Doppelte Staatsbürgerschaft — ja oder nein? Abstammung oder Ort der Geburt — was soll als Kriterium dafür gelten, welchem Staat eine Person angehört? Solche und ähnliche Fragen werden in letzter Zeit viel in der Politik diskutiert. Manche, die ihr Land freiwillig oder auch unfreiwillig verlassen haben, mögen sich fragen, wo sie hingehören. Vielleicht haben sie das Gefühl, in der Luft zu hängen oder zwischen zwei Stühlen zu sitzen — weder in der einen noch in der anderen Kultur richtig zu Hause. Andere mag die Furcht umtreiben, dass die begrenzten Ressourcen ihres Landes durch die Aufnahme von Flüchtlingen, Asylanten und anderen Ausländern überstrapaziert werden. Dass ihnen dadurch eigene Chancen genommen werden, z. B. auf einen Arbeitsplatz.
Jeder von uns — egal, welcher Religion, Nationalität oder Rasse er angehört und was ihre Geschichte und gegenwärtigen Umstände sein mögen — kann seine gottverliehenen Bürgerrechte in Anspruch nehmen.
„Bleibe im Lande und nähre dich redlich“ Ps 37:3., war ein Spruch, den mein Großvater gern zitierte. Daran musste ich denken, als ich selbst später ins Ausland zog. „Im Lande zu bleiben“ — das schien mir für die heutige Zeit keine relevante Aussage mehr zu sein. Und doch, nach und nach änderte sich meine Sicht auf dieses „Land“. Ja, es wurde meine ständige Zuflucht — ein Ort, der alles menschliche Sehnen stillt: das Fernweh ebenso wie das Heimweh, das Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Gemeinschaft wie nach persönlicher Entfaltung, die Notwendigkeit, Arbeit und Versorgung zu finden, das Streben nach Abenteuer und Entdeckung ebenso wie nach Sicherheit und Geborgenheit und Heilung.
Was für ein Land ist das und wie kommt man dorthin? Hier ist ein Beispiel.
Eine junge Frau hat einen Ausländer geheiratet. Dieser stirbt nach kurzer Zeit und da beschließt die Frau, mit der Mutter ihres Mannes in dessen Heimat zurückzukehren. Sie verlässt ihr Volk, ihre Familie und ihr Zuhause, um der Schwiegermutter in ihrem großen Kummer und der Not beizustehen, in der sie sich jetzt befindet. „Dein Volk ist mein Volk“. sagt sie zu ihr, „und dein Gott ist mein Gott.“ Rut 1:16. Aus Liebe zu ihr und aus Liebe zu Gott, den sie als ihren wahren Schöpfer erkannt hat, setzt sie sich über alle religiösen, nationalen und kulturellen Begrenzungen hinweg und nimmt das schwere Los einer kinderlosen Witwe und Ausländerin in einer fremden Umgebung auf sich.
Doch ihre Selbstlosigkeit und Liebe werden belohnt. Und statt Armut und Mangel erlebt sie Versorgung und Fülle. Statt Heimatlosigkeit findet sie ein neues Zuhause. Die Trauer der Kinderlosigkeit verwandelt sich in Freude, als ihr und ihrem neuen Mann ein Sohn geboren wird. Rut — so ist ihr Name Siehe Buch Rut in der Bibel — hat eine Heimat in Gott gefunden, die sie nie verlieren konnte. Ungeachtet der äußeren Umstände trifft sie bewusst die Entscheidung, in diesem „Land“ zu bleiben. Gottvertrauen, Hoffnung und Nächstenliebe sind ihre Nahrung und Stärke. In Wissenschaft und Gesundheit heißt es: „Lasst Selbstlosigkeit, Güte, Barmherzigkeit, Gerechtigkeit, Gesundheit, Heiligkeit, Liebe — das Himmelreich — in uns herrschen, und Sünde, Krankheit und Tod werden abnehmen, bis sie schließlich verschwinden.“ Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift, S. 248.
Zu den politisch unterdrückten und verfolgten Menschen, den Kranken, Leidenden und Sündern seiner Zeit und aller Zeiten sagte Christus Jesus: „Das Reich Gottes ist mitten unter euch.“ Mit anderen Worten: Ihr habt schon jetzt teil an dem Guten, das ihr sucht, denn es hat seine Quelle in Gott. Und Jesus bewies das, indem er die Menschen gesund machte, sie von moralischem Fehlverhalten befreite und sogar den Tod überwand.
