhaben an der von Gott, Seele, ausströmenden reinen Kreativität. Wirksames Gebet umfaßt Anerkennen und Lauschen. Wir erkennen Gottes unendliche Gegenwart an, die die Quelle aller Kreativität ist. Wenn uns die Allheit Seiner Gegenwart klar wird, fangen wir an, auf Ihn zu hören. Wir lauschen auf Seine Gedanken und erkennen unsere Untrennbarkeit von Ihm als der zu Seinem Bild und Gleichnis geschaffene Mensch. Diese Erkenntnis nimmt uns das Gefühl, ein kleines, begrenztes Ich zu haben, und erweitert unsere Sicht zur geistigen Schau, die immer neu und einzigartig ist. Wissenschaftliches Gebet offenbart Kreativität als einen geheiligten Augenblick, in dem das Licht Gottes in unserem Bewußtsein aufleuchtet. Der Weg, der zu solchen Augenblicken führt, ist Demut, das Aufgeben von persönlichem Willen und eigenem Ich. Von dieser Selbstolsigkeit spricht Christus Jesus, wenn er sagt: „Der Sohn kann nichts von sich aus tun, sondern nur, was er den Vater tun sieht; denn was dieser tut, das tut gleicherweise auch der Sohn." Joh 5:19.
Göttlich inspirierte Augenblicke der Kreativität gehen weit über normale Lernprozesse hinaus. Die gewaltige Schöpferkraft, die zum Beispiel Mozart an den Tag legte, kann nur vom Standpunkt des unendlichen Gemüts aus erklärt werden. Hier schuf nicht ein menschliches Gemüt etwas aus sich selbst. Der Künstler erlebte vielmehr etwas von der Fülle des göttlichen Gemüts, der Seele. Als Mozart gefragt wurde, wie er denn komponiere, antwortete er, er lausche einfach auf die Melodien, die Gott ihm gebe, und schreibe sie so nieder, wie er sie gehört habe. Interessant ist, daß Mozart in Mathematik sehr schlecht war und nicht einmal seine Symphonien richtig numerieren konnte. Welche Schwächen er auch hatte — sein schöpferischer Sinn war sich offenbar keiner Begrenzungen bewußt. Mrs. Eddy schreibt in Wissenschaft und Gesundheit über ihn: „Mozart hat mehr erlebt, als er je zum Ausdruck gebracht hat. Die hehre Schönheit seiner erhabensten Symphonien hat nie ein Mensch vernommen. Er war ein größerer Musiker, als die Welt ahnte." Wissenschaft und Gesundheit, S. 213.
Vor allem eins fasziniert an der von Gott inspirierten Kreativität und Kunst: sie erleuchten. Sie weisen in gewisser Hinsicht auf das Wirken des Christus hin, auf den göttlichen Einfluß, der das menschliche Bewußtsein erleuchtet. Diese Kreativität ist immer originell. Sie ist nie fade oder abgedroschen.
Erleuchtende Kreativität steht jedem offen, denn der Mensch ist der Ausdruck Gottes. Und sie ist grenzenlos, weil Gott unendlich ist. Das Schöne an dieser Kreativität ist, daß sie universell ist — individuell ausgedrückt, aber völlig unpersönlich.
Ich habe selbst den Zusammenhang zwischen Gebet und Kreativität erfahren. Zunächst machte ich als Musiker Karriere, doch dann fand ich auf wunderbare Weise heraus, daß ich malen konnte. Ich hatte noch nie vor einer Leinwand gestanden, aber ich konnte mir Kreativität auf eine Art erschließen, die über alle traditionellen Lernmethoden hinausging und mir sogar mühsames Experimentieren ersparte. Ich saß vor einer weißen Leinwand und betete. Plötzlich erfüllte mich das klare Wissen, was und wie ich malen sollte. Ich begriff etwas über das Malen, was ich sofort und ganz einfach und praktisch anwenden konnte. Ich begann zu malen, und es war, als öffne sich mir eine verborgene Welt, die auf der Leinwand Gestalt annahm. Das war sehr aufregend und geschah völlig mühelos. Ein Bild folgte dem anderen, und bald stellte ich aus. All das ereignete sich vor 25 Jahren, und der stete Strom der Kreativität ist nie versiegt. Immer wenn ich zu meiner schöpferischen Quelle gehe — wenn ich im Gebet zu Gott gehe —, bevor ich zu arbeiten beginne, kommen die Ideen und Möglichkeiten der Gestaltung ans Tageslicht.
Beim geistigen Heilen ist es natürlich besonders wichtig, sich im Gebet an Gott zu wenden. Wenn wir uns auf die frischen Erkenntnisse verlassen, die uns in demütiger Gemeinschaft mit Gott kommen, demonstrieren wir die Kunst des Heilens immer besser und sicherer. Wir erfahren die Kreativen und immer angemessenen Lösungen, die allein Gott für spezielle Bedürfnisse bereitstellen kann und die keine menschliche Genialität je hätte ersinnen können. Wir erleben konkret, daß sowohl körperliche als auch moralische Übel geheilt werden.
Was immer wir tun — Gebet und Kreativität sind untrennbar. Und ganz gewiß ist das Abenteuer „Kunst" auch das Abenteuer geistiger Vision und geistigen Ausdrucks — die beide das Ergebnis von Gebet sind. Durch inspirierte Kunst entdecken wir die Wunder und die Kraft neuer Ideen, neuer Gedankenverbindungen und Zusammenhänge. Diese machen die Schätze des unendlichen Gemüts sichtbar, und Gebet öffnet die Tür dazu!