Das politisch selbstständige, von Grenzen umgebene Land, in dem wir ansässig sind und in dem mehr oder weniger gute gesellschaftliche Werte, Gesetze und Regierungen herrschen, bietet nur einen schwachen Abglanz des immergegenwärtigen geistigen Reiches Gottes, in dem alle in Wirklichkeit leben, egal, wo auf dem Globus sie sich befinden und welche Staatsbürgerschaft sie besitzen. Da es ein geistiges Reich ist, ist es niemals auf einen bestimmten Ort oder bestimmte Personen beschränkt. Es ist unendlich und alle Geschöpfe Gottes haben darin Platz. Niemand muss außen vor bleiben, niemand wird abgeschoben oder ist unwillkommen. Wir brauchen auch keinen Pass, um hineinzugelangen.
Der Apostel Paulus erkannte das, als er in seinem Brief an die Philipper schrieb: „Unser Bürgerrecht aber ist im Himmel.“ Phil 3:20. Als Bürger von Palästina, Bürger der griechischen Stadt Tarsus (sein Heimatort) und römischer Staatsbürger besaß er selber, so könnte man sagen, die dreifache Staatsbürgerschaft. Doch diese Tatsache bot ihm keinen Schutz vor Verfolgung. Und so hatte er mehr als alles andere seine Bürgerrechte im Reich Gottes schätzen gelernt. Auf sie stützte er sich bei seiner Missionstätigkeit unter den verschiedenen Nationalitäten, und sie gaben ihm die Kraft und Fähigkeit, sein großes Werk durchzuführen.
Jeder von uns — egal, welcher Religion, Nationalität oder Rasse er angehört und was ihre Geschichte und gegenwärtigen Umstände sein mögen — kann seine gottverliehenen Bürgerrechte in Anspruch nehmen. Wir alle bekommen durch unsere Gotteskindschaft das Recht auf Freiheit, Versorgung und Sicherheit, die durch kein „Recht des Blutes“ oder „Recht des Bodens“ eingeschränkt bzw. bevorzugt vergeben werden können, denn sie richten sich nicht nach der materiellen Abstammung oder dem Ort der Geburt einer Person. Unter der Herrschaft Gottes gibt es auch keine Loyalitätskonflikte, keine Interessen- und Generationskonflikte, denn alle werden von einem göttlichen Prinzip regiert.
Sieht es manchmal so aus, als wären wir durch Umstände, die nicht in unserer Gewalt liegen, aus dem göttlichen Reich hinausgeworfen? Da hat sich etwa die politische Lage geändert, unsere Stabilität ist bedroht, unser Arbeitsplatz geht verloren. Es gibt Konflikte zwischen Bevölkerungsgruppen oder Streit in der Familie. In solchen Situationen ist es hilfreich, wenn wir nicht nur unsere „Bürgerrechte“ beanspruchen, sondern auch unsere „Bürgerpflichten“ wahrnehmen. Dazu gehört zum Beispiel, dass wir uns und andere unter Gottes Regierung als die eigentliche ausführende, gesetzgebende und richterliche Gewalt stellen. Dass wir täglich daran arbeiten, das Bewusstsein der ungeteilten, göttlichen Wahrheit in uns aufrechtzuerhalten und im täglichen Leben umzusetzen. Solche Arbeit ist Gebet. Gebet, das dazu beiträgt, Furcht, Hass, Vorurteile und Ungerechtigkeiten im eigenen Leben und in der Gesellschaft zu beseitigen.
Durch dieses Gebet erkennen wir die von Gott geschaffene geistige Identität des Menschen im andern, ob er nun Punker oder Skinhead, Moslem oder Christ oder Atheist, Schwarzer oder Weißer ist. Statt andere auszugrenzen, helfen wir sie zu integrieren. Gottes Regierung schließt alle ein. Wir sind alle „Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes“ Eph 2:19., wie Paulus sagt. Die göttliche Liebe ist unsere gemeinsame Heimat — das Bindeglied zwischen Menschen verschiedener Sprache und Herkunft und Kultur. Die Furcht, unsere persönliche oder kulturelle Identität zu verlieren, verschwindet, wenn die Entfaltung unserer unbegrenzten geistigen Individualtität als Widerspiegelung Gottes Vorrang bekommt. Indem wir uns mit unseren Gedanken bewusst in der Atmosphäre der Wahrheit aufhalten, „nähren wir uns redlich“. Wir fühlen uns geborgen, geliebt, zugehörig — wir „bleiben im Land“, mit allen Menschen als Mitbürgern vereint.
Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen, bereitet wie eine geschmückte Braut für ihren Mann.
Selig sind, die ihre Kleider waschen, dass sie teilhaben an dem Baum des Lebens und zu den Toren hineingehen in die Stadt.
Offenbarung 21:2, 22:14
